Wer sich jetzt auf Sinnsuche begibt, muss nicht gleich die ganze Welt retten. Es würde schon reichen, wenn jeder definiert, welchen Beitrag er zum Erfolg seines Unternehmens beisteuern kann.
Vor Kurzem wunderte sich ein mir bekannter Aufsichtsrat über den Finanzvorstand eines großen Unternehmens. Dieser suchte eine neue berufliche Herausforderung, und auf die Frage des Aufsichtsrats, was ihm im künftigen Job wichtig wäre, fiel so ziemlich jeder Begriff aus dem Wörterbuch des modernen Managements: Nachhaltigkeit, Technologieaffinität, Diversity. Vor allem aber sollte das Unternehmen „einen echten Purpose“ haben, also ein höheres Ziel, das es wert ist, sich dafür einzusetzen.
Diese Buzzwords habe ich unzählige Male auch gehört – oft mit einiger Verwunderung. Üblicherweise interessieren sich Finanzvorstände für die Kapitalmarktorientierung ihres neuen Arbeitgebers, für Investor Relations oder Strategien zur Unternehmenswertsteigerung. Zu diesen Themen wurde es zuletzt aber oft sehr still. Doch kann es richtig sein, dass der eigentliche Geschäftszweck zur Nebensache wird, dass Manager zwar nach Purpose fragen, aber nicht, was sie konkret zum Erfolg eines Unternehmens beitragen können? Denn wenn dieser Beitrag offenbar nicht wichtig ist: Worin genau besteht dann der Purpose einer Führungskraft?
Fader Beigeschmack von Unaufrichtigkeit
Natürlich ist es von essentieller Bedeutung, dass Menschen einen Sinn sehen in dem, was sie tun. Niemand ist erfolgreich, niemand wird auf Dauer glücklich mit einer Tätigkeit, die sie oder er als sinnlos empfindet. Doch wie glaubwürdig ist es, wenn ausgerechnet ein Onlineriese damit wirbt, die Welt transparenter zu machen und Informationen zu „demokratisieren“? Oder wenn ein Hersteller von Industrieplastik behauptet, sein Purpose wäre es, die Welt zu einem besseren Ort zu machen?
Um die begehrten Nachwuchskräfte aus der Generation Z zu beeindrucken, wurde in den vergangenen Jahren jeder Firmenphilosophie, jedem funktionalen Produkt ein teils fragwürdiger Sinnüberbau aufgezwungen – egal, ob das wiederum Sinn ergab oder nicht. Diese Art von Purpose ist aber sinnlos, schlimmer: Sie erzeugt einen faden Beigeschmack von Unaufrichtigkeit. Purpose muss echt, schlüssig und nachvollziehbar sein und muss gelebt werden, sonst bringt er nichts.
Umso erstaunlicher ist es, dass niemand mehr von Purpose spricht, seit Unternehmen Sparmaßnahmen ankündigen und ein ganzes Land um sein Geschäftsmodell bangt. Das Thema wirkt wie weggewischt aus der öffentlichen Diskussion. Dabei wäre Sinnhaftigkeit doch gerade in der Krise elementar. Wann, wenn nicht jetzt, brauchen Menschen ein Ziel, auf das sie hinarbeiten können? Eine Vision, die es wert ist, sich für sie anzustrengen? Oder zumindest eine herausragende Stärke, die sie selbstbewusst macht und die Identität stiftet?
Dafür müssen wir nicht immer gleich die Welt retten, vielleicht geht es ja auch ein paar Nummern kleiner. Könnte es nicht ein guter Purpose sein, schlicht das beste Elektroauto, das beste Spezialwerkzeug oder die beste Schraube der Welt herzustellen? Könnte eine Firma nicht stolz auf eine lange Betriebszugehörigkeit ihrer Mitarbeiter sein, ihre vorbildliche Kinderbetreuung oder das gute Betriebsklima? Wären solche greifbaren sinnstiftenden Ziele nicht viel glaubwürdiger, als den Eindruck zu erwecken, im Alleingang den Klimawandel aufhalten zu wollen?
Wir sollten dringend wieder mehr über Purpose reden – über glaubwürdigen Purpose. Wir brauchen in unseren Unternehmen Ideen, Mut und Tatkraft, die sie wieder zu Marktführern machen. Das gelingt am besten mit Sinn. Aber das ist etwas anderes als grellbunte Werbebotschaften.