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Lars Vollmer Wertschöpfung statt Beziehungstheater

Lars Vollmer
Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor.
© André Bakker
In Unternehmen werden Konflikte heutzutage gerne durch Beziehungsarbeit gelöst – zumindest scheinbar. Lars Vollmer hält das für keine gute Entwicklung, denn es fördert lediglich das interne Businesstheater

So, nun bin ich wieder zurück. Zurück aus der Sommerpause, die keine Pause war, weil ich mit Umziehen beschäftigt war. Zurück in meiner gefühlten Heimatstadt Barcelona.

Ich habe eine schöne Wohnung gesucht und gefunden, die allerletzte Kiste ausgepackt und kann endlich wieder am Morgen im Meer schwimmen gehen. Oder mich in den Park setzen, der direkt an unseren Hinterhof grenzt und in dem jeden Morgen ein fleißiger Gärtner den Rasen sprengt. Das darf er derzeit eigentlich nicht, aber niemand scheint deswegen mit ihm einen Konflikt vom Zaun brechen zu wollen. Es geht hier eben eher beschaulich zu.

In Unternehmen ist das oft anders. Da sind Konflikte im Kreise des Managements an der Tagesordnung. Ich halte das für normal und für nicht weiter beunruhigend. Was mich dagegen beunruhigt, ist der Trend, wie mit diesen Konflikten umgegangen wird.

Dieser Umgang hindert die Unternehmen zunehmend daran, die eigentlichen Probleme zu sehen.

Beziehungsarbeit ist „in“

Genau genommen ist es kein Trend mehr, sondern die Überzeugung scheint schon im Management-Mainstream angekommen zu sein. Sie lautet: ,Konflikte sollten aufgelöst werden. Und Konflikte lassen sich lösen oder – noch besser – vermeiden, indem die beteiligten Manager eine bessere Beziehung zueinander aufbauen. Und ist die Führungsriege erst einmal befriedet, wird die Firma erfolgreicher.’

Abzulesen ist die Ankunft im Mainstream daran, dass inzwischen unheimlich viel über „Beziehungen“ gesprochen wird. Und dass immer mehr Workshops und Offsites durchgeführt werden mit dem Ziel, die „Beziehungen“ innerhalb der Führungsriegen zu verbessern.

Das trifft ja auch voll den Zeitgeist, denn „Beziehungsarbeit leisten“ – das klingt nicht mehr so unangenehm hart nach Zahlen, Daten, Fakten, sondern irgendwie menschlicher und zugewandter.

Dieser Zeitgeist ist nicht die Ursache für die beunruhigende Entwicklung, aber er verschärft sie: Er fördert das interne Business-Theater. Lassen Sie mich kurz ausholen, warum das so ist.

Beziehungstheater ist „in“

Wenn ich die aus der Psychologie stammenden Präferenz-Theorien richtig verstanden habe, dann sind wir Menschen von unserer inneren Struktur her alle irgendwo zwischen zwei Polen angesiedelt: Der eine Pol steht für die maximale Beziehungsorientierung, der andere für die maximale Sachorientierung. Viele sind tendenziell näher am ersten Pol angesiedelt, andere – und zu denen zähle ich mich – am zweiten. Und in Abhängigkeit von der individuellen Nähe/Ferne zu den Polen sieht und konstruiert jeder seine Wirklichkeit anders.

Konflikte über die Beziehungsebene lösen zu wollen, passt natürlich hervorragend zur Wirklichkeitskonstruktion von beziehungsorientierten Menschen. Beziehungen haben ein starkes Gewicht in ihrer Wahrnehmung, also interpretieren sie tendenziell auch Konflikte so.

Diejenigen mit einer mehr sachorientierten Wirklichkeitskonstruktion dagegen begegnen dieser Sichtweise mit Unverständnis. Weil aber der Zeitgeist so ist, wie er ist, widersprechen sie lieber nicht. Sie spielen das Theater mit, denn schließlich hat selbst der CEO im Schulterschluss mit der CHRO verkündet, dass Beziehungsarbeit ab jetzt superwichtig sei.

Es lassen sich also alle mehr oder weniger freiwillig darauf ein, Konflikte als Beziehungsprobleme zu betrachten, die am besten auf der Beziehungsebene gelöst werden.

Wo ist das Problem?

Auf diese Weise verzichten sie gemeinsam auf die Chance, im Unternehmen wirklich etwas zu verbessern. Und damit komme ich zu dem Kern des Problems.

Denn anders als vielleicht im Privaten haben die allermeisten Konflikte innerhalb von Unternehmen ihre Ursache nicht in unzureichend gepflegten Beziehungen. Daher lassen sie sich auch nicht sinnvoll auf dieser Ebene bearbeiten. Es darf meines Erachtens noch nicht einmal das primäre Ziel sein, den Konflikt zu befrieden.

Denn nicht der Konflikt ist das Problem. Im Gegenteil: Ein Konflikt ist ein äußerst wertvoller Indikator.

Wo ist der Konflikt?

Nehmen Sie mal eine klassische Konfliktsituation im Unternehmen: Da ist auf der einen Seite Frau Müller, die als Logistikleiterin das Lager verantwortet. Sie möchte, dass nicht zu viel eingekauft wird, weil dann das Lager zu voll, das Ein- und Ausräumen zeitaufwändiger und außerdem zu viel Kapital gebunden ist. Herr Meier, der Einkaufsleiter, dagegen möchte oftmals gerne große Mengen einkaufen, weil der Stückpreis erheblich günstiger, der Einkauf wirtschaftlicher ist.

Jetzt lassen Sie noch Überraschungen dazu kommen – ein Produkt verkauft sich beispielsweise nicht mehr, weil der Wettbewerber ein Konkurrenzprodukt auf den Markt gebracht hat, oder die Nachfrage steigt sprunghaft, weil ein Konkurrenzprodukt ausgefallen ist. Dann weichen die Abflussmengen aus dem Lager erheblich ab und schon kracht es zwischen Frau Müller und Herrn Meier.

Doch sind es wirklich Frau Müller und Herr Meier, die sich hier streiten?

Unfassbar funktionell

Wenn Sie Ihren Blick auf die Funktionen der beiden richten, wird Ihnen die Antwort schnell klar. Die Funktion der Lagerleitung ist verantwortlich für die niedrige Kapitalbindung und die effektive Versorgung des Unternehmens mit Material. Die Funktion der Einkaufsleitung steht dagegen für die wirtschaftliche Beschaffung. Der Konflikt ist also in den Funktionen angelegt. Und dieser Konflikt wird von Frau Müller und Herrn Meier quasi nur ausgeführt.

Würden Sie Frau Müller durch einen Herrn Schmitz und Herrn Meier durch eine Frau Huber ersetzen, hätten die beiden Nachfolger aller Wahrscheinlichkeit nach einen ganz ähnlichen Konflikt, der sich nur in stilistischen Nuancen unterscheiden würde. Und dieser Konflikt ist nichts anderes als ein Indikator dafür, dass an dieser Stelle ein strukturelles Problem vorliegt.

An diesem Problem können Sie arbeiten und Ihre Organisation weiterentwickeln. Diese Weiterentwicklung erhöht die Leistungswahrscheinlickeit Ihres Unternehmens, was die verbesserte Beziehung zwischen Frau Müller und Herrn Meier nicht vermag. Sogar eher andersherum: Die höhere Leistungsfähigkeit des Unternehmens dürfte außerordentlich beziehungsfördernd auf die beiden Herrschaften wirken.

Das klingt so einfach wie logisch, doch dieses Unterschieds zwischen persönlichen und strukturellen Konflikten müssen Sie sich erst einmal bewusst werden. Und das ist definitiv nicht so einfach – vor allem nicht angesichts der unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen, die auch in Managementkreisen weit auseinanderklaffen.

Ich schwöre dabei auf ein extrem praktisches Instrument: die Theorie.

Unfassbar praktisch

Schon der Sozialpsychologe Kurt Lewin hat gesagt: „Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.“

Eine gute Theorie verhilft Ihnen im ersten Schritt dazu, dass Sie Unterschiede erkennen, wo Sie vorher keine gesehen haben. Und im zweiten Schritt gibt sie Ihnen Vokabeln an die Hand, mit denen Sie diese Unterschiede benennen und mit anderen besprechen können. Das ist der einzige Weg, wie Sie es schaffen, dass sich unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen zum Beispiel in Ihrer Führungsriege einander annähern. Sie können auf einem viel höheren Niveau miteinander kommunizieren. Daraus können auch bessere Beziehungen erwachsen, müssen sie aber nicht. Auf jeden Fall können Sie auf dieser Basis gemeinsam die Ursache des Konflikts identifizieren und nach einer Lösung suchen, die Ihre Organisation voranbringt.

Das macht gute Theorie zu einem so unfassbar nützlichen Instrument. Sie gibt Ihnen die Möglichkeit zu unterscheiden und zu bezeichnen. Im Unterschied zu einer Methode, einem Framework oder einem Business-Rezept aber quatscht sie Ihnen nicht in Ihre Handlungsfindung hinein. Sie bleibt abstrakt.

Deshalb empfinden viele selbsternannte „Praktiker“ gute Theorien auch als Zumutung. Aber genau das macht diese so stark und universell anwendbar.

Ist Algebra richtig?

Sehen Sie sich beispielsweise die Mathematik an: Die besteht ausschließlich aus Theorien wie zum Beispiel der Algebra. Algebra sagt Ihnen nicht, wie Sie ein Schiff bauen sollen. Aber mit ihrer Hilfe können Sie alle algebraischen Probleme rund um den Schiffbau lösen.

So ist es auch mit der Future-Leadership-Theorie, nach der wir in unserem Beratungsunternehmen in voller Überzeugung beraten und lehren: Sie ist so hilfreich, weil sie abstrakt ist. Allerdings werde ich immer wieder gefragt, ob unsere Theorie denn „richtig“ sei.

Ehrlich gesagt: Das spielt für mich keine große Rolle. Ist Algebra „richtig“? Beide sind als Theorie in sich schlüssig, passen zum Rest der Theorien in ihrem Bereich und sie helfen vor allem, konkrete Probleme zu lösen – größer ist mein Anspruch an die Validität einer Theorie gar nicht.

Auf lange Sicht tun Sie Ihrem Unternehmen auf jeden Fall einen größeren Gefallen, wenn Sie mit Hilfe von Theorie hinter Ihre internen Konflikte schauen, als wenn Sie sie kurzfristig beziehungstechnisch befrieden. Oder haben Sie eine andere Theorie dazu?

Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor. In seinem Buch „Der Führerfluch – Wie wir unseren fatalen Hang zum Autoritären überwinden“ stellt er den aktuellen Krisen die Idee einer Verantwortungsgesellschaft entgegen.

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