Lars Vollmer Schluss mit den Übergriffigkeiten!

Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor.
Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor.
© André Bakker
Immer häufiger müssen sich Unternehmen moralisch rechtfertigen. Lars Vollmer ist genervt von dieser Moralkeule. Denn nicht die Wertvorstellungen, sondern der Markt entscheide über den Erfolg einer Firma

Winter in Deutschland. Nicht gerade meine bevorzugte Jahreszeit und schon gar nicht, wenn er sich, wie in Hannover üblich, schmuddelig-grau gibt. Deshalb habe ich mich mal wieder zum Arbeiten auf eine Insel verzogen und schaue gerade von den Hügeln Madeiras aus aufs Meer. „Workation“ nennt man das wohl. Mir tut es jedenfalls sehr gut.

Aus dieser Distanz fällt mir noch viel deutlicher auf, was mich in Deutschland zunehmend stört: Das ist die Übergriffigkeit, die sich in Wirtschaft und Gesellschaft breit gemacht hat.

Ich bin genervt!

Schauen Sie sich um. Sie werden feststellen: Kaum eine Idee, Entscheidung oder Äußerung bleibt noch ideologisch-moralisch unkommentiert. Lautstark und wortreich wird diese wahlweise ins gute Töpfchen und ins schlechte Kröpfchen gestopft – wobei es jeweils vom Standpunkt des Kommentators abhängt, welches er für das passende Gefäß hält. Und selbstverständlich werden die, die im schlechten Kröpfchen landen, erstens aufgefordert, sich zu schämen, und zweites belehrt, wie sie sich in Zukunft richtig zu verhalten oder zu denken haben.

Solche Kommentare bekomme ich selbst auch ständig ab – als Autor, aber auch als Unternehmer. So sprach ich kürzlich im geschäftlichen Umfeld über eine unserer Produktideen.

Wir möchten im Rahmen unseres Future-Leadership-Fortbildungsprogramms ein Masterclass Special anbieten, eine Art Retreat: fünf Tage auf Mallorca Körper und Geist verbinden, das heißt körperliche Aktivitäten plus Entspannung plus Blöcken, in denen der Kopf richtig hart arbeiten muss. Dieses Konzept hatten wir bereits 2019 angedacht, aber wegen Corona erst einmal auf Eis gelegt. Nun besteht die Hoffnung, dass die gefallenen Reisebeschränkungen es wieder zulassen.

Aus diesem Gespräch bin ich ein wenig verdutzt herausgegangen. Denn viele der Meinungsäußerungen, die ich dazu zu hören bekam (nicht alle), klangen so: „Fernreisen sind nicht mehr vertretbar! Ihr müsst das in Deutschland veranstalten.“ oder „Wie könnt ihr nur? So was kann man doch heute nicht mehr anbieten.“ Oder: „Nein, so was Unmoralisches: Ihr zwingt die Leute zu Flugreisen.“

Wie bitte?

Ich bin verärgert!

Wenn ich als Unternehmer meinen Kunden ein Angebot mache, zwinge ich keinen, es anzunehmen. Weder kann ich das noch will ich das. Diese Entscheidung treffen die Kunden selbst, in dem sie buchen oder nicht buchen, weil sie das Angebot nützlich und angemessen beziehungsweise nicht nützlich oder nicht angemessen finden. Ich traue das unseren Kunden zu. Ich halte sie nämlich für mündig – offensichtlich im Gegensatz zu denen, die ihnen diese Entscheidung entziehen wollen.

Ich finde es auch völlig in Ordnung, dass nicht jeder, dem ich mein Angebot vorstelle, es gut findet. Aber warum fühlen sich so viele berufen, mich zu belehren, dass es moralisch verwerflich sei, so etwas überhaupt anzubieten?

Meinetwegen dürfen sie mir gerne ihre Meinung dazu sagen, das werde ich ihnen sicher nicht verbieten. Aber ich werde auch in Zukunft meine Produkte nicht vorsorglich danach ausrichten, dass ich möglichst wenig moralische Kritik ernte.

Der Kommentar, der mich in diesem Gespräch aber regelrecht auf die Palme brachte, war dieser: „Ihr als Unternehmer handelt auf diese Weise verantwortungslos!“

Moment!

Dieser Vorwurf ist schlichtweg falsch.

Das verbitte ich mir!

Als Unternehmer habe ich in einem marktwirtschaftlichen Umfeld die Verantwortung dafür, dass meine Company wertschöpfend arbeitet. Das tut diese Company, indem sie Produkte anbietet, die für ihre Kunden so viel Nutzen generieren, dass sie bereit sind, dafür Geld auszugeben. Gelingt das, kann ich meine Mitarbeiter bezahlen, so dass sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können, und sie und ich dem Staat Steuern abgeben können, so dass der die Aufgaben finanzieren kann, die er für die Allgemeinheit übernimmt.

In dieser Verantwortung haben Unternehmer in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass sich die Lebensbedingungen für alle in diesem Land massiv verbessert haben. Und diese unternehmerische Verantwortung hat erst einmal rein gar nichts damit zu tun, was der Zeitgeist gerade als moralisch gut oder böse postuliert.

Das heißt allerdings nicht, dass ich als Unternehmer den moralischen Zeitgeist nicht in meine Überlegungen mit einbeziehen muss. Denn dieser hat Einfluss auf das, was Reinhard Sprenger den „Moralertrag“ nennt.

Ich bin verantwortungsvoll!

Der Gedanke hinter diesem Moralertrag ist: Ich kann mich als Unternehmer dafür entscheiden, die moralischen gesellschaftliche Normen zu erfüllen – oder zumindest vorzugeben, sie zu erfüllen. Dafür muss ich nicht zutiefst überzeugt von deren Richtigkeit sein. Es genügt, dass ich erkenne, dass sie derzeit unabdingbar ist, um wirtschaftlich im Rennen zu bleiben. Unabdingbar sind sie, wenn meine Kunden diese moralischen gesellschaftliche Normen in ihrer Kaufentscheidung stark gewichten. Wenn sie also mein Produkt dem des Mitbewerbers vorziehen, sobald sie mein Unternehmen als „moralisch besser“ wahrnehmen.

Anders formuliert: In einer freien Wirtschaft rankt sich alles darum, ob es wirtschaftlich ist, ob es Geld einbringt, ob es ein Nutzen für den Kunden bringt. Und es rankt sich NICHT darum, einen grüne Haken bei der Albright-Stiftung zu bekommen. Aber wenn ich als Unternehmer erkenne, dass dieser grüne Haken einen Einfluss auf mein wirtschaftliches Tun hat, mache ich es, sonst gefährde ich mein eigentliches Geschäft. Nicht obwohl, sondern WEIL ich damit verantwortungsvoll handele und sich in meiner Company weiterhin alles um Wirtschaftlichkeit rankt. Ranken muss.

Denn anders herum wird nie ein Schuh daraus!

Keine Sorge: Ich werde nicht übergriffig.

Würde ich die Wirtschaftlichkeit meines Unternehmens zugunsten der Einhaltung einer moralischen Vorstellung opfern, wäre die Gefahr groß, dass ich pleitegehe. Dann hätte ich als Unternehmer tatsächlich verantwortungslos gehandelt: verantwortungslos den Mitarbeitern gegenüber, verantwortungslos den Kunden gegenüber und verantwortungslos der gesamten Gesellschaft gegenüber.

Ich muss mich als Unternehmer aber entscheiden dürfen, ob und wie intensiv ich die Zeitgeist-Moral-Karte spiele, sonst wird mir die Grundlage für meine Verantwortung entzogen: Ohne Wahl keine Entscheidung, ohne Entscheidung keine Verantwortung.

Selbstverständlich stelle ich es Ihnen wie jedem anderen Unternehmer frei, welche Handlungsmaxime Sie für Ihr Unternehmen wählen. Es steht mir überhaupt nicht zu, Ihnen da hineinzureden. Das hielte ich für maximal übergriffig, was ich ja gerade vermeiden möchte.

Ich kann Ihnen nur sagen, dass es nicht die Moral ist, die darüber entscheidet, ob Ihr Unternehmen Bestand haben wird oder nicht. Diese Entscheidung liegt immer beim Markt – zumindest solange dieser noch nicht tot reguliert ist. Das mag ja in bester moralischer Absicht geschehen, doch das hat dann aus meiner Sicht wirklich nichts mehr mit verantwortungsvollem Handeln zu tun …

Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor. In seinem Buch „Der Führerfluch – Wie wir unseren fatalen Hang zum Autoritären überwinden“ stellt er den aktuellen Krisen die Idee einer Verantwortungsgesellschaft entgegen.

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