Normalerweise sind Unternehmen nicht sonderlich glücklich, wenn ihnen Wettbewerbshüter einen Strich durch ihre geplanten Übernahmen machen. Warum sollten sie auch? Die Übernahme verspricht schließlich mehr Umsatz, mehr Marktanteile und die Aussicht, einen Konkurrenten auszuschalten. Im Fall von Amazon dürfte dies aber anders sein: der Versandriese verzichtete nun auf die Übernahme des Staubsaugeranbieters iRobot. Die Europäische Kommission hatte zuvor Bedenken geäußert, weil sie durch die Übernahme den Wettbewerb auf der Amazon-Plattform bedroht sah.
Der Online-Händler teilte am Montag mit, er sehe keinen Weg, die Zustimmung der EU zu dem 1,4 Mrd. Dollar schweren Deal zu erhalten. Nach früheren Aussagen von Insidern wollten die EU-Wettbewerbshüter ihr Veto gegen den Kauf des Anbieters von „Roomba“-Staubsaugerrobotern einlegen, weil dies die bereits starke Stellung des weltgrößten Online-Händlers im Markt für intelligente Haushaltsgeräte weiter gestärkt hätte. Zu Amazon gehört bereits das Assistenzsystem „Alexa“ sowie der Heimüberwachungsspezialist „Ring“.
Als Reaktion auf die geplatzte Übernahme brachen die Aktien von iRobot am Montag im vorbörslichen US-Geschäft um fast 20 Prozent ein und waren mit 13,76 Dollar so billig wie zuletzt vor mehr als 14 Jahren. Im regulären Handel an der Nasdaq büßte der Titel knapp 8,8 Prozent auf 15,50 Dollar ein. Die Amazon-Aktie legte 1,3 Prozent zu.
Insgeheim dürfte Amazon die Entscheidung der EU-Kommission sogar freuen. Denn rein wirtschaftlich betrachtet wäre die Übernahme heute ein schlechter Deal. Amazon hatte im August 2022 angekündigt, iRobot zu kaufen. Der Handelskonzern bot damals 61 Dollar pro Aktie, das ergab einen Gesamtpreis von rund 1,7 Mrd. US-Dollar. Schon im Laufe des Übernahmeprozesses sank der Preis um 15 Prozent auf etwa 1,4 Mrd. Dollar. Das ist aber immer noch deutlich mehr als die 500 Mio. Euro, die iRobot zuletzt an der Börse wert war. Nachdem der Umsatz in den ersten neun Monaten 2023 um fast 30 Prozent eingebrochen ist und der operative Verluste im gleichen Zeitraum um 40 Prozent stieg, fiel auch der Aktienkurs des Unternehmens. Am Ende hätte Amazon also fast 900 Mio. Dollar mehr gezahlt, als iRobot an der Börse wert war.
Amazon lässt Frist verstreichen
Normalerweise ist es für Unternehmen kompliziert, von Übernahmeplänen zurückzutreten – siehe das Gerangel um den Twitter-Kauf von Elon Musk. Eine regulatorische Hürde stellt aber eine solche Möglichkeit dar. Offenbar sah Amazon die Bedenken als Chance zum Ausstieg: Mitte Januar ließ der Online-Händler eine Frist zur Stellungnahme verstreichen. In dieser Stellungnahme hätte Amazon Bedenken gegenüber der EU-Komission ausräumen können – tat es aber nicht.
Für Investoren wie Christian W. Röhl zeigt das exemplarisch, wie riskant Übernahmefantasien für Anleger sind. „Die Causa bestätigt mich in meiner Regel: Aussteigen, wenn ein Übernahmeangebot kommt“, schreibt Röhl auf der Plattform X. „Die Aussicht auf Nachbesserung oder gar ein Wettbieten mag verlockend sein – hängt indes an so vielen Stellschrauben, dass ich das gerne den Merger Arbitrage-Profis überlasse.“
iRobot war 1990 von drei Mitarbeitern am Labor für künstliche Intelligenz des Massachusetts Institute for Technology (MIT) gegründet worden. Anfangs entwickelte iRobot noch Roboter für Militär und Polizei. Bekannt geworden ist das Unternehmen jedoch als Hersteller der Roomba genannten Staubsaugerroboter. Das erste Modell wurde 2002 vorgestellt. 30 Millionen Stück wurden nach Unternehmensangaben bis 2020 verkauft.
iRobot trifft die gescheiterte Übernahme deutlich härter. Das zeigt sich nicht nur an der Reaktion der Börse. Auch personell steuert das Unternehmen auf harte Zeiten zu. Das Unternehmen kündigte umfassende Restrukturierungen an, die die Entlassung von 31 Prozent der Belegschaft oder 350 Beschäftigte umfasst. CEO Colin Angle wird iRobot verlassen.
Amazon und iRobot dürften trotzdem in Kontakt bleiben: Roombas lassen sich über Amazons digitale Sprachassistentin Alexa steuern, zudem nutzt iRobot seit Jahren die Server von Amazon.