Derzeit an der Spitze eines Unternehmens zu stehen, ganz gleich in welcher Branche, ist eine schwierige Aufgabe, mehr noch, eine Feuertaufe. Da ist die Luxusindustrie keine Ausnahme, der Konzern LVMH etwa rechnet mit zwischen 10 und 20 Prozent Umsatzrückgang für seine Marken im ersten Quartal. Bei der Konkurrenz dürfte es – soweit überhaupt Zahlen kommuniziert werden – nicht viel besser aussehen.
Für ein Update aus der Chefetage von Bulgari und seinen eigenen Blick auf die aktuelle Lage und Zukunft sprach Capital mit Jean-Christophe Babin . Er lenkt als CEO die Geschicke des vorwiegend für Schmuck und Uhren bekannten Hauses, das seit 2011 zu LVMH gehört. Sein Fazit: „Wer in der Krise die Stimmung seiner Mannschaft hochhält und seine Hausaufgaben macht, der wird gestärkt aus ihr hervorgehen!“
Capital: Jean-Christophe Babin, wie gehen Sie und Ihre Kollegen im Joballtag mit der Corona-Krise um?
JEAN-CHRISTOPHE BABIN: Ganz gut, würde ich sagen. Ich spreche gerade aus einem Konferenzraum in unserem zweiten Firmensitz in der Schweiz, in Neuchâtel, mit Ihnen. Klingt fast normal, oder? Mein Flug zurück nach Rom wurde gestrichen, aber während dort alles komplett stillsteht, können wir hier in kleinen Teams arbeiten – unter Einhaltung aller Sicherheitsregeln natürlich.
Ich bin außerdem dankbar, dass wir im letzten Jahr schon in „Smart Working“ und ein System für Audio- und Videokonferenzen des Anbieters Zoom investiert haben. Seitdem hat ein Großteil unserer weltweit 5000 Angestellten, die nicht in den Manufakturen oder im direkten Verkauf beschäftigt sind, ohnehin jeden Freitag aus dem Homeoffice gearbeitet. Wir waren also recht gut vorbereitet, das auf die ganze Woche auszudehnen. Insgesamt würde ich sagen ist unser operatives Niveau angesichts der außergewöhnlichen Lage absolut zufriedenstellend.
Intern meistern Sie die Herausforderungen demnach recht gut, aber das Geschäft dürfte dennoch gerade zum Haare raufen mies sein, oder?
Klar, glücklich machen mich die aktuellen Zahlen nicht. Trotzdem muss man das etwas differenzierter betrachten, weil unser Geschäft vielseitiger ist als bei manchem Konkurrenten. Für unser Kernbusiness, also hochwertigen Schmuck und Uhren, bedeuten geschlossene Boutiquen in fast allen wichtigen Märkten einen Umsatzeinbruch. Vor allem, weil im Hochpreissegment der Onlinehandel die Verluste kaum auffängt. Dort drehen eher günstigere Produkte wie unsere Parfüms, wo der Kauf im Internet auf Douglas.de oder bei Sephora seit Jahren gelernt ist, noch recht schnell.
Und während unsere Hotels in Schanghai und Peking steigende Gästezahlen melden, ist unser Haus in Mailand geschlossen. Und auf Bali kommen die Japaner noch aber die Chinesen noch nicht wieder, weil ihnen Auslandsreisen untersagt sind. Das Resultat ist eine Auslastung von 35 statt normal 70 Prozent zu dieser Jahreszeit.
Die jüngsten Entwicklungen in China, wo eine weitere Entspannung der Lage und eine Lockerung der Ausgangsbeschränkungen erwartet werden, dürften Ihnen Mut machen.
Absolut, das ist schließlich nicht nur für uns, sondern die gesamte Branche der mit Abstand wichtigste Markt für Luxusprodukte. Aktuell sind fast alle unsere Boutiquen dort wieder geöffnet, selbst das Geschäft in Wuhan dürfte noch diese Woche seine Türen aufsperren. Mit Auflagen, aber wenigstens bereit für interessierte Kunden. Die kommen auch bereits wieder in die Einkaufszentren und die wichtigsten Shoppingmalls – und zwar mit ganz konkreten, vermutlich während der Quarantäne akribisch recherchierten Wünschen.
Kaum jemand kommt bloß zum Schaufensterbummel. Obwohl weniger Menschen unsere Geschäfte besuchen, kaufen sie unterm Strich auf Vorjahresniveau. Das lässt sich nicht einfach so auf andere Märkte und Kulturen übertragen, aber wer irgendwann die eigenen vier Wände verlassen darf, der freut sich definitiv auch darauf, mal etwas anderes zu kaufen als Lebensmittel. Das stimmt mich optimistisch.
Erlauben Sie uns einen Einblick in Ihr Krisenmanagement als CEO, quasi einen Blick über die Schulter in Ihre Corona-Einsatzzentrale.
Eins kann ich definitiv sagen: In den letzten Wochen habe ich so viele kurzfristige Entscheidungen mit so weitreichenden Konsequenzen gefällt, wie nie zuvor in meiner Karriere! Als sich diese Krise zu Jahresbeginn zuzuspitzen begann, haben wir im Schnitt 18 Stunden pro Tag damit verbracht, auf dem neuesten Stand der Entwicklungen zu bleiben, die Maßnahmen der Regierungen in allen unseren Märkten zu überwachen und ständig neu entscheiden müssen, wo wir Mitarbeiter noch einsetzen können und wo wir sie schützen müssen.
Wie lenken wir die Warenströme, wann ist es sinnvoll, die Manufakturen in Italien und in der Schweiz zu schließen, wann reicht größerer Abstand in den Büros, wann ist Homeoffice anzuraten, wann wird Kurzarbeit zum notwendigen Übel … Und selbst als die ersten chinesischen Boutiquen wieder öffneten, hörten die Fragen nicht auf: Sind genug Schutzmasken vor Ort, brauchen wir weiteres Equipment – und wie können wir Mitarbeiter und Kunden noch besser schützen?
Klingt extrem anstrengend.
Oh, ich war noch längst nicht fertig. Schließlich bin ich als CEO auch dafür verantwortlich, dass alle Kollegen gut informiert sind und möglichst motiviert und zuversichtlich bleiben. Was mir besonders wichtig war und ist: Wie bleibt der Teamgedanke, die Zusammengehörigkeit als Bulgari-Familie, auch dann erhalten, wenn die meisten in ihren eigenen vier Wänden sitzen und nur virtuell verbunden sind? Deshalb tausche ich mich pausenlos über unseren internen Messaging-Dienst Yammer, über Zoom-Konferenzen und auch per Whatsapp mit Kollegen und Partnern aus. Ein eigenes Team kuratiert Informationen aus dem Unternehmen und den Medien und stellt sie allen Mitarbeitern tagesaktuell zur Verfügung. Wir sind fast alle allein aber eben weiterhin alle zusammen!
Hand aufs Herz: Hätten Sie gedacht, dass Bulgari einmal ein Handgel zur Desinfektion herstellen würde?
Nein, darauf wäre ich natürlich nie gekommen. Und ohne die Anregung von Marta Branca, die das Spallanzani-Krankenhaus in Rom leitet, wäre es dazu auch nie gekommen. Ihr und ihrem Team hatten wir im Januar bereits ein kostspieliges 3D-Mikroskop für die Erforschung des Virus und eines möglichen Impfstoffs übergeben. Und während des Termins erzählte sie mir, dass es in vielen Krankenhäusern durch die einsetzende Corona-Epidemie noch an ganz grundsätzlichen Dingen fehle, beispielsweise eben Mittel zur Desinfektion der Hände von Ärzten und dem Pflegepersonal.
Unglaublich, dachte ich und habe sofort unseren Partner ICR angerufen, der unsere Parfüms herstellt. Binnen zehn Tagen konnten wir die ersten Gelformeln auf ihre Wirksamkeit gemäß medizinischer Richtlinien testen und gemeinsam mit der Behörde für Zivilschutz und Gesundheitsminister Roberto Speranza einen Plan ausarbeiten, wie Hunderttausende von Gelspendern à 75 Milliliter am schnellsten die bedürftigsten Krankenhäuser und Pflegeheime erreichen.
Die Fabrik in Lauden (Lodi) südöstlich von Mailand liegt aktuell übrigens in einer der „Red Zones“, darf aber geöffnet bleiben, weil sie wichtige Güter für den Kampf gegen Covid-19 fertigt. Auch unsere „Schwestermarken“ im LVMH-Konzern, Dior, Guerlain und Givenchy liefern in Frankreich desinfizierendes Handgel kostenlos. Außerdem bestellen wir gemeinsam Millionen von Schutzmasken. Ich habe unsere Mitarbeiter noch nie so stolz auf ihre Firma erlebt wie jetzt gerade!
Die Uhrenbranche geriet ja schon lange vor dem Ausbruch des Virus in Wuhan in Turbulenzen, weniger geschäftlich als was die Messelandschaft betrifft. Nun mussten die Watches & Wonders in Genf ebenso abgesagt werden wie die Baselworld. Gerade die letztere Veranstaltung gilt als nun mehrfach angezählt. Ihr Blick auf die Zukunft solcher Branchentreffen?
Ich begrüße zunächst einmal, dass sich die Organisatoren in Basel für 2021 auf einen deutlich früheren Termin im Januar verständigt haben, denn Anfang Mai, wie in diesem Jahr geplant, ist einfach viel zu spät. Insofern hatten wir das Glück, mit unserer eigenen „LVMH Watch Week Dubai“ Anfang des Jahres unsere Neuheiten noch vor der Pandemie den wichtigsten Handelspartnern und Pressevertretern präsentieren zu können. Und zwar von Bulgari ebenso wie von TAG Heuer , Zenith und Hublot .
Davon profitieren wir jetzt dort, wo der Einzelhandel noch oder wieder normal agieren kann. Mancher Mitbewerber hat bis heute keine Neuheiten vorgestellt, nicht einmal digital. Messen zum richtigen Zeitpunkt und mit den richtigen Marken bleiben aber definitiv wichtig, das möchte ich unbedingt betonen. Doch ob wir in Basel dabei sein werden oder in Genf auf der Watches & Wonders, deren Termin noch nicht fest steht, für diese Entscheidung ist es einfach noch zu früh.
Was hat Bulgari für 2020 noch an Uhren-Highlights zu bieten?
Nun, wenn die von uns gemeinsam mit Marken wie Breitling , Girard-Perregaux und Urwerk initiierten „Geneva Watch Days“ Ende August stattfinden können, dann werden wir dort nicht nur einen neuen Weltrekord in unserer „Octo“-Linie enthüllen, sondern gleich noch eine ganz neue Kollektion von Herrenuhren, die erste seit gut zehn Jahren. Und, nicht zu vergessen, eine Reihe neuer „Gérald Genta“-Modelle.
Jede Krise, das wird gern prophezeit, birgt auch neue Chancen. Was sehen Sie für die Luxusindustrie post-Corona voraus?
Es gab ja bereits spannende Trends hin zu etwas, das ich „positive luxury“ nennen möchte. Dazu zählen Stichworte wie: Authentizität, Integrität, Verantwortung und Haltung, faire Arbeitsbedingungen, Nachhaltigkeit. Eingefordert vor allem von unseren Millennial-Kunden und den noch jüngeren Generationen von Kunden. Die Bedeutung solcher Trends wird, da bin ich sicher, durch das Coronavirus deutlich rascher zunehmen.
Wer nach der Krise shoppt, das könnte eine These sein, wird es bewusster tun – und wer sich hier glaubwürdig positioniert hat, der wird auf der Gewinnerseite stehen. Ich sehe Bulgari hier sehr gut aufgestellt, ob es konfliktfreie Diamanten und Edelmetalle aus humanem Bergbau sind oder unsere Fertigung in Italien (Schmuck) sowie in der Schweiz (Uhren) mit den damit verbundenen hohen Sozialstandards.
Es gibt auch Stimmen, die meinen, Luxusprodukte seien nach der Krise weniger angesagt und begehrt.
Das kann ich überhaupt nicht verstehen. Seit mindestens 15.000 Jahren, auf diese Zeit gehen ungefähr die ersten Schmuckfunde zurück, begleiten die Menschen Dinge, die weder Schutz bieten, noch eine Überlebensfunktion haben. Luxusgüter also. Ebenso lange feiern wir offenbar besondere Momente und Gefühle mit Gold und Edelsteinen, mit Seide oder besonderer Körperbemalung. Luxus ist salopp ausgedrückt quasi ein Teil unseres Erbgutes. Und daran wird auch kein Virus der Welt etwas ändern.
Trotz umfangreichem Krisenmanagement, allein durch weniger Vor-Ort-Termine und Reisen dürfen sicher auch Sie sich über die eine oder andere Stunde mehr Freizeit und Muße freuen. Geben Sie uns bitte ein paar Tipps für den Homeoffice-Feierabend.
Da meine Kinder in der Schweiz leben, ich aber in Rom arbeite und viel im Ausland unterwegs bin, genieße ich gerade, dass ich mehr Zeit mit ihnen verbringen kann. Ich will natürlich auch wissen, ob sie die Sicherheitsvorschriften einhalten und wie sie mit der Fern-Schule klarkommen. Außerdem versuche ich mich körperlich fit zu halten, schwimme im noch recht kalten Pool und wandere am Wochenende manchmal stundenlang durch Ausläufer des Jura-Gebirges. Falls Sie auf Fernsehserien anspielen, dann kann ich die erste und zweite Staffel von „Formula 1: Drive to Survive“ auf Netflix empfehlen, wo Doku-Kameras die Fahrer im Renngeschehen und abseits davon hautnah begleiten. Und „The Crown“, wobei mich die Windsors selbst gar nicht so interessieren, dafür die geschichtlichen Aspekte der Serie, die ja etliche Jahrzehnte behandelt.
Tja, und dann habe ich im Januar „Pandemie“ geguckt, und kann bis heute nicht fassen, dass so viel von der Handlung unsere neue Realität ist. Ach ja: Als leidenschaftlicher Fotograf habe ich es endlich geschafft, für Freunde und Familie ein Buch mit Bildern meiner einmonatigen Reise nach Tibet im letzten Jahr fertigzustellen. Das ist auch mein Rat an alle, die unfreiwillig daheim bleiben müssen: Folge deiner Leidenschaft und teile sie mit deinem nächsten Umfeld.
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