Die Berlinerinnen und Berliner haben entschieden: Geht es nach den Bürgern, soll die Hauptstadt große Wohnungsgesellschaften enteignen. Das ist zumindest das Ergebnis eines Volksentscheids vom vergangenen Sonntag. Mehr als die Hälfte der Berliner stellte sich damit hinter die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Die fordert, Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen zu „vergesellschaften“. Kritiker sehen in dem Entscheid einen Eingriff in die freie Marktwirtschaft, Befürworter hingegen erhoffen sich ein Ende von Wohnungsnot und Mietpreisspirale.
Betroffen wären etwa 240.000 Wohnungen. Gegen Entschädigung würden sie in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt. Konkret bedeutet das: Berlin würde den großen Immobilienkonzernen die Wohnungen abkaufen – ob sie wollen oder nicht. Danach soll die Stadt als neue Eigentümerin für bezahlbare Mieten sorgen. Viele fragen sich jetzt: Darf Berlin das? Und welche Folgen hat eine solche Enteignung für Eigentümer und deren Mieter? Die Antwort lautet: Es kommt drauf an.
Rechtliche Bedenken
Zuallererst müsste der Volksentscheid politisch umgesetzt werden. Und das ist aktuell aus zwei Gründen fraglich: Zum einen gibt es außer in der Partei Die Linke kaum Unterstützung für eine Enteignung. Nicht zuletzt Franziska Giffey, die beste Chancen hat, die nächste Regierende Bürgermeisterin zu werden, nimmt eine abwehrende Haltung ein: „Durch Enteignung lösen wir kein Problem und setzen damit ein ganz schwieriges Signal“, sagte Giffey Mitte September in einem Interview mit dem ZDF. Zum anderen „bestehen gewichtige, rechtliche Zweifel an der Umsetzbarkeit eines positiven Volksentscheids“, sagt der Jurist Ulrich Battis. In seinem Gutachten erklärt Battis, dass eine Enteignung zum einen ein unverhältnismäßiger Eingriff in privates Eigentum sei und außerdem gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße, solange sie nur Gesellschaften mit mehr als 3000 Wohnungen betrifft.
Theoretisch ist so eine Enteignung möglich und auch nicht ungewöhnlich. „Eine Enteignung ist zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“, heißt es dazu in Artikel 14 des Grundgesetzes. Der Staat enteignet ständig; bloß wurde das Gesetz bislang nie dazu angewendet, um Wuchermieten zu begrenzen oder Teile einer Branche zu verstaatlichen. Übliche Gründe für eine Enteignung sind zum Beispiel der Bau einer neuen Straße oder die Verlegung von Bahnschienen, erklären die Experten der Maklerplattform Homeday. Laut Bundesverkehrsministerium laufen hierzulande aktuell 142 Enteignungsverfahren gegen Eigentümer, die neuen Autobahnen oder Bundesstraßen weichen sollen. Besonders viel enteignet wird mit 28 Verfahren im Bundesland Sachsen.
Soll jemand sein Eigentum an den Staat abtreten, geht er immerhin nicht leer aus. Das Grundgesetz schreibt nämlich vor, dass Betroffene eine Entschädigung für ihr Eigenheim erhalten müssen. In den meisten Fällen gibt es so viel Geld, wie die enteignete Immobilie aktuell am Markt wert ist. Denn das „Entschädigungsangebot“ gilt nur dann als angemessen, „wenn es den Entschädigungswert um nicht mehr als 25 Prozent unterschreitet“, sagt Eileen Schreiterer, Immobilienexpertin bei Homeday. Die Stadt Berlin würde die Enteignung der Wohngesellschaften schätzungsweise zwischen 7 und 36 Mrd. Euro kosten – je nachdem, ob man die Initiative Deutsche Wohnen oder den Berliner Senat fragt. Der Staat könnte allerdings auch durch Sachwerte entschädigen: Der Enteignete bekäme in diesem Fall zum Beispiel ein wertgleiches Grundstück.
Bei Enteignung gilt Steuerfreiheit
Nicht in jedem Fall ist eine Enteignung zulässig, und Eigentümer können dagegen auch juristisch vorgehen. Manchmal allerdings kann sie sich sogar lohnen. „Aus steuerlicher Sicht ist eine Enteignung gar nicht schlimm“, sagt Steuerberater Joachim Hoffmann vom Beratungsunternehmen Ecovis. Wer normalerweise ein Grundstück verkauft, muss Steuern auf dem Erlös an den Fiskus abführen. Das gilt allerdings nicht, wenn ein Eigentümer aufgrund einer Enteignung entschädigt wurde. Der Grund: Eine Enteignung erfolgt in der Regel unter Zwang und nicht aus freiem Willen, weswegen der Staat hier Steuerfreiheit zusichert. Diese gilt im Übrigen auch dann, wenn eine enteignete Person ihr Grundstück noch vor der Enteignung verkauft, da sie auch dann nicht freiwillig handelt.
Nach dem Berliner Volksentscheid ist noch offen, ob eine Verstaatlichung Berliner Mieterinnen und Mietern tatsächlich hilft. Die Initiative Deutsche Wohnen geht davon aus, dass die Enteignung sie vor allem vor künftigen Mietpreiserhöhungen schützen dürfte. Damit könnte sie die Mietpreisspirale in der Hauptstadt zumindest etwas bremsen. Das Problem der Wohnungsknappheit wird sie allerdings nicht lösen können. Im Gegenteil: Der Bau neuer Mietwohnungen könnte vielmehr zurückgehen. „Eine Vergesellschaftung dürfte viele Unternehmer – weit über den Wohnungsmarkt hinaus – verschrecken“, sagt Michael Voigtländer, Immobilienexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft.
Immerhin: Bei einer Enteignung dürfen die Mieter wohnen bleiben. Sie bekämen lediglich einen neuen Vermieter, heißt es auf der Internetseite der Initiative Deutsche Wohnen. Das bestätigt auch der Berliner Mieterverein, „der Kündigungsschutz bleibt trotz Vermieterwechsel bestehen.“ Allerdings kann auch der neue Vermieter Mietern aufgrund wirtschaftlicher Gründe oder Eigenbedarf kündigen.
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