Die Bilder der Amtsübergaben und des Machtwechsels diese Woche waren gute Bilder, auch bewegend und beeindruckend. Es waren Bilder einer Demokratie, in der Regeln und Rituale gelten und geachtet werden, in der sich mit Anstand und Respekt behandelt wird.
Das galt für die Abgeordneten im Parlament, die fraktionsübergreifend Beifall klatschten und plauderten, das galt für die Ernennung der Ministerinnen und Minister, es galt für den letzten Applaus für Angela Merkel und den frischen Applaus für Olaf Scholz. Klar, das wird nicht so bleiben, in einer Demokratie darf und muss gestritten werden. Aber es gibt Momente, da zählen die Gesten und die Symbole, um die Würde der Demokratie festzuhalten, ja sie mit der Wahl von neuen Menschen in Ämter zu bestätigen.
Wem das zu sehr nach politischem Proseminar klingt, der möge sich Bilder aus dem Januar in den USA in Erinnerungen rufen, vom Sturm auf das Kapitol. Sicher, das war nach den heftigen Jahren Donald Trumps ein extremes Ereignis, eine historische Eskalation. Sie zeigte uns aber, wie brüchig auch gefestigte Demokratien werden können. Auch in Europa erleben wir Risse und neue Gräben, immer neue Populisten und Demagogen, die an Rändern auftauchen, die man eigentlich schon für besetzt hielt. Wo nicht immer klar ist, ob der Machtwechsel nicht nur nicht respektiert wird, sondern ob er nur inszeniert wird.
Kurz bevor er zum Kanzler gewählt wurde, konnten mein Kollege Andreas Hoidn-Borchers vom „Stern“ und ich noch einmal Olaf Scholz sprechen, wir trafen ihn im Willy-Brandt-Haus. Scholz war angespannt und in sich ruhend zugleich. (Das Gespräch können Sie als Abonnent hier in voller Länge lesen.)
Ein Gespräch mit Scholz ist nicht einfach, er antwortet oft knapp, hat es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst keine Regung zu zeigen und nichts Persönliches raus zu lassen; er antwortet monoton, kurz bis schmallippig – gleichzeitig findet er Lust darin, eine Frage, die ihm nicht gefällt, mit Langatmigkeit zu erschlagen. Er sagt dann Sätze wie: „Es ist unsere Aufgabe, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger auch mitnehmen, denn angesichts der globalen Herausforderungen sind es auch Fragen der Gerechtigkeit, die alle Bürgerinnen und Bürger unterschiedlich treffen, auch vor dem Hintergrund der Pandemie…“
Genau, schon ist man weggetreten.
Die fünf Kernbotschaften des Olaf Scholz
Dennoch hatte der neue Kanzler klare Kernbotschaften an sein Volk:
Erstens: „Ich sage nicht, dass alles einfach wird, ich sage nur, dass es geht.“ Die neue Regierung will einen Rahmen setzen, angesichts der epochalen Transformation, die bis 2030 vor uns liegt . Viele Pläne, die nun gemacht werde, gehen bis zu der Wegmarke 2030. Es geht nicht nur um neue Ladesäulen und Windräder, also dieses wilde Potpourri aus Umbau und Ausbau, sondern um die klimaneutrale Revolution der Wirtschaft; um Investitionen und den Austausch von Infrastruktur. Die Zahlen bis 2030 klingen ehrgeizig, erschlagend, mitunter utopisch – vor allem die eine: 80 Prozent erneuerbare Energien will die Ampel bis Ende des Jahrzehnts erreichen. Dieses Ziel wird das Land fundamental verändern.
Zweitens: Die große Frage ist ja: Hält diese Aufbruchstimmung, die die Ampel zweifelsohne erzeugt hat, oder wird sie unter der vierten Corona-Welle begraben? Da sagte der neue Bundeskanzler: „Viele sind neugierig: Da kommt jetzt eine neue Koalition mit drei Parteien, die so noch nie zusammengearbeitet haben. Eine Regierung, die sich dem Fortschritt verpflichtet fühlt, die einen neuen Stil pflegt. Aus dem Schwung, der damit verbunden ist, kann etwas entstehen, das lange hält, auch über eine Legislaturperiode hinaus. Ich habe bewusst gesagt, wir haben Aufgaben für ein ganzes Jahrzehnt.“ Und er fügte hinzu: „Krisen kann man sich nicht aussuchen, das gilt für Wirtschaftskrisen genauso wie für Naturkatastrophen.“ Dennoch, die Gefahr, dass die Kräfte der Ampel monatelang von der vierten Welle und Omikron absorbiert werden, ist ja durchaus da.
Drittens: Der neue Kanzler empfindet eine „große Enttäuschung“, dass sich nicht genügend Menschen haben impfen lassen. Er findet: Die Umgeimpften verhalten sich unsolidarisch. „Sie haben damit nicht nur eine Entscheidung für sich selbst getroffen, sondern eine, die unser aller Leben betrifft.“ Deshalb ist auch Scholz inzwischen für eine Impfpflicht, die er im Sommer noch abgelehnt hatte. Spaltet dies nicht das Land? Die Frage, sagte der Kanzler, müsse eher lauten: „Darf eine ungeimpfte Minderheit das ganze Land in einen Lockdown treiben? Jeder und jede kann sich impfen lassen. Es gibt nur ganz, ganz wenige, bei denen es aus medizinischen Gründen nicht ratsam ist.“
Viertens: Wir müssen schneller werden. Natürlich geht es die kommenden Jahre auch ums Geld, und Finanzminister Christian Lindner muss aufpassen, dass er nicht David Copperfield spielt, dass ständig neue Summen auftauchen und wieder verschwinden. Es geht aber auch um unsere Fähigkeit und Kapazitäten, das Geld ausgeben zu können. Viele Töpfe sind ja noch voll und leeren sich nicht. Wie wollen Sie dafür sorgen, fragten wir, dass das Geld nicht nur bereitgestellt, sondern auch investiert wird? Auch hier war der Kanzler klar: „Berechtigte Frage, das ist eine echte Herausforderung. Deshalb ist es uns so wichtig, die Länge der Genehmigungs- und Planverfahren wirklich zu verkürzen. Das werden wir in den ersten zwölf Monaten angehen. Denn wenn wir neue Leitungen bauen wollen, darf die Planung nicht so viele Jahre dauern wie heute, bevor der erste Spatenstich geschieht. Andernfalls würden wir viele Mittel nur ins Schaufenster stellen.“
Fünftens: Wieviel mutet er uns allen zu? Scholz rechnet mit „breiter Unterstützung“ der Deutschen. Schon heute gibt es indes überall Widerstände, gegen Windräder, Stromleitungen, praktisch gegen alle Großprojekte, ja sogar gegen neue Wohnungen. Wenn wir nun drei Mal so viel und doppelt so schnell bauen, wieso soll der Protest dann verschwinden? Hier versuchte es der Kanzler mit Dialektik: Wenn dieser Umbau Teil eines Plans ist, den jeder und jede versteht, kippe der Protest in Zustimmung. „Es geht nicht um Zumutung, sondern um Fortschritt!“ sagte er. „Welche Zumutungen stellt es dar, sich demnächst mit einem Elektrofahrzeug schnell und leise fortzubewegen statt mit einem Auto, das mit Benzin oder Diesel betrieben wird?“ Gut auf den Punkt gebracht.
Der Beweis für diese Umdeutung von Veränderungsbereitschaft muss noch erbracht werden. Den Fortschritt wird man ja hart messen können. So wie die Corona-Zahlen in einigen Wochen die Zahlen von Karl Lauterbach sind, die Schulden die von Christian Lindner und das Wachstum im 1. Quartal 2022 das von Robert Habeck, werden schon in einem Jahr vor allem der CO2-Ausstoß und die Terrawattstunden an erneuerbarem Strom die harte Währung für die neue Regierung sein.
Die berühmte Schonfrist gibt es diesmal nicht, denn ein Virus interessiert sich nicht für 100 Tage. Den Aufbruchswillen sollte man dennoch nicht vorzeitig kaputtreden und ersticken, denn er tut einem Land, das über Jahre nur Auenland sein wollte, ziemlich gut.
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