Kürzlich erzählte mir jemand von einem Dax-Manager, der sich ein Ferienhaus gekauft hat. So weit, so unspektakulär. Nur dass dieses Haus nicht auf Sylt oder Mallorca steht, sondern in einem der westlichsten Winkel Europas. Was mich jedoch vollends überraschte, war der Grund. Nicht die schöne Landschaft oder eine persönliche Beziehung hatten den Mann dorthin gelockt. Sondern die Aussicht, von dort aus einen der letzten Flieger nach Südamerika zu ergattern, wenn Deutschland und Europa den Bach runtergehen. Wovon er augenscheinlich ausgehen muss.
Ich weiß nicht, ob ich die Geschichte glauben will. Als Personalberater für die Besetzung von Positionen im Topmanagement komme ich berufsbedingt mit den einflussreichsten Managern des Landes zusammen: Vorstände, Aufsichtsräte, CEOs. Zumeist beeindruckende Persönlichkeiten, die an den Schalthebeln der wirtschaftlichen Macht sitzen, deren Entscheidungen wirklich etwas bewegen und verändern können.
Doch neuerdings stimmen mich solche Treffen immer öfter nachdenklich. Denn jenseits des Geschäftlichen spüre ich vermehrt Resignation, bisweilen auch Zynismus. Auch öffentlich ist die Rede von „desolaten Zuständen“ und der „Ramschrepublik Deutschland“. Einige Top-Executives machen tatsächlich keinen Hehl daraus, dass sie längst einen Zweitwohnsitz in Übersee haben. Nicht, um dem Stress zu entfliehen und das Leben zu genießen. Sondern um eine Zuflucht zu haben, für alle Fälle. Ist das weitsichtiges persönliches Risikomanagement – oder schon Preppermentalität?
Dauerlamento über Deutschland
Mit ihrem Unbehagen sind Manager nicht allein: Das Edelmann Trust Barometer 2024 zeigt, dass das Vertrauen der Menschen in staatliche Institutionen stark zurückgegangen ist. Das vielerorts herrschende Narrativ lautet: Deutschland ist auf dem absteigenden Ast. Ich teile die Sorge über die wirtschaftliche und politische Lage. Aber je öfter ich dieses Dauerlamento über den absteigenden Standort höre, desto mehr frage ich mich: Dürfen wir als wirtschaftliche Elite dieses Narrativ weitertragen und verstärken? Dürfen wir unser Land schlechtreden? Nein, dürfen wir nicht.
Die Edelmann-Studie zeigt nämlich auch, dass die Bürger Wirtschaftsunternehmen für weitaus kompetenter und vertrauenswürdiger halten als die Politik. 59 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass CEOs nicht nur den Wandel in ihren Unternehmen, sondern auch in der Gesellschaft insgesamt vorantreiben sollten. Dieses Vertrauen ist eine Verpflichtung. Kann ein Vorstand oder Aufsichtsrat die Interessen und Pflichten eines Corporate Citizens glaubwürdig vertreten, wenn er das Land, in dem er seinen Sitz hat, innerlich abgeschrieben hat? Es muss doch Teil unseres Jobs sein, einen Plan für unseren Heimatstandort zu haben – und diesen gegenüber der Politik auch klar und streitbar zu vertreten.
Eliten haben Verantwortung
Natürlich gibt es sehr berechtigte Gründe mit der aktuellen Situation unzufrieden zu sein. Das darf, das muss thematisiert werden. Dem Land aber pauschal die Zukunftsfähigkeit abzusprechen, verändert nichts zum Besseren. Im Gegenteil: Der Mangel an Zuversicht bei den Eliten strahlt auf die gesamte Gesellschaft ab. Wenn wir nicht mehr an bessere Zeiten glauben – und dafür arbeiten, dass sie möglich werden –, wer denn dann?
Leadership erfordert starke Persönlichkeiten, die Souveränität und Standhaftigkeit auch über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinweg ausstrahlen, konkrete Verbesserungsvorschläge machen und diese auch öffentlich aussprechen. Der Standort Deutschland braucht visionäre Kraft und risikobereite Umsetzung. Am besten durch mutige Manager, die beherzt und zuversichtlich handeln.