Immer im Dezember rief der BMW-Konzern in den vergangenen Jahren zu einer sehr speziellen Veranstaltung: Unter dem Titel "Sneak Preview" wurden neue Modelle vorgestellt – und natürlich auch über Absatz und Kundeninteresse gesprochen. Dabei ergab sich ein seltsames Bild. Beliebtestes Gesprächsthema waren regelmäßig die Elektroautos des Unternehmens – der i3 in seiner neuesten Variante oder Plug-In-Hybride aus den diversen Baureihen. Wenn es allerdings um den harten, realen Absatz ging, dann hörten die Besucher in der Regel nur noch drei Buchstaben: SUV. Die Sprit-schluckenden Geländewagen – bei BMW an der Bezeichnung X erkennbar – glänzten mit zweistelligen Wachstumsraten. Der kompakte X1 schaffte im ersten Halbjahr 2019 sogar den Sprung zum in Deutschland meistverkauften BMW überhaupt.
Was hat das alles mit dem Führungswechsel bei BMW zu tun? Mit dem bevorstehenden Abgang des als zu unsicher geltenden Vorstandschefs Harald Krüger, der nun durch den bisherigen Produktionsvorstand Oliver Zipse ersetzt wird?
Kurz gesagt: Eine ganze Menge. Krüger, dem hinter vorgehaltener Hand nun Entscheidungsschwäche und mangelnde Führungsstärke vorgeworfen werden, ist im Grunde ein Symbol für die deutsche Automobilbranche. Seine Unsicherheit rührt ja auch aus dieser merkwürdigen Schizophrenie, in der die Hersteller seit Jahren leben. Politik und Gesellschaft rufen, ja schreien geradezu nach Elektroautos. Gekauft aber werden zuverlässig völlig andere Fahrzeuge: schwere, geländegängige Benziner und Diesel, die dann von Müttern auf die Parkplätze der Biomärkte gefahren werden.
Der I3, mit dem BMW eigentlich als Pionier in den Bau von Elektroautos einstieg, zeigt das Problem exemplarisch. Es mag sein, dass das Auto Mängel hatte, ein kurioses Türsystem, ein gewöhnungsbedürftiges Design. Aber es steckte auch voller Ideen, die Ingenieure arbeiteten mit neuen Werkstoffen wie Karbon, und das Interieur des Fahrzeugs hatte Charme. Es mangelte also nicht an Innovationskraft. Das Problem: Das Auto wurde viel zu selten gekauft, um im Konzern ernst genommen zu werden. Die Elektro-Experten des Unternehmens verließen BMW denn auch in Scharen und fanden sich bald in Startups wieder. Der Gesamtabsatz aller elektrifizierten Fahrzeuge bei BMW lag laut Unternehmen im ersten Halbjahr 2019 in Deutschland bei 10.000. Das sind nicht einmal zehn Prozent aller in diesem Zeitraum in Deutschland neu zu gelassenen BMWs.
Das allerdings ist höchstens zum Teil Krügers Schuld – es geht, oft sogar in noch größerem Ausmaß, allen deutschen Herstellern so. Ein Markt lässt sich beeinflussen, aber er lässt sich nicht diktieren. Und auch wenn Volkswagen mit seinem energischen Vorstandschef Herbert Diess nun den Eindruck erweckt, das voll-elektrische Zeitalter stehe unmittelbar bevor: So genau weiß das auch in Wolfsburg niemand.
Nun soll es bei BMW also Zipse richten, und in gewisser Hinsicht ist das sogar folgerichtig. Zum einen wird der Konzern in den bereits rauheren Zeiten auf die Kosten schauen müssen – wofür jemand, der sich in der Produktion auskennt, nicht schlecht geeignet ist. Viel wichtiger aber ist diese Erfahrung noch aus einem ganz anderen Grund: Da die Nachfrage nach Elektroautos so schwer vorherzusagen ist, werden die Unternehmen bei allem politischen Druck flexibel bleiben müssen. Mit Zipse als Produktionsvorstand wurde genau dafür bereits die Bedingung geschaffen. Statt eigene Linien für Elektroautos aufzubauen, setzt BMW nun auf ein Baukastenprinzip: Auf der gleichen Linie können dann Verbrenner und batteriebetriebene Fahrzeuge gefertigt werden. Das erlaubt es, in der Produktion zu atmen, was wichtig werden könnte in den kommenden Jahren.
Der Übergang von Krüger zu Zipse ist damit eine pragmatische Entscheidung. Die Unsicherheit aber, die die ganze Branche beherrscht, wird bleiben. Sie lässt sich durch keinen Personalwechsel überwinden.