Vasily Astrov „Auch ohne Sanktionen droht Russland eine Rezession“

Lässt sich Russlands Präsident Putin von westlichen Sanktionen aufhalten
Lässt sich Russlands Präsident Putin von westlichen Sanktionen aufhalten
© IMAGO / ZUMA Wire
Russland hat sich auf Sanktionen vorbereitet, trotzdem ist die Wirtschaft nicht immun dagegen, sagt der österreichische Ökonom Vasily Astrov. Aber nicht einmal ein Ölembargo würde den Kriegsherren Putin jetzt noch von seinem Kurs abbringen

Vasily Astrov ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), Experte für Russland und die GUS-Staaten sowie für Fragen der europäischen Energiesicherheit

Capital: Glaubt Präsident Wladimir Putin, er kann die russische Wirtschaft gegen internationale Sanktionen abschotten?

VASILY ASTROV: Die russische Wirtschaft ist nicht ganz immun. Die bisher von den USA und Europa verhängten Sanktionen sind relativ harmlos. Das ist eher Symbolpolitik. Selbst eine der härtesten Strafen aus meiner Sicht – die Suspendierung von Nord Stream 2 – hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die russische Wirtschaft. Es schmerzt, dass die Abhängigkeit vom Gastransit über die Ukraine in absehbarer Zeit erhalten bleibt. Aber die Sanktionen, die nun auf den Angriff auf die Ukraine mit Sicherheit folgen werden, sind weitaus härter, und wenn ich es richtig verstehe, wäre die härteste eine Beschränkung der Ausfuhren nach Russland – wahrscheinlich ein Exportverbot von Hightech-Gütern, von hochwertiger Elektronik, von Halbleitern, Chips und ähnlichem. Und dafür ist die russische Wirtschaft schon anfällig. Das nächstschärfste Instrument wäre der Ausschluss vom internationalen Zahlungsverkehr Swift, und die absolut nukleare Lösung wäre es, Energielieferungen aus Russland zurückzufahren.

Politisch folgt Kriegsherr Putin offenbar einem sehr ausgeklügelten Drehbuch. Hat er auch die russische Wirtschaft auf drohende Sanktionen vorbereitet? Der Rubel ist ja im freien Fall…

Vasily Astrov
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Vor allem hat Russland sich sehr gut auf Finanzsanktionen vorbereitet, die schon nach der Annexion der Krim 2014 der Volkswirtschaft zugesetzt haben. Seit Jahren betreibt Moskau eine sehr straffe Fiskalpolitik und versucht Budgetüberschüsse zu erwirtschaften, damit der Staat nicht darauf angewiesen ist, Defizite mit geborgtem Geld zu decken. Mit Ausnahme des Corona-Jahres 2020 gab es keine; es mussten nur bestehende Staatsschulden refinanziert werden. Die öffentliche Verschuldung ist mit 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sehr niedrig. Im außenwirtschaftlichen Bereich erwirtschaftet Russland seit Jahren Leistungsbilanzüberschüsse, exportiert also mehr als es importiert. Und die Differenz wird teilweise in Form von Devisenreserven gehortet.

Also hat Putin einen dicken Puffer angelegt?

Die Währungsreserven sind massiv gestiegen. Sie betragen momentan über 640 Mrd. Dollar. Damit liegt Russland auf Platz vier in der Welt. Und diese Währungsreserven können dafür eingesetzt werden, zumindest kurzfristig bis mittelfristig die Auswirkungen der westlichen Finanzsanktionen abzufedern. Zum Beispiel haben wir heute den massiven Absturz des russischen Rubel beobachtet, und daraufhin hat die Zentralbank Interventionen angekündigt, um diese Wechselkursschwankungen in Grenzen zu halten.

Einige Sanktionen zielen auch darauf ab, dass Russland sich nicht mehr über Anleihen am westlichen Kapitalmarkt finanzieren kann. Schmerzen die?

Auch die Auslandsverschuldung von Staat und Wirtschaft ist nicht hoch. Wir sprechen von 28 Prozent des BIP – und die Währungsreserven liegen bei 40 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das heißt, rein theoretisch könnte die russische Zentralbank die ganzen Auslandsschulden der heimischen Wirtschaft durch eigene Währungsreserven decken. Theoretisch ist Russland gegen Finanzsanktionen also sehr gut gewappnet. Aber es gibt auch kritische Bereiche.

Es ist damit zu rechnen, dass in einer zweiten Welle eine Art eiserner Vorhang den russischen Finanzmarkt abriegeln wird. Können allein diese großen Währungsreserven dagegen ein wirksames Bollwerk bilden?

Nein. Es müsste ein Zusammenspiel von Währungsreserven und Kooperation mit anderen nicht-westlichen Ländern geben. Ich kann mir vorstellen, dass zum Beispiel China unter Umständen helfen kann. Makroökonomisch gesehen ist Russland nicht darauf angewiesen, sich im Ausland zu finanzieren. Es gibt natürlich Unternehmen, die im Ausland verschuldet sind, und es gibt viele Forderungen der russischen Banken und des russischen Staates gegenüber dem Ausland, die auch sehr hoch sind. Aber die Auslandsverschuldung ist sehr stark zurückgegangen und damit die Abhängigkeit von den westlichen Kapitalmärkten. Ich glaube nicht, dass die Sanktionen hier einen besonders großen Schaden anrichten können.

Und wie wäre es, wenn der Dollar als Waffe gegen das System Putin eingesetzt würde? Es ist ja die Rede davon, russische Banken von Dollar-Transaktionen abzuschneiden?

Das wäre schon einer Swift-Abschaltung sehr ähnlich und würde ganz sicher treffen bzw. das System in die Defensive bringen, wenn die russischen Banken keinen Zugang mehr zum US-Dollar-Clearing hätten. Ja, das wäre die einfachste Maßnahme.

Würde das denn dann nicht auch den gesamten Außenhandel betreffen? 

Russland ist schon darum bemüht, seine Handelstransaktionen mit China und mit Ländern der ehemaligen Sowjetunion, vor allem Mitgliedern der Eurasischen Wirtschaftsunion, nicht mehr in Dollar abzuwickeln, sondern in anderen Währungen. Aber russische Energie, also Öl und Gas, verkauft Russland im Westen für Dollar. Ich habe jetzt keine Zahlen über die Dollarisierung des Außenhandels im Kopf. Aber der Energiehandel wird meistens in Dollar abgewickelt, und der macht mehr als die Hälfte der russischen Exporte aus.

Wie schmerzhaft wäre ein Ausschluss von Swift?

Das wäre schon – wie gesagt – eine fast nukleare Option. Das wird wahrscheinlich zu einem Kollaps der Zahlungsabwicklung mit dem Ausland führen. Es wäre in jedem Fall zumindest kurzfristig ein Schock für die russische Wirtschaft. Mittelfristig ist damit zu rechnen, dass dieser zumindest teilweise durch die Inbetriebnahme eines eigenen Zahlungsabwicklungssystems abgefedert wird. Seit Jahren entwickelt Russland gemeinsam mit China ein alternatives Zahlungssystem, was allerdings zunächst nur im Zahlungsverkehr mit der Volksrepublik eingesetzt werden kann.

Am meisten würden aber Ihrer Meinung Einschnitte im Energiehandel schaden?

Ja, weil russisches Öl und Gas 60 Prozent der russischen Exporte ausmachen. Wenn diese Mengen deutlich gekürzt würden, bedeutet das für die russische Wirtschaft den Sturz in eine tiefe Rezession. Hier sprechen wir schon über Hebel, gegen die die Wirtschaft nicht immun ist. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Option der Einschränkung von Energielieferungen zum Einsatz kommt. Das würde auch sehr starke Einbußen für Europa bedeuten, also für die Länder, die hier von Russland stark abhängig sind. Deutschland vielleicht – das geht noch halbwegs. Aber Österreich und die meisten Länder in Osteuropa genauso.

Glauben Sie, dass selbst so harte Sanktionen überhaupt den Kriegskurs Putins aufhalten können?

Ob die Sanktionen eine politische Wirkung haben, ist eine andere Geschichte. Die russische Führung sieht es derzeit als eine historische Mission an, Russland und die Ukraine – oder zumindest den russischsprachigen Teil davon – wieder zu vereinigen, egal was es kostet. Einschränkungen des Energiehandels wären wohl auch für die russische Führung grenzwertig, das käme einer Schmerzgrenze schon nahe. Die Kosten wären wirtschaftlich so enorm, dass das vielleicht eine gewisse politische Wirkung hätte. Aber wir sind jetzt schon in einer Situation, wo nicht einmal das helfen würde. Wäre diese Option von Anfang an im Raum gestanden, hätte das möglicherweise eine Wirkung haben können. Aber nun da der Krieg angefangen hat, glaube ich, dass es trotz Sanktionen kein Zurück mehr gibt. Jetzt ist es schwierig bis unmöglich, diese Maschine zu stoppen.

Also preist der Kreml-Chef all diese Kosten ein und ist unaufhaltsam?

Putin hat die Kosten einkalkuliert. Aber das sieht er mit anderen Augen. Aus russischer und aus eigener Sicht handelt Putin rational. Für ihn, für Russland, für die russische Führung und die politische Elite ist es eine Frage von Leben und Tod, dass sie aus ihrer Sicht von der Nato eingekreist sind. Und es gibt ein sehr tiefes Misstrauen gegenüber der Nato. Und Putin hat immer gesagt – und er ist ja unter ziemlich harten Umständen auf der Straße in St. Petersburg aufgewachsen – was er aus jungen Jahren gelernt hat: Wenn du weißt, dass ein Straßenkampf kommt, dann musst du als erster zuschlagen. Genau das macht er jetzt.

Dass die Bevölkerung unter Wirtschafts- und Finanzsanktionen leiden wird, scheint ihm dabei auch herzlich egal …

Da kommen wir zu einer Handelsbeschränkung, die sehr schmerzhaft wäre. Ein Exportverbot hochtechnologischer Güter würde im Endeffekt neben bestimmten Industriezweigen auch die Bevölkerung treffen. Das gilt auch für die Finanzsanktionen wie den Ausschluss von Swift oder eben dem Dollar-Clearing. Doch selbst wenn es zu keinen Sanktionen käme, bringt diese Situation schon den Rubel in Gefahr. Es kann auch weitergehen als zehn Prozent Verlust an einem Tag.

Wie wirkt sich der Rubel-Absturz aus? 

Die Abwertung wird die Inflation in die Höhe treiben und die reale Kaufkraft der Menschen senken. Die Abwertung allein führt wie 2014 nach der Invasion der Krim mindestens zu einer Wachstumsverlangsamung. Wenn die Abwertung hoch ist, kann Russland auch ohne Sanktionen in eine Rezession stürzen – ganz einfach aufgrund von Kapitalabfluss und Unsicherheiten. Der Unterschied zu 2014 besteht darin, dass es diesmal kein doppelter Schock von Ölpreisverfall und westlichen Sanktionen ist. Die hohen Energiepreise sind momentan eine wichtige Stütze.

Wie würde sich ein Embargo bei Hightech-Produkten auswirken?

Massive Einbrüche wären hier in der Autoproduktion zu befürchten, wenn es einen Mangel an Halbleiter-Chips gäbe – wie wir ihn auch in den Lieferketten nach Europa beobachten. Aber es ist auch ein mögliches Exportverbot von Verbraucherelektronik auf dem Tisch. Dann wären die russischen Geschäfte halb leer, es bleiben vielleicht nur chinesische Produkte, da auch Japan und Südkorea und so weiter eher zur westlichen Einflusssphäre gehören. Auch Unternehmer aus Ostasien werden dem westlichen Druck nicht widerstehen können. Und das bedeutet natürlich in russischen Geschäften höhere Preise.

Könnte denn die politische oder wirtschaftliche Elite Putin vom Kurs abbringen? Also wenn sie dem Druck gezielter Sanktionen gegen sein Umfeld nachgeben würden?

Diese Sanktionen sind pure Symbolpolitik. Das wird nichts bringen und kann nichts bringen, weil diese Menschen, diese Eliten, von Putin und vom russischen Geheimdienst abhängig sind. Und sie müssen Loyalität zeigen, auch wenn sie gewisse Kosten im Westen hinnehmen müssen. Wahrscheinlich sind solche Strafen eher kontraproduktiv. Als 2014 die westlichen Sanktionen verhängt wurden, war das politisch gesehen so. Denn sie haben vor allem zu einer Konsolidierung der russischen Eliten und auch der Bevölkerung rund um die russische Führung beigetragen.

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