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Timo Pache Bankenkrise und Zinserhöhungen: Aufprall in der Realität

EZB-Präsidentin Christine Lagarde spricht auf einer Pressekonferenz
EZB-Präsidentin Christine Lagarde: Die Zentralbank hat die Zinsen erneut angehoben
© IMAGO / Political-Moments
Nach der Finanzkrise sollte keine Bank mehr „too big to fail“ sein. Die Realität zeigt, dass selbst kleinere Institute eine Krise größeren Ausmaßes verursachen. Und auch die EZB kann sich von der Wirklichkeit nicht abkoppeln

Eine sehr beliebte Maxime im Berliner Politikbetrieb – um nicht zu sagen: eine Floskel –, lautet: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität.“ Meist vorgetragen mit einem besonders eifrigen Ton der Überzeugung und Standfestigkeit. Was oftmals dieselben Politikerinnen und Politiker aller Couleur (die Maxime ist parteiübergreifend verbreitet) aber nicht daran hindert, diese bei nächstbester Gelegenheit zu ignorieren und wieder nach dem zu reden, was gerade am besten in den Kram passt – nach Opportunitäten, nach Stimmungen und Umfragen.

Journalismus beginnt dann oft mit dem Betrachten der Lücke. Jener Lücke, die sich auftut zwischen dem hehren Anspruch, den man so häufig hört, und dem, was dann tatsächlich gesagt und getan wird.

In den ersten Jahren nach der Finanzkrise 2008/2009 gab es ein großes Versprechen: Banken sollten in Zukunft nie mehr so groß werden, dass ihr Untergang die ganze Weltwirtschaft ins Chaos stürzen könnte und dass sie Regierungen so quasi ihre Rettung im Krisenfall abpressen könnten. Das Schlagwort dazu lautete „too big to fail“. Vielmehr sollten die Banken kleiner werden, riskante Geschäfte und Sparten aufgeben und ihre Bilanzsummen schrumpfen. Beobachtern war damals schon klar: Mit der Realität hatte dieser Anspruch nie viel zu tun.

Es mutet fast niedlich an, dass sich 15 Jahre danach einige Kommentatoren in dieser Woche an diese Vorgabe noch einmal erinnerten, als bekannt wurde, die größte US-amerikanische Bank, JPMorgan Chase, übernehme die angeschlagene kalifornische First Republic Bank – und werde damit noch größer: Auf knapp 4000 Mrd. US-Dollar beläuft sich nach der Übernahme ihre Bilanzsumme, das entspricht etwa einem Sechstel der jährlichen Wirtschaftsleistung in den USA und ist etwa das Doppelte im Vergleich zur Bilanzsumme 2009. Gefragt, ob das nicht ein bisschen riskant sei, sagte JPMorgan-Boss Jamie Dimon: „Man braucht große, erfolgreiche Banken. Und jeder, der glaubt, dass es für die Vereinigten Staaten von Amerika gut wäre, das nicht zu haben, sollte mich direkt anrufen.“

Viele Banken sind eben doch „too big to fail“

Leider ist es nicht so leicht, den Chef von JPMorgan an die Strippe zu bekommen, dennoch lohnt es sich, einen Moment über diesen Satz nachzudenken. Es ist noch nicht zwei Monate her, da musste die kleine Schweiz, die von ihrem viel zu großen Bankensektor seit Jahrhunderten sehr gut lebt, die Pleite der Credit Suisse abwenden. Das ging nochmal so gerade eben gut, stellte aber schon damals alle Regeln und Überzeugungen zum Umgang mit Bankenkrisen auf den Kopf: Statt die Bank abzuwickeln, wurde die Credit Suisse mit umfangreicher staatlicher Unterstützung dem noch größeren Wettbewerber UBS zugeschlagen.

Beide Fälle, Credit Suisse und First Republic, führen zurück zu der eingangs erwähnten Maxime: Still und heimlich sickert auch in Europa die Erkenntnis ein, dass sich der Finanzsektor schlecht eignet für Talkshow-taugliche Parolen. Mit ihrer Funktion, Unternehmen und Verbraucher mit Geld zu versorgen, ist die Branche per se zu wichtig und zu verflochten, um mal eben eine Bank abzuwickeln, selbst wenn die Manager an der Spitze noch so viel Mist angerichtet haben und die Forderung nach einer geordneten Abwicklung noch so populär sein mag. So frustrierend das ist: Jenseits einer Sparkasse, Volksbank oder einer kleinen Privatbank sind viele Banken eben doch „too big to fail“.

Das führt zu den beiden Zinsentscheidungen in dieser Woche: Die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank hoben abermals die Leitzinsen an, allerdings nur noch um jeweils 0,25 Prozentpunkte. Und anders als die EZB signalisierte die Fed, dass sie es beim jetzigen Niveau der US-Leitzinsen von 5 bis 5,25 Prozent zunächst bewenden lassen könnte – für die EZB könnte es dagegen noch weitergehen mit den Zinserhöhungen, wenn auch eben langsamer als bisher. Und das, obwohl in Europa wie in den USA die Inflationsrate immer noch weit über dem Ziel von zwei Prozent liegt.

Kluger Kompromiss

Ist das nun das lange erwartete Eingeständnis, so, wie es die Kritiker der ultralockeren Geldpolitik über Jahre vorhergesagt haben: Dass die Notenbanken nämlich gar nicht in der Lage sein würden, die Zinsen irgendwann mal wieder anzuheben, weil dann überschuldete Staaten und Unternehmen in die Knie gehen würden?

Ich würde eher sagen, die gedrosselten Zinsschritte sind ein kluger Kompromiss zwischen einer immer noch viel zu hohen Inflation und den bereits deutlich erkennbaren Bremsspuren in der Wirtschaft: Die deutsche Bauindustrie hat bereits den schärfsten Einbruch seit der Wiedervereinigung hinter sich (und das, obwohl das Land gerade jetzt deutlich mehr Wohnraum bräuchte), die Kreditvergabe der Banken sinkt merklich – teils, weil sie selbst die Kreditvergabe an strengere Bedingungen knüpfen, teils weil die Nachfrage nach Krediten sinkt –, die Geschäfte der Unternehmen und ihre Gewinnaussichten schrumpfen. Hinzu kommen noch die Probleme der Banken, deren Bilanzen unter der Abwertung vieler niedrig verzinster Anleihen in ihren Büchern knirschen, und – zumindest in den USA – neue Risiken am Immobilienmarkt. 

Es war immer klar, dass steigende Leitzinsen nicht von jetzt auf gleich den Preisauftrieb einbremsen würden. Und es ist eben schwer, in dieser Lage den richtigen Zinssatz zu finden, der einerseits die Inflation runterbringt, zugleich aber keine Depression auslöst. Zehn Zinsanhebungen (USA) respektive sieben (Eurozone) in sehr großen Schritten und in nur wenigen Monaten sollten jedoch Beweis genug sein, dass die Notenbanken immer noch einigermaßen unabhängig sind und sich nicht allein dem Diktat maßloser Schuldner beugen. Doch auch sie können sich nicht von der Realität da draußen abkoppeln. Die Wirkung der höheren (und weiter steigenden Zinsen) wird sich fortsetzen und die Wirtschaft weiter umtreiben – angesichts der vielen großen und kleinen Krisenherde in der Welt müssen wir einen steilen und harten Absturz der Wirtschaft infolge einer allzu rigorosen Geldpolitik aber auch nicht herbeisehnen.  

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