Irgendwann im März, als kaum noch Flugzeuge über dem Nordatlantik unterwegs waren, hat ein Picasso-Gemälde aus einer Privatsammlung New York City in Richtung Europa verlassen. Während die Weltwirtschaft zusehends einfror, ging der Kunsthandel zunächst noch weiter. „Wir haben in wenigen Wochen drei herausragende Top-Werke verkauft“, berichtet der Galerist und Kunsthändler Alexander Baumgarte. Im Interview spricht er über den Kunstmarkt in Zeiten von Corona, die Bedeutung von „Blue Chips“ und wer in diesen Zeiten eigentlich seine Werke verkauft.
Baumgarte ist Inhaber und Chef der international tätigen Samuelis Baumgarte Galerie aus Bielefeld, einer Region mit vielen verschwiegenen Familienunternehmen. Die Galerie besteht seit dem Jahr 1975 und Baumgarte hat in dieser Zeit schon so manche Mode und Krise am Kunstmarkt kommen und gehen sehen. Und auch die globale Finanzkrise der Jahre 2008/2009 hat er als Galerist erlebt. „Seinerzeit wurde der Kunstmarkt in den Sog der Krise gezogen. Bereits nach einem Jahr hat sich der Kunstmarkt aber wieder stabilisiert und positiv entwickelt. Das wird auch in der Corona-Krise wieder so sein“, ist Baumgarte überzeugt.
Dafür kann er quasi drei gemalte Belege anführen. Da ist das nach Europa zurückgekehrte Werk von Pablo Picasso, der zu den wichtigsten und bekanntesten Künstlern des 20. Jahrhunderts zählt. Der Käufer hat dafür „einen zweistelligen Millionenbetrag“ auf den Tisch gelegt, wie Baumgarte sich entlocken lässt. Bald darauf vermittelte der Kunsthändler ein Werk von Marc Chagall aus dessen Hauptschaffensphase in den 1930er-Jahren an eine „süddeutsche Privatsammlung“ und schließlich eines von Heinz Mack, einem der wichtigen deutschen Nachkriegskünstler (Gruppe Zero). „In den vergangenen zwei, drei Wochen gab es weitere Nachfragen“, sagt Baumgarte.
Auf die Frage, ob die Krise Kunst als Investment betreffe, antwortet er: „Wie immer gibt es in jeder Krise Gewinner und Verlierer. Die jetzige Situation bietet für potentielle Sammler große Chancen, herausragende Kunstwerke erwerben zu können, die sonst nicht auf dem Markt verfügbar wären. Das hängt vom Programm der Galerie und des Händlers ab. Wir haben ein gewachsenes Netzwerk.“ Mit anderen Worten, ein guter Händler bringt die richtigen Kunstwerke mit zahlungskräftigen und -willigen Sammlern zusammen.
Baumgarte spricht in diesem Zusammenhang von Blue Chips und orientiert sich dabei an der Sprache der Börsianer. Sie bezeichnen als Blue Chips Standardwerte von großen und stabilen Unternehmen wie Siemens, BASF oder SAP. Als Blue Chips bezeichnet der Kunstexperte Baumgarte „wichtige und herausragende Stücke der vergangenen 100 Jahre“. Bei Kunstwerken, die von der Krise nicht so sehr betroffen sind, rät Baumgarte übrigens auch zur Orientierung am Capital-Kunstkompass ( Heft 11/2019 ). An dessen Spitze rangierten zuletzt bei den Etablierten Gerhard Richter, Bruce Naumann und Georg Baselitz.
Jenseits der Blue Chips erging es Künstlern jedoch ähnlich wie dem Aktienmarkt. Während sich bei Anteilsscheinen an Firmen viele Etablierte gut erholten, bleiben die Schwellenländer - auch Emerging Markets - unter Druck. So auch bei der Kunst, im Segment „Emerging Artists“ und im Mittelfeld der Kunst des 20. Jahrhunderts „kann Corona zur Stagnation führen“, warnt Baumgarte. „Bei zeitgenössischen Künstlern könnte es zeitweilig eine Abwarteposition geben.“ Ein weiteres Problem: Weil die Wirtschaftskrise die Steuereinnahmen schrumpfen lässt, „werden Ankäufe von Institutionen der öffentlichen Hand schleppend laufen“.
Unternehmer müssen verkaufen
Allerdings gibt es auch in diesen Zeiten Sammler, die bereits sind zu kaufen - und die dafür auch nie nötigen Finanzmittel haben. Und sie können durchaus ein Schnäppchen machen, denn so manches Werk aus dem Besitz von Mittelständler kommt dieser Tage auf den Markt. „In wirtschaftlichen Top-Zeiten wird so manches Werk, das jetzt angeboten wird, gar nicht erst verkauft“, sagt Baumgarte. „Jetzt müssen unter Umständen einige Sammler Kunstwerke abstoßen, weil ihre Unternehmen durch Corona unter Umsatzeinbrüchen leiden.“ Das drückt dann auch ein bisschen auf die Preise, auch bei den Blue Chips. „Es werden zwar nach wie vor hohe Preise gezahlt, aber ohne die Corona-Pandemie hätte der Picasso wohl geringfügig mehr eingebracht - oder wäre gar nicht zum Verkauf angeboten worden.“
Während einzelne Blue Chips weiterhin wertstabil gehandelt werden, stellen sich Sammler die Frage, wie wertbeständig dann ihre Kunstwerke sind, wenn sie außer Mode geraten. „Kunst hat nicht nur eine museale Ebene, sondern auch eine gesellschaftliche Ebene“, sagte Baumgarte. „Sie bildet den Rahmen und das Selbstverständnis, wie Menschen sich präsentieren und handeln wollen. Deshalb gibt es immer Wellen in der Kunst.“ Ein Beispiel seien die so genannten Alten Meister, also vorwiegend Künstler aus dem 14. bis 18. Jahrhunderts. Sie waren bis in die 1990er-Jahre sehr beliebt in der Sammlernachfrage, „haben zuletzt aber gelitten und wurden häufiger von der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts abgelöst“, berichtet Baumgarte. „Aber in einigen Jahrzehnten können die Alten Meister auch wieder gefragt sein.“ Allerdings sei dies auch länderspezifisch.
„Die Kunst und der Kunstmarkt sind eine Symbiose. Die Kunst soll den Menschen beseelen“, sagt Baumgarte. Sammler seien „so unterschiedlich wie die unterschiedlichen menschlichen Charaktere sind“, so der Galerist. „Es gibt diejenigen, die über Epochen und Stile hinweg sammeln, andere konzentrieren sich auf einen Künstler oder eine Phase.“ Und dann gebe es eben auch noch die Kunden, die um des Sammelns willen auch ein bestimmtes Kunstwerk neben Haus und Yacht um sich wissen möchten.

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