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Lage in Deutschland Fünf Chancen für 2025

Weihnachten als Oase in einem schwierigen Jahr
Weihnachten als Oase in einem schwierigen Jahr
© Alina Rudya/Bell Collective / Getty Images
Viele Unternehmer klagen über die aktuelle Situation. Auf einer Abendveranstaltung hatten zwei Unternehmer jetzt genug davon – und präsentierten fünf Chancen für das kommende Jahr

Zu den schönen Traditionen kurz vor Weihnachten gehören ja diese kleinen abendlichen Runden aus Freunden, Nachbarn und Kollegen. Jemand lädt ein auf ein kleines Essen, ein Bier oder ein Glas Wein, man sitzt zusammen und man redet über alles Mögliche:  den Baum, der mal wieder etwas schief sein wird, die Geschenke für die Kinder und überhaupt wie das Jahr so war. Ich weiß nicht, wie bei Ihnen solche Abende in den letzten Wochen verlaufen sind (vielleicht gehört es auch zu den Deformationen des Hauptstadtlebens), aber zumindest in Berlin gerieten diese Gespräche zuletzt häufig schnell auf eine abschüssige Bahn. 

Da ist die Neuwahl in Deutschland; eine Wirtschaft, die seit Jahren nicht mehr wächst; der Krieg in der Ukraine; hohe Energiepreise; unsichere Aussichten; und in den USA bald ein Präsident, der Europa mit diesem und jenem droht, mal mit Strafzöllen, mal mit einem Rückzug aus der Nato. Bei diesen Themen ist die Stimmung am Tisch rasch im Keller. 

Eine kleine Ausnahme erlebte ich in dieser Woche in einer lockeren Runde aus Unternehmern, Managern, Politikern und einigen Journalisten. Normalerweise gilt für diese Gesprächsformate das Gebot der Verschwiegenheit, in diesem Fall machten die Beteiligten für diesen Newsletter jedoch eine Ausnahme.  

Zwei Manager brechen aus

Über mehrere Stunden hatte die Diskussion zunächst den üblichen, schwer-depressiven Verlauf genommen, als zu vorgerückter Stunde zwei Hände in die Luft schossen: Es waren die Wirtschaftswissenschaftlerin und Multi-Aufsichtsrätin Ann-Kristin Achleitner und der Chef der Berliner Management-Hochschule ESMT, Jörg Rocholl. Sie hielten den hingebungsvollen Blick in den Abgrund offenkundig nicht länger aus. 

Sie wolle jetzt zur Gegenrede ansetzen, kündigte Achleitner an – und hielt dann mit Rocholl zusammen ein erfrischendes Plädoyer für etwas mehr Zuversicht. Fünf Argumente präsentierten die beiden im Kern, fünf Argumente, die nicht die Lösung für jedes akute Problem des Landes liefern, die aber aufzeigen, dass längst nicht alles schlecht ist in Deutschland und in Europa. Und dass sich in den kommenden Jahren durchaus auch Chancen auftun können – dass wir sie nur ergreifen müssen.  

Das erste Argument von Achleitner zielte auf die USA. Die America-First-Doktrin von Donald Trump werde die USA zwar kurzfristig stärken, sei aber mittel- und langfristig eine Gefahr für das Land – und eine Gelegenheit für Europa. Im Wettbewerb um die besten und klügsten Köpfe hatte der alte Kontinent in den vergangenen Jahrzehnten nie eine Chance gegen die Elite-Hochschulen in den USA und die vibrierende Tech-Szene in San Francisco und Austin. Doch das könne sich schon bald wenden, wenn Trump wie angekündigt die Grenzen dichtmache und Millionen Migranten aus dem Land ausweise. 

Solche Maßnahmen sendeten ein Signal in die Welt, weit über die unmittelbar Betroffenen hinaus. Viele US-Amerikaner wollen künftig offenbar unter sich bleiben – was das Land über Jahrzehnte groß gemacht hat, wird wohl bald versiegen: der stete Zustrom von Arbeitskräften aus dem Ausland. Vom Land der Freiheit verwandelten sich die USA in ein Land der Unfreiheit – gerade für Wissenschaftler und Entwickler ein schwerer Rückschlag. Für Europas Hochschulen und Unternehmen sei dies eine ungeheure Chance, sich als Ort von Exzellenz und Offenheit zu profilieren, argumentierte Achleitner. 

Dynamische Gründerszene

Ohnehin hätten Deutschland und Europa schon heute eine sehr dynamische Gründer- und Start-up-Szene – das zweite Argument für Europa. Achleitner muss es wissen, sie arbeitet und lehrt an der Technischen Uni München, eine der wichtigsten Gründerschmieden des Landes. Und tatsächlich liegt Europa bei Gründungen schon heute vor den USA. Mit 35.000 jungen Start-ups steht Europa weltweit auf Platz 1 der Gründer-Rankings, ermittelte jüngst der „State of European Tech“-Report des Londoner Investors Atomico.

An dieser Stelle ergriff neben ihr Jörg Rocholl das Wort, Präsident der renommierten Management-Hochschule ESMT in Berlin. Rocholl verwies zunächst auf die hohe Anzahl an Patenten, die jedes Jahr aus Deutschland beim Europäischen Patentamt angemeldet werden. 2023 waren es knapp 25.000 und damit deutlich mehr als aus Japan und China. Nur die USA liegen mit fast doppelt so vielen Patentanmeldungen vor Deutschland. Rocholls Botschaft: Deutschland kann Innovationen und muss sich nicht vor anderen mächtigen Playern der Weltwirtschaft verstecken. 

Hohe Sparquote

Sein viertes Argument zielte auf die hohe Sparquote in Deutschland, laut Statistischem Bundesamt im ersten Halbjahr 2024 gut 11 Prozent – ein Prozentpunkt mehr als im ersten Halbjahr 2023. In der Krise legen die Deutschen also sogar noch mehr Geld zurück als sonst. Das Problem sei nur, sagte Rocholl, dass das meiste Geld unproduktiv auf Sparkonten oder in Lebensversicherungen herumliege und Banken und Versicherer aus regulatorischen Gründen wenig bis gar nichts mit diesem Geld anstellen könnten. Hier brauche es dringend eine Deregulierung, damit zumindest ein kleiner Teil dieses immensen Kapitalstocks – im ersten Halbjahr 2024 fast acht Billionen Euro – künftig für Investitionen und Unternehmensfinanzierungen zur Verfügung stehe. 

Eine solche Lockerung in den Anlagevorschriften für Lebensversicherer wird zwar schon lange diskutiert, kam bisher aber nicht wirklich voran. Allerdings ist sie auch kein Ding der Unmöglichkeit, anders als die Schuldenbremse stehen diese Regeln nicht mal im Grundgesetz – auch das mal eine gute Nachricht in diesem Land. 

China als Chance

Zu guter Letzt kam Rocholl auf Deutschlands vergleichsweise enge Beziehungen zu China zu sprechen. Was manchen Geopolitikern Sorgen bereitet, könne auch eine Chance sein, sagte Rocholl, nämlich dann, wenn die USA sowohl gegenüber China als auch Europa den Ton verschärften und ausnahmslos ausländische Produkte mit Strafzöllen belegten. Europa könne mit und in China seine eigenen Interessen verfolgen, das Interesse Chinas an Deutschland und Europa sei jedenfalls nach wie vor enorm hoch. Es ist die klassische Mittlerposition zwischen den beiden Rivalen und Großmächten – sie muss nicht nur ein Nachteil sein. Ganz ähnlich argumentiert übrigens in der jüngsten Capital-Ausgabe Virginie Maisonneuve, Chief Investment Officer bei Allianz Global Investors. 

Sechs, vielleicht sieben Minuten dauerte das Plädoyer von Achleitner und Rocholl, es war sachlich, präzise und doch leidenschaftlich. Als sie fertig waren, war es für einen kurzen Moment still. Man merkte, dass ihre kleine Tischrede durchaus wirkte. 

Nicht jedes Argument muss man uneingeschränkt teilen, manches kann man auch gegen Deutschland wenden – etwa die große Abhängigkeit vom chinesischen Markt, die Deutschland erpressbar macht. Doch die prägnante und entschiedene Intervention zeigte auch: Bei allen Problemen und Herausforderungen, vor denen Deutschland und Europa stehen, muss die Zukunft nicht zwangsläufig fürchterlich werden, ist der Abstieg des Landes längst noch nicht beschlossene Sache. 

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