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Kolumne Auferstanden aus Ruinen

Die Mauerfall-Parties sind vorbei. Aber die Abgründe von Planwirtschaft versteht die Politik weniger denn je. Von Christian Schütte
Christian Schütte
Christian Schütte
© Trevor Good

Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik

Was für merkwürdige Zeiten: Da feiern die Nation und ihre Führungsspitze am Sonntag mit großem Spektakel 25 Jahre Mauerfall. Und drei Tage darauf präsentieren die wichtigsten Wirtschaftsberater der Regierung ein neues Gutachten, das den nahezu flehentlichen Titel trägt: „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“. Wofür diese Ökonomen dann von Teilen der Regierung fast gesteinigt werden.

Marktvertrauen ist gut, Plan und Kontrolle sind besser – das ist der Stand der deutschen Polit- und Parteien-Ökonomie ein Vierteljahrhundert nach dem DDR-Bankrott. Weil die Unternehmer ja immer zu frech und die Verbraucher immer zu dumm sind, kümmert sich eine große Links-Rechts-Koalition eben selbst mit ständig wachsender Detailversessenheit um das Volkswohl. Wahnsinn.

Totalruin wird nicht richtig verstanden

Natürlich hat die Marktwirtschaft seit 1989 viele schwer enttäuscht: Statt des erträumten schnellen Wirtschaftswunders gab es einen schwierigen und zähen Aufbau Ost; der Weltfinanzcrash hat das Bankensystem nicht nur wirtschaftlich, sondern auch intellektuell und moralisch schwer beschädigt. Der historische Totalruin des Sozialismus ist derweil schon fast vergessen.

Womöglich ist das eigentliche Problem aber, dass dieser Totalruin im Grunde niemals richtig verstanden worden ist. In der Öffentlichkeit wurde und wird das wirtschaftliche Desaster eben meistens nur als ein Seitenaspekt der viel gravierenderen politischen Probleme debattiert: Mauer, Stasi, Repression – das sind die großen Themen. Kaffee-, Jeans- und Wohnungsjagd – nervender Alltagskram, jetzt im Rückblick eher skurril und amüsant.

Wie das Eine mit dem Anderen zusammenhing, ist aber eine ganz entscheidende Frage. Eine verbreitete Deutung lautet heute, dass letztlich eine verkalkte Führung aus autoritären Spießern die DDR (und das ganze Sowjetreich) in den Graben gefahren hat. Weil diese engstirnigen, spaßfreien Autokraten ihr Volk nicht richtig machen ließen, ging am Ende auch die Wirtschaft pleite. Der Sozialismus war eine im Prinzip gute Idee, die leider von den völlig falschen Leuten umgesetzt wurde.

Da die Sozialisten von heute sehr viel heller und toleranter, humorvoller und jugendlicher erscheinen, muss vor der neuen sanften Planwirtschaft keinem bange sein.

Der Sozialismus war ein Wirtschaftsdesaster

Diese Deutung übersieht allerdings einen zentralen Punkt: Wer die Wirtschaft dem „Primat der Politik“ unterwerfen will, weil ihm die ungeplant und spontan entstehenden Marktergebnisse nicht gefallen, dem bleibt gar keine andere Wahl als zu Zwangsmitteln zu greifen. Es gilt die Devise: Und bist Du nicht willig, dann meldet sich die Staatsgewalt.

Repression ist nicht bloß eine entbehrliche Marotte von besonders verkalkten Regierenden. Sondern die unvermeidbare Folge eines Wirtschaftssystems, das die Ergebnisse freien Handelns nicht akzeptieren will. Je größer die Kluft wird zwischen den politischen Zielen und der Realität, desto härter muss durchgegriffen werden.

Zugespitzt gesagt: Der Sozialismus war nicht deshalb ein Wirtschaftsdesaster, weil es die Mauer gab. Sondern es gab diese Mauer, weil er ein Wirtschaftsdesaster war.

Marktwirtschaft heißt, dass die Bürger frei miteinander Verträge schließen – und niemand weiß, was am Ende dabei herauskommt. Das „Vertrauen in die Marktprozesse“, das die Wirtschaftsweisen fordern, ist deshalb immer auch ein „Vertrauen in die Freiheit“. Davon könnten wir in der Tat mal wieder mehr gebrauchen.

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