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Interview Nora Wohlert: „Wir müssen noch für viele Dinge kämpfen“

Nora-Vanessa Wohlert, Gründerin der Onlineplattform Edition F
Nora-Vanessa Wohlert, Gründerin der Onlineplattform Edition F
© Jennifer Fey
Mit Edition F schuf sie ein neues „digitales Zuhause für Frauen“. Im Interview erzählt Nora-Vanessa Wohlert, welchen Herausforderungen sie sich als nächstes stellen will: sowohl beim Thema Führung, als auch bei der Gleichstellung von Frauen und Männern.

Nora-Vanessa Wohlert , Jahrgang 1984, gründete 2014 zusammen mit Susann Hoffmann Edtion F , eine Community für Frauen, bestehend aus Online-Magazin, Jobbörse, Webinaren und Events wie dem „Female Future Force Day“ . Das Unternehmen hat heute 30 Mitarbeiter und sitzt in Berlin. Vor der Gründung von Edition F studierte Wohlert Publizistik, Politik und Islamwissenschaften, volontierte anschließend bei der Content-Marketing- und PR-Agentur Fischer Appelt und übernahm dann die Redaktionsleitung beim Online-Magazin Gründerszene . Nora-Vanessa ist Teil der „Jungen Elite“ , der Top 40 unter 40, von Capital.

Capital: Nora, was waren bisher die wichtigsten Learnings auf Deinem Karriereweg?

NORA-VANESSA WOHLERT: Bei der Gründung von Edition F habe ich gelernt, dass es sich lohnt, den Schritt zu wagen. Wir alle haben immer sehr viele Ideen, aber solange man in der Idee verhaftet bleibt, wird man nie wissen, wie es sich anfühlt, mitten drinzustecken. Der Schritt in die Unsicherheit hat sich sehr gelohnt. Mit der Führungsverantwortung kam dann ein weiteres, großes Learning: dass jeder im Team so unterschiedlich tickt, dass man nicht diesen einen Führungsstil haben kann, sondern super individuell auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingehen und danach auch sein Unternehmen strukturieren muss.

Was heißt das in der Praxis?

Nicht jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter passt gleich gut ins Unternehmen und auch nicht gleich gut in jede Phase eines Unternehmens. Wenn man frisch ein Start-up gründet, braucht man sehr viele Generalisten, die alles so ein bisschen können. Jetzt, mit einem 30-köpfigen Team, merken wir, dass wir immer mehr Expertinnen und Experten brauchen. Leute einzustellen, die Dinge besser können als man selbst, ist eine sehr kluge Geschichte. Das muss man sich als Gründer trauen.

Auch zu Beginn der Gründung gab es sicherlich die ein oder andere Fähigkeit, die Du erst einmal erlernen musstest. Wie bist Du damit umgegangen?

Ich glaube, dass es durchaus wertvoll für mich war, dass ich nach dem Studium schon ein paar Jahre gearbeitet und dadurch schon den ein oder anderen Fehler gemacht habe, den ich dann nicht unbedingt bei Edition F wiederholen musste. Susann und ich haben ganz zu Beginn gesagt: Okay, wir können alles so ein bisschen was wir hier machen – manches mehr, manches weniger gut - was wir aber gar nicht können, ist entwickeln. Also brauchen wir Leute bei uns im Team, die das können. Unsere ersten Mitarbeiter waren also ein Backend- und ein Frontend-Developer.

Susann und ich kommen beide aus den Geisteswissenschaften, daher haben wir auch keinen BWL- oder Finance-Background. Das mussten wir komplett neu lernen. Nach diesen fünf Jahren fühle ich mich als hätte ich parallel zur Arbeit noch vier MBAs gemacht. Und wir lernen immer weiter dazu. Was wir bis heute tun, ist uns viel auszutauschen – mit anderen Gründerinnen und Gründern, aber auch allgemein mit Leuten, von denen wir glauben, dass sie bestimmte Dinge besser können, mehr Expertise mitbringen als wir. Manchmal hilft es dann schon, wenn man sich mal zum Lunch zusammensetzt.

Lassen wir uns zu oft von neuen Herausforderungen abschrecken, weil wir denken, wir bringen nicht alle Qualifikationen mit?

Jeder wird mal das Gefühl haben „Ich bring nicht alles mit“ – das haben wir ja auch, wenn wir auf Stellenausschreibungen drauf schauen. Wir Frauen haben das immer noch mehr. Man sagt so schön, Männern reicht es schon wenn sie 50 Prozent der Anforderungen mitbringen und Frauen haben schon Angst, wenn sie eine einzige Anforderung nicht erfüllen. Tatsächlich lohnt es sich aber, sich trotzdem zu bewerben, oder eben trotzdem den Schritt der Gründung zu wagen. Susann sagt immer ganz schön: Das Wasser wird nicht wärmer, wenn man später springt. Das stimmt glaube ich für alles: Gründung, Traumjob, nächster Karriereschritt.

Ihr müsst bei Edition F oft Neues wagen. Die Medienbranche befindet sich in einem ständigen Wandel. Da ist es schwer, Schritt zu halten. Wie geht Ihr damit um, wie bereitet Ihr das Unternehmen auf die Zukunft vor?

Der stärkste Kompass ist unsere eigene Community. Unsere Situation – dass wir eben kein Millionenpolster haben, sondern Neues schnell funktionieren muss, weil wir sonst kein Geld mehr haben - zwingt uns dazu, stärker in den Dialog mit unseren Nutzerinnen und Nutzern zu treten. Das hilft dann wiederum, Produkte zu entwickeln, die sich die Community wünscht. Da kommt ganz viel proaktiv, wir fragen aber auch konkret nach – zum Beispiel bei unseren Events oder mit Online-Umfragen.

„Unternehmen haben Angst, Etabliertes aufzugeben“

Die Community ist das Herzstück von Edition F. Welche Rolle spielen Netzwerke denn für die Gleichstellung?

Sie sind super wichtig. Wenn sich Menschen zusammentun, über Themen nachdenken, diskutieren, gemeinsam die Agenda setzen, werden Themen größer in der öffentlichen Wahrnehmung und dadurch wird auch ein politischer Druck ausgeübt. Obwohl es schon viele Jahre Frauennetzwerke gibt und beim Thema Gleichberechtigung in Deutschland schon viel erreicht wurde, ist es wichtig, dass wir uns in Netzwerken zusammenschließen, um nicht alleine kämpfen zu müssen. Und ich glaube, wir müssen noch für viele Dinge kämpfen.

Für Gleichberechtigung in der Arbeitswelt spielen flexible Arbeitsmodelle eine große Rolle. Warum tun sich viele Unternehmen genau damit oft so schwer?

Ich glaube, Unternehmen haben Angst, bestimmte Dinge, die schon etabliert sind, aufzugeben, Angst davor, dass etwas schlechter wird. Deshalb halten sie lieber am Status quo fest. Allerdings glaube ich, dass die meisten Unternehmen eher Angst haben sollten, wenn sie nichts ändern. Was ich sehr stark beobachte ist, dass junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer andere Ansprüche an ihr Arbeitsumfeld haben.

Welche sind das?

Wenn ich so zehn Jahre zurückschaue in meinem Berufsleben, war es für mich total normal, dass ich am Wochenende in der Agentur noch Pitches gemacht habe, und mir, wenn ich um 19 Uhr gegangen bin von Kollegen anhören durfte „Hast dir wohl den halben Tag freigenommen“. So etwas nehmen junge Menschen heute nicht mehr bereitwillig hin – obwohl sie trotzdem Karriere machen wollen.

„Beim Thema Sichtbarkeit ist noch viel zu tun“

Was muss sich in Unternehmen also am dringendsten verändern?

Beim Thema Sichtbarkeit ist viel zu tun. Ich glaube, dass es noch sehr in unserer Arbeitskultur verankert ist, dass man guckt, wer da ist, wie oft und wie lange. Es entsteht das Gefühl, dass diejenigen am meisten arbeiten, die am längsten da sind. Ich denke, wenn es in diesem Bereich keine Bewegung gibt, werden Unternehmen in fünf, spätestens zehn Jahren große Probleme haben, neue Talente für sich zu gewinnen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch zu halten.

Wie geht Ihr mit dieser Veränderung um, was sind Eure Arbeitsmodelle bei Edition F?

Bei uns ist das aktuell auch ein sehr großes Thema und es ist spannend zu beobachten, welche unterschiedlichen Einschätzungen es dazu innerhalb des Teams gibt. Wir haben grobe Regeln für das gesamte Team, zum Beispiel dass jeder etwa vier bis fünf Tage im Monat Homeoffice machen kann, und wer darüber hinaus noch Homeoffice-Tage braucht, kann das nach Absprache auch tun. Es gibt aber auch Teilzeit- und Sabbatical-Modelle. Die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sehr unterschiedlich. Wir besprechen daher, was für jeden einzelnen das Richtige ist und was gleichzeitig für uns als Unternehmen möglich ist, denn beides muss im Einklang sein.

Die Schwierigkeit, Kontrolle abzugeben

Welche Führungseigenschaft ist Dir persönlich an Dir wichtig?

Ich möchte für mein Team gerne eine Art Mentorin sein – was ich aber sicherlich noch nicht optimiert habe. Ich würde gerne gar nicht so viel vorgeben, sondern jeden im Team dazu befähigen, selber zu wachsen, einen Weg zu beschreiten. Ich muss aber sagen, da bin ich selbst noch auf dem Weg.

Was sind da die Herausforderungen?

Was es am schwersten macht, ist der eigene Perfektionsanspruch und die Schwierigkeit, Kontrolle abzugeben.

Was nimmst du dir sonst noch vor, wie planst du deine berufliche Zukunft?

Die nächsten Jahre sehe ich mich auf jeden Fall bei Edition F. Wir fühlen uns noch immer, als stünden wir ganz am Anfang und wollen ganz viel ausprobieren. Zum Beispiel haben wir uns entschieden, dass wir weiterhin nicht den klassischen Start-up-Weg gehen wollen – mit regelmäßigen Finanzierungsrunden und schnellem, starkem Wachstum. Wir wollen unser Unternehmen nachhaltig aufbauen, kontinuierlich aus eigener Kraft wachsen und einen gewissen Prozentsatz an Anteilen behalten, weil wir selbstbestimmt entscheiden wollen, wie sich das Unternehmen entwickelt. Wir führen Edition F also ein bisschen wie ein Familienunternehmen.

Wenn es Edition F nicht gäbe – was würdest du am liebsten tun?

Ich könnte mir vorstellen in die Politik zu gehen, weil das ein Bereich ist, das hier und da innovative Impulse gebrauchen kann und ich von mir behaupten würde, dass ich dazu an der ein oder anderen Stelle beitragen kann. Was mir auch am Herzen liegt: Die Start-up-Szene insgesamt. Daher könnte ich mir auch vorstellen, selbst in ein Unternehmen zu investieren, am liebsten in ein weibliches, denn die Gesamtinvestmentszene ist immer noch sehr männlich geprägt. Ich bin schon der Meinung, dass man mit einer guten Idee auch als Frau auf jeden Fall Geld am Markt bekommt, aber man schon merkt, dass es gerade im Early-Stage-Investmentbereich schwieriger ist, jemanden von einer Idee zu überzeugen, der vielleicht das Produkt nicht unbedingt selbst nutzen möchte. Und ich glaube viele Frauen haben einfach Ideen, die ein persönliches Need umschreiben.

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