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Sanktionsfolgen „Enteignungen würden Russland massiv zurückwerfen“

Daimler Trucks produzierte in Russland Lkws
Daimler Trucks produzierte in Russland Lkws
© IMAGO / ITAR-TASS
Nachdem die russische Regierung mit Enteignungen gedroht hat, fürchten deutsche Unternehmen um ihre Investitionen in dem Land. Der Sanktionsexperte Sascha Kuhn hält die Gefahr von Verstaatlichungen für real. Allerdings wäre der Preis auch für Russland hoch

Deutsche Unternehmen haben in Russland rund 25 Mrd. Euro investiert. Sie gehören zu den stärksten ausländischen Investoren. Die russische Regierung droht nun mit Verstaatlichung, Enteignung. Wie konkret ist die Gefahr?

Sascha Kuhn
© PR

Sascha Kuhn ist Partner der britischen Kanzlei Simmon&Simmons in Düsseldorf. Er zählt zu den führenden Sanktionsexperten in Deutschland, auch hinsichtlich der verschiedenen Sanktionen der EU gegen den Iran hat der Strafrechtler zahlreiche Unternehmen beraten. Zu seinen Schwerpunkten zählen auch Compliance-Fragen, einschließlich der Bereiche Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. 

SASCHA KUHN: Die Gefahr ist sehr real. In einem Gesetzesentwurf droht die russische Regierung westlichen Konzernen, die sich aus Russland zurückziehen, offen mit Enteignung: Unter anderem Unternehmen, die zu mehr als 25 Prozent Vertretern von „unfreundlichen Staaten“ gehören, sollen danach einer externen Verwaltung unterstellt werden. Als „unfreundlich“ gelten alle Länder, die gegen Russland Sanktionen verhängt haben. Gelten soll das Gesetz für alle Unternehmen mit einem Vermögen von mehr als 1 Mrd. Rubel (Buchwert) und im Durchschnitt mehr als 100 Mitarbeitenden.

Wie groß ist die Sorge der deutschen Unternehmen – was hören Sie von Ihren Mandanten?

Einige Unternehmen sind bereits von der russischen Staatsanwaltschaft kontaktiert worden. Neben der Enteignung droht Russland den Unternehmern nämlich auch noch mit dem Strafrecht. Der Rückzug aus Russland und die Geschäftsaufgabe wird nach russischem Recht als Insolvenzstraftat gewertet. Die Geschäftsführer könnten danach persönlich haftbar gemacht werden.

Wie können sich die Unternehmen zur Wehr setzen?

Rechtlich sind diese Investments in Russland bestens abgesichert. Es gibt einen bilateralen Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der UdSSR, der später auf die Russische Föderation übergegangen ist. In diesem völkerrechtlichen Vertrag (aus dem Jahr 1989) ist der gegenseitige Schutz von Kapitalanlagen geregelt. In Fällen einer Enteignung muss danach eine Entschädigung im Wert der Kapitalanlage zum Zeitpunkt der Verstaatlichung gezahlt werden. Doch wieviel ist so ein Vertrag jetzt noch wert? Natürlich kann ein Unternehmen vor ein internationales Schiedsgericht ziehen und sein Recht aus dem Investitionsschutzabkommen erstreiten. Aber Russland schert sich gerade nicht ums Völkerrecht, es ist kein Rechtsstaat.

Enteignung – was heißt das praktisch?

Die russische Regierung setzt einen externen Verwalter ein, der das Unternehmen als Organ leitet, das Vermögen wird auf eine neue Gesellschaft überschrieben, die Aktien dieser neuen Gesellschaft werden im Anschluss versteigert.

Würde es helfen, Unternehmen und Vermögen zu übertragen, einen Treuhänder einzusetzen?

Dazu müssen sie erst mal einen Käufer finden, der einen halbwegs vernünftigen Preis zahlt. Es weiß ja jeder, dass sie unter Druck stehen. Es müsste außerdem sehr schnell gehen, das Gesetz kann jederzeit in Kraft treten und wir wissen nicht, ob es Übergangsfristen geben wird. Schwierig außerdem: Auch ein neuer Treuhänder kann sehr schnell in das Visier des russischen Staates geraten.  

Sie kümmern sich vor allem um Unternehmen, die von den Wirtschaftssanktionen betroffen sind. 

Die meisten Unternehmen wollen erst mal wissen, ob ihre Dienstleistungen oder Produkte unter die Sanktionen fallen. Die Liste ändert sich fast täglich und ist für viele Unternehmen schwer zu entwirren. Die wollen wissen, ob sie ihre Produkte noch exportieren dürfen und sich auf keinen Fall strafbar machen. Wir reden immerhin über Haftstrafen von bis zu zehn Jahren. Der Abbruch der Geschäfte ist für die Unternehmen natürlich einfacher, wenn sie sagen können, sie dürfen nicht mehr, weil sie dann gegen Sanktionen verstoßen würden. Ansonsten wird es schwieriger aus den Verträgen herauszukommen. Am schwierigsten ist es für die, die dort Kapitalanlagen haben. Die können nicht einfach zusammenpacken und gehen.

Einige wollen aber auch bleiben.

Ein signifikanter Anteil will tatsächlich kein Geschäft mehr mit Russland machen, den Krieg nicht mitfinanzieren und sich die Hände blutig machen. Einige würden gerne bleiben, beenden ihr Russland-Geschäft aber trotzdem, weil sie einen riesigen Reputationsschaden in der westlichen Welt fürchten. Einige Unternehmen, die bislang noch in Russland aktiv sind, erleben gerade massive Proteste im Netz oder auch vor ihren Filialen, dass sie sich die Hände blutig machen. Die Abwägung muss jedes Unternehmen für sich treffen. Es gibt – humanitäre Gründe – zu bleiben. Aber es gibt auch immer das Argument, sich dann mitschuldig zu machen. Aber all das sind keine juristischen Entscheidungen.

Welche Risiken birgt eine Verstaatlichung für Russland?

Die meisten Unternehmen in Russland sind auf Dauer allein nicht überlebensfähig. Sie sind auf bestimmte Vorprodukte, bestimmtes Know-how angewiesen und funktionieren nicht ohne den Weltmarkt. Wenn eine VW-Tochter verstaatlicht würde, dann wäre sie ja nicht mehr Teil des VW-Logistikverbundes, die Zuliefer- und Ersatzteile blieben aus, Autofertigung würde stillstehen, die Beschäftigen arbeitslos. Enteignungen würden Russland massiv zurückwerfen und für viele Jahrzehnte einen Vertrauensverlust auslösen.

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