Eine Umfrage belegt, wie sehr Menschen die Folgen der Erderwärmung als ernsthafte Bedrohung wahrnehmen – und auch bereit sind, die Verantwortung zu teilen
Ein Schlüsselergebnis der Studie ist die ausgeprägte Bereitschaft der Menschen, aktiv etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Die Umfrage des Instituts Kantar im Auftrag des Vodafone-Instituts wurde in 17 Ländern des globalen Nordens und Südens durchgeführt, während ihre Regierungen vergangenen Herbst in Glasgow über realistische Ziele einer klimaneutralen Zukunft verhandelten. Heraus kam ein hoher Grad an Risikobewusstsein, Solidarität und Erwartung an staatliche Institutionen, mit Geld und Regulierung die richtigen Weichen zu stellen.
So wünschen sich mehr als acht von zehn Befragten von ihren Regierungen, stärker in den Kampf gegen eine globale Klimakrise zu investieren – vor allem im globalen Süden, wo zudem das Vertrauen in das staatliche Handeln am ausgeprägtesten ist. Zwei Drittel sind der Ansicht, dass Digitalisierung ein positiver Faktor, wenn nicht der entscheidende Hebel zur Eindämmung des Klimawandels sein kann.
Eine große Mehrheit der internationalen Teilnehmer war zudem der Meinung, die Verantwortung für eine CO2-freie Zukunft müssten Staat, Unternehmen und Bürger gleichermaßen übernehmen – allerdings mit stark unterschiedlicher Gewichtung, vor allem in den USA. Bemerkenswert scheint außerdem: Mehr als in den Industrieländern (67 Prozent) zeigt sich auch in Entwicklungs- und Schwellenländern eine hohe Bereitschaft (85 Prozent), selbst für nachhaltige Produkte tiefer in die Tasche zu greifen und einen eigenen Beitrag zu leisten.
Diese Länder sorgen sich am meisten um bedrohliche Klimarisiken:
Klimawandel: Risikobewusste Länder
Die Waldbrände in den touristischen Küstengebieten könnten ein Grund dafür sein, dass in der Türkei der Klimawandel am stärksten unter allen Ländern als ernsthafte Bedrohung empfunden wird: Drei Viertel der Bürger bewerten die Gefahr als groß oder sehr groß. Um dagegen ins Feld zu ziehen, sieht fast jeder Zweite die Regierung in der Pflicht, der Staat sollte auch für die Kosten der Klimafolgen aufkommen, meinen 47 Prozent – der international höchste Wert. Wobei neun von zehn Befragten durchgreifende Regulierungen für unerlässlich halten, um den Klimawandel aufzuhalten. Allerdings haben nur etwa 40 Prozent der Türken Zutrauen in das Regime in Ankara, das zu wollen oder gar zu können.
Gegen die klimaschädliche Abholzung des Regenwalds wird im Ausland häufiger demonstriert als im Inland. Präsident Jair Bolsonaro lässt Rodungen nur halbherzig verbieten. Seiner Bevölkerung ist sich dagegen sehr wohl bewusst, dass wirtschaftliches Wachstum und soziale Entwicklung in dem Schwellenland hochgradig vom Klimawandel bedroht sind. 71 Prozent der Befragten sind laut der Befragung dieser Meinung, neun von zehn fordern von der Regierung härtere Maßnahmen, in besonderem Maß fehlt den Menschen aber das Vertrauen: Nur Vier von Zehn glauben, der Staat habe überhaupt den Willen dazu, noch weniger halten ihn für dazu fähig.
Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor bei einem G20-Treffen zum Klimawandel. Die Regierung ist engagiert und neuerdings Klimapartner Deutschlands. Genau das erwarten die Bürger, denn sie haben den dritthöchsten Wert im Empfinden der Bedrohlichkeit (68 Prozent). Aber nur etwa vier von zehn Bürgern halten ihre staatliche Führung auch für willens und fähig, Katastrophen abzuwenden – die laut einer Risikobewertung der Weltbank in Form von zunehmendem Wassermangel und Dürren sowie von Ernährungsunsicherheit und Wettbewerb um knappe Ressourcen zuschlagen können. In dem Land am Kap gibt es auch einen der höchsten Werte für die Überzeugung, dass die Kosten des Klimawandels gerecht verteilt werden sollten.
Der Wassermangel, die hohe Abhängigkeit vom Flusswasser des Nils und steigende Temperaturen machen die ägyptische Landwirtschaft äußerst verwundbar für klimatische Schwankungen. Der Sektor beschäftigt mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen. 63 Prozent der Befragten empfinden die Erderwärmung als ernste Bedrohung – der vierthöchste Wert. 85 Prozent drängen ihre Regierung zum Handeln, und ganze 70 Prozent trauen das dem Regime auch zu. Mit 25 Prozent halten auffallend viele digitale Lösungen für den Schlüssel, während – wie im südlichen Afrika – auch acht von zehn Ägyptern bereit sind, nachhaltige Produkte entsprechend zu honorieren.
Italien hat häufige Erfahrung mit Unwetterkatastrophen – wie hier in Venedig mit dem überschwemmten Markusplatz. Entsprechend sticht das Landes im Vergleich mit mehr als 70 Prozent Risikobewusstsein heraus. Auch die Offenheit für umweltschonende und klimafreundliche Einkäufe ist in Italien so ausgeprägt wie sonst in keinem Industrieland. Der Ruf nach verordneter Transformation ist ähnlich laut wie bei europäischen Nachbarn, allerdings glauben die Italiener sehr viel stärker an digitale technische Lösungen im Engagement für das Klima.
Fridays-for-Future-Demonstranten feiern in München ihren dritten Jahrestag. Dass der Umfrage zufolge etwa ein Drittel der Deutschen weitere Regulierungen zugunsten von mehr Klimaschutz für unvermeidbar halten und weitere 39 Prozent für wahrscheinlich, scheint da nur konsequent. Die Anteile sind vergleichbar mit anderen Industrieländern, liegen aber deutlich unter denen im globalen Süden. Wie in anderen demokratischen Industrieländern sehen etwa die Hälfte der Befragten Staat und Unternehmen in etwa gleich in der Pflicht, für die Lasten aufzukommen. Als ernsthafte Bedrohung erkennen in Deutschland 66 Prozent den Klimawandel an – wie die meisten Länder Europas über dem globalen Durchschnitt von 63 Prozent. Nur Schweden und Briten liegen weit darunter.
Präsident Uhuru Kenyatte rief im Oktober den Notstand für die Küstenregion aus, um wegen der anhaltenden schweren Dürre Katastrophenhilfe verteilen zu können. Die Bürger stellen sich auf schwere Klimaschäden in bestimmten Regionen ein, mit 58 Prozent liegt das unterdurchschnittliche Risikobewusstsein aber näher an China und Indien als an den Industriestaaten. Dennoch wird erwartet, dass die Regierung schützend eingreift: Mehr als 90 Prozent der Befragten stellt sich auf staatliche Einschnitte ein, wobei der Vertrauensstand in das Regierungshandeln mit über 70 Prozent dem anderer eher autoritär regierten Ländern gleicht.
Dem Subkontinent werden mehr Hitzewellen, intensivere Stürme und häufigere Überschwemmungen vorausgesagt. Indien wird weltweit als CO2-Verschmutzer Nummer drei geführt, nach China und den USA. Neben China herrscht in Indien das höchste Zutrauen in die eigene Regierungen, dass diese willens und in er Lage ist, den Klimawandel zu bekämpfen (85 Prozent). Vor allem im indischen Mittelstand ist ein Bewusstsein für Umweltschutz entstanden. So empfindet laut Studie etwa jeder zweite die Klimaveränderungen als gefährlich. Ärmere Menschen sorgen sich eher um die nächste Mahlzeit. Die Mittelschicht will aber auch mehr für Nachhaltigkeit zahlen, ist – was Lösungen angeht – technologiegläubiger als in jedem anderen Land.
Ein stillgelegtes Stahlwerk wie das zu einem Ausstellungsort umfunktionierte Shugang Park in Peking ist in China eher die Ausnahme. Der größte Verursacher klimaschädlicher Gase bekennt sich mittlerweile zu Klimaneutralität bis 2060. Stärkere Hitzewellen bedrohen schon jetzt die Produktivität nicht zuletzt in den Städten und steigern den Energiebedarf; auch Fluten und Dürren werden zunehmen. Chinas Bevölkerung ist sich nach der Umfrage nur zu 55 Prozent dieser Risiken bewusst – vermutlich eine Konsequenz der staatlichen Informationspolitik, folgert die Studie. Die Menschen sehen den Staat auch nicht in alleiniger, aber in der primären Verantwortung, die Herausforderung zu managen.
Trotz wiederholter Dürren wie auf Mandelplantagen in Kalifornien betrachtet keiner den Klimawandel sorgloser als die Amerikaner. Nur jeder Zweite empfindet die Folgen als eher oder ernsthaft bedrohlich. Entsprechend wären auch nur 57 Prozent bereit, mehr Dollars für nachhaltige Energie, Nahrung, Kleidung, Hardware oder klimafreundliches Wohnen auszugeben. Nur sechs von zehn Befragten halten staatliches Eingreifen für unausweichlich – die USA sind das einzige Land mit einem Anteil unter 70 Prozent. Erstaunlich auch, dass trotz der klimapolitischen Wende mit dem Wechsel zum demokratischen Präsidenten Joe Biden nur 54 Prozent der Regierung einen ernsthaften Willen zum Klimaschutz unterstellen. Von einer gerechten Lastenverteilung halten die Amerikaner international am wenigsten.