Zitter-Wahl für Friedrich Merz: Der CDU-Chef ist im zweiten Anlauf im Bundestag zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Am Ende stimmten 325 Abgeordnete mit „Ja“ und damit neun mehr als die nötige Mehrheit von 316. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament. „Ich bedanke mich für das Vertrauen, und ich nehme die Wahl an“, sagte Merz auf die entsprechende Frage von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner
Im ersten Wahlgang hatten ihm überraschend sechs Stimmen gefehlt. Das war in der Geschichte der Bundesrepublik in der Form ein Novum: Noch nie war nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag durchgefallen. Nun geht es an die Vereidigung, auch von Merz' Ministerinnen und Minister. So sieht das Bundeskabinett von Union und SPD aus:
Das Merz-Kabinett – seine Ministerinnen und Minister
Der bisherige SPD-Chef Lars Klingbeil wird Vize-Kanzler und Finanzminister. Dieser Posten gilt als der wichtigste nach dem von Kanzler Friedrich Merz (CDU), was ihn zu einer entscheidenden Position in der Regierung macht. Klingbeil hatte sich zuletzt als starker Mann der Sozialdemokraten etabliert.
Der bisherige Arbeitsminister Hubertus Heil stand für kein Amt mehr zur Verfügung. Seine Nachfolgerin wird die frühere Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, die durch ihre politische Erfahrung und ihr Engagement in verschiedenen Bereichen der SPD gut vernetzt ist. Bas ist eine von insgesamt vier SPD-Frauen, die nun Ministerinnen werden.
Verteidigungsminister Boris Pistorius konnte sich relativ sicher sein, dass er sein Amt behält – und so kam es. Der 65-Jährige führt die Beliebtheits-Ranglisten an und galt als unumstritten. Mit seiner breiten Unterstützung und seiner überzeugenden Führungskompetenz bleibt er eine feste Größe in der Regierung.
Stefanie Hubig (56) ist seit 2016 Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz. In der Kultusministerkonferenz ist sie seit 2024 zudem Koordinatorin der SPD-geführten Länder. Doch in Berlin kennt man die SPD-Politikerin vor allem in einer anderen Rolle. Im Bundesjustizministerium begann sie im Jahr 2000 und stieg zur Referatsleiterin auf. 2008 ging sie nach Mainz: Erst in die Staatskanzlei, 2009 übernahm sie die Leitung der Abteilung Strafrecht im Justizministerium. Hubig wurde 2014 Staatssekretärin im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Justizminister war damals ihr Parteikollege Heiko Maas. Beide gerieten mit dem damaligen Generalbundesanwalt Harald Range aneinander: Dabei ging es um später eingestellte Ermittlungen gegen zwei Blogger von Netzpolitik.org wegen Landesverrats.
Carsten Schneider war in der Ampel-Regierung von Olaf Scholz Staatsminister und Beauftragter für Ostdeutschland. Damit war er eine der profiliertesten Stimmen dieser Region und sollte vor allem für gleichwertige Lebensverhältnisse in den ostdeutschen Bundesländern sorgen. Schneider stammt aus Erfurt und sitzt bereits seit 1998 im Bundestag. Dort war er unter anderem Haushaltspolitiker, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Der 49 Jahre alte Bankkaufmann gilt als pragmatisch, erfahren und vielseitig einsetzbar. Er versteht sich gut mit dem künftigen Vizekanzler Klingbeil – die beiden waren sogar gemeinsam im Rennrad-Urlaub.
Entwicklungsministerin wird die erst 35-jährige bisherige Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan. Nun folgt der nächste Schritt auf der Karriereleiter der Schwerinerin. Geboren wurde Alabali-Radovan 1990 in Moskau. Im Alter von sechs Jahren kam sie mit ihrer Familie, die vor den politischen Verhältnissen im Irak floh, nach Mecklenburg-Vorpommern. Als Integrationsbeauftragte setzte sie sich unter anderem gegen Racial Profiling ein, also die verdachtsunabhängige polizeiliche Kontrolle von Menschen allein wegen ihrer Hautfarbe und anderen ethnischen oder religiösen Merkmalen. Alabali-Radovan ist verheiratet mit dem Profiboxer Denis Radovan und bekam 2023 eine Tochter. Als Integrationsbeauftragte machte sie damals keine lange Pause.
Die neue Bauministerin Verena Hubertz ist eine politische Senkrechtstarterin und im Capital-Ranking der „Top 40 unter 40“ vertreten. Die 37-Jährige ist seit 2021 Bundestagsabgeordnete und wurde direkt stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, zuständig unter anderem für Wirtschaft, Klimaschutz und Energie, Bauen und Wohnen. Oft führte sie in der Ampel-Koalition Verhandlungen mit Politikern von Grünen und FDP, wenn es um strittige Fragen ging. Laute Töne sind nicht ihr Fall. Die Triererin und Betriebswirtin hat eine für Politiker eher ungewöhnliche Biografie. 2013 gründete sie mit einer Studienkollegin das Küchen-Start-up Kitchen Stories. Die Idee: in Videos und Schritt für Schritt zu zeigen, wie einfach Kochen sein kann.
In den Ampel-Jahren ist der 52-Jährige als Manager der Unionsfraktion zu einem der wichtigsten Vertrauten von Merz geworden. Er gilt als akribischer Arbeiter und in allen wichtigen politischen Themen als sattelfest. Seit 2013 sitzt der eloquente Jurist im Bundestag und ist ein gefragter Talkshow-Gast. Im Kanzleramt soll Frei künftig für einen reibungslosen Regierungsablauf sorgen, Fallstricke aus dem Weg räumen und den Kontakt zu den Ländern halten. Kritiker bemängeln, dem verheirateten Vater dreier Kinder fehle Regierungserfahrung. Das politische Handwerk lernte Frei in seiner Heimat: Von 2002 bis 2004 als Regierungsrat im Staatsministerium Baden-Württemberg, anschließend bis 2013 als Oberbürgermeister von Donaueschingen.
Erster CDU-Außenminister seit fast 60 Jahren wird der Fachpolitiker Johann Wadephul aus Schleswig-Holstein. Zuletzt besuchte er die Außenminister Frankreichs, Polens und deren Kollegen aus Italien und Großbritannien. Seit 2009 sitzt der Jurist und Ex-Zeitsoldat im Bundestag, er gilt als Vertrauter von Merz. Dieser dürfte hoffen, im Gleichklang mit Wadephul Außenpolitik machen zu können – anders als bei der Ampel, wo sich Baerbock gerne mit einem eigenständigen Kurs von Kanzler Olaf Scholz (SPD) absetzte. Privat bezeichnet sich Wadephul als Familienmensch – er hat seine Schulfreundin geheiratet.
Karsten Wildberger übernimmt das neue Digitalministerium. Der 56-Jährige ist Vorstandschef von Ceconomy (Düsseldorf) und Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding mit rund 1000 Märkten. Er verfügt über breite Erfahrung in der digitalen Transformation, die er in Führungspositionen bei T-Mobile, Vodafone, Telstra und beim Energiekonzern Eon vertiefte. Bei Ceconomy trieb er zuletzt den Ausbau des Online-Geschäfts voran. Wildberger stammt aus Gießen, studierte Physik in München und Aachen, promovierte und arbeitete als Berater bei der Boston Consulting Group.
Die Nominierung der 51-jährigen Katherina Reiche als Wirtschaftsministerin kommt überraschend. Die gebürtige Brandenburgerin zog 1998 mit 25 Jahren in den Bundestag ein, war sieben Jahre Parlamentarische Staatssekretärin und Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Reiche gilt als selbstbewusst, ehrgeizig und bestens vernetzt. Von 2005 bis 2009 war sie stellvertretende Fraktionschefin der Union und trat für neue Atomkraftwerke ein. 2015 wechselte die Diplom-Chemikerin zum Verband kommunaler Unternehmen, später übernahm sie den Vorsitz des Energieversorgers Westenergie.
Patrick Schnieder soll neuer Bundesverkehrsminister werden. Der 56-jährige Jurist sitzt seit 2009 im Bundestag und gewann den Wahlkreis Bitburg direkt. In der letzten Legislaturperiode war er Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion und gehörte damit zum Führungskreis um Friedrich Merz. Schnieder war zudem stellvertretendes Mitglied im Verkehrsausschuss. In seiner neuen Rolle wird er eine Schlüsselposition bei der Umsetzung des 500 Mrd. Euro schweren Sondervermögens für Infrastruktur einnehmen, vor allem für Brücken- und Schienensanierungen.
Gesundheitsministerin soll überraschend die CDU-Bundestagsabgeordnete Nina Warken werden. An den Koalitionsverhandlungen war sie noch in der Arbeitsgruppe Inneres, Recht und Migration beteiligt. Im Bundestag saß die Parlamentarische Geschäftsführerin der Unionsfraktion auch im Ältestenrat. Jahrzehntelange Erfahrungen im Gesundheitswesen wie der scheidende Minister Karl Lauterbach (SPD) hat die Juristin nicht gesammelt. Die 45-Jährige ist CDU-Generalsekretärin in Baden-Württemberg – und Hobby-Tennisspielerin.
Karin Prien, CDU-Bundesvize und eine der profiliertesten Bildungspolitikerinnen der Union, ist seit 2017 Bildungsministerin in Schleswig-Holstein. Die 59-jährige Juristin ist stellvertretende CDU-Landes- und Bundesvorsitzende, meinungsstark und debattenerprobt. Zuvor war sie sechs Jahre Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Prien lebt in Hamburg, hat drei Kinder und kocht leidenschaftlich gern. Ihre Familie floh einst vor den Nazis in die Niederlande, wo sie geboren wurde.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt soll Innenminister werden. Der 53-Jährige ist einer der engsten Vertrauten von Parteichef Markus Söder und war bereits Bundesverkehrsminister. Als Landesgruppenchef prägt er seit Jahren die Linie der CSU in Berlin. Mit dem Wechsel ins Kabinett würde Söder seinen wichtigsten Mann erneut an zentraler Stelle platzieren.
Das Forschungsministerium wird um den Bereich Raumfahrt erweitert. Als neue Ministerin hat die CSU Dorothee Bär nominiert. Die 45-jährige CSU-Politikerin war von 2018 bis 2021 Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt und hat sich in dieser Zeit als Expertin für Technologie- und Zukunftsthemen etabliert.
Nach der Absage von Bayerns Bauernpräsident Günther Felßner wird der CSU-Bundestagsabgeordnete Alois Rainer neuer Agrarminister. Der 60-jährige Rainer kommt aus einer sehr politischen Familie – sein gleichnamiger Vater war lange Bundestagsabgeordneter, seine Schwester Gerda Hasselfeldt Bundesministerin und CSU-Landesgruppenchefin. Der Niederbayer war bislang als Verkehrs- und Finanzpolitiker bekannt. CSU-Chef Markus Söder hält Rainer trotzdem für den „perfekten Kandidaten“: Er stehe als Metzger, Gastwirt und ehemaliger Bürgermeister für lauter Themen, die für Bayern wichtig seien.