Bei Nils Schnell und Anna Stania dreht sich alles um New Work . Die beiden Hamburger nennen sich „Modern Work Experten“, die mit ihrer Agentur Mowomind Unternehmen zu Fragen sinnstiftender Arbeit beraten. Um zu analysieren, wie es außerhalb Deutschlands um diese neue Arbeit bestellt ist, reiste das Paar elf Monate lang durch die Welt.
Zu den Zielen zählten so genannte New Work Hotspots wie Sydney oder Schanghai, aber auch Hidden Champions wie Sarajevo oder Almaty. Vor Ort veranstalteten die Deutschen nicht nur selbst Coachings, sondern ließen sich durch Firmenbesuche, Interviews und Netzwerkveranstaltungen inspirieren. Was sie in dieser Zeit über New Work gelernt haben, erklären sie im Interview.
Capital: Was heißt New Work für Euch?
NILS SCHNELL: New Work ist für uns vor allem ein Denkansatz, bei dem es darum geht, sinnstiftende Arbeit in den Mittelpunkt seiner eigenen Handlung zu stellen.
Hat sich die Definition von New Work für Euch im Laufe Eurer Reise verändert?
SCHNELL: Sie ist im Kern gleich geblieben, hat sich für uns aber nochmal verschärft.
ANNA STANIA: Es wird vielleicht nicht von jedem in Kasachstan oder der Mongolei „New Work“ genannt, aber jeder, den wir getroffen haben, hatte ein Verständnis davon, warum man die Arbeit macht, die man macht.
Ihr habt 26 Länder bereist, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, Australien, aber auch Kasachstan. Wie ist die Reiseroute entstanden, nach welchen Kriterien wurden die Stationen ausgewählt?

SCHNELL: Wir wollten einen bunten Mix haben aus Hotspots die man kennt, wie Shcanghai und Singapur, aber auch so genannte Hidden Champions. Wir wollten auf jeden Fall in die Balkanstaaten, und von dort aus haben wir dann viel recherchiert und sind an Orte gereist, wo uns ein Unternehmen oder eine Person interessiert hat.
Bessere Voraussetzungen für New Work in wohlhabenden Ländern
Wo ist die Umsetzung von New Work am weitesten fortgeschritten?
STANIA: Das Konzept und die wirkliche Anwendung war in Australien am stärksten ausgeprägt. Die Vereinbarung von Freizeit und Beruf scheint dort sehr gelungen, aber auch der Lifestyle dazu. „Ich richte meine Arbeit nach dem aus, was ich wirklich will“ - das wird dort viel stärker gelebt. Die Australier arbeiten hart, gehen aber zum Beispiel morgens vorher nochmal surfen.
SCHNELL: Die Unternehmen, die wir uns dort angeschaut haben, waren alle sehr purposedriven. Das war dort relativ normal. Es ist natürlich nicht in allen Unternehmen so, aber doch weit verbreitet.
Woran liegt das?
SCHNELL: Australien ist ein sehr wohlhabendes Land. Wenn die Rahmenbedingungen gegeben sind, ist alles einfacher.
STANIA: Ein weiterer Punkt ist, dass die Australier schon gerne in ihrem Land bleiben. Die eigenen Landsleute sind eine wichtige Zielgruppe, das erleichtert bestimmte Kommunikationsprozesse und man kann Werte besser gemeinsam teilen.
SCHNELL: Australien ist aber auch stark darin, Talente aus anderen Erdteilen anzuziehen, weil Menschen einfach gerne nach Australien kommen möchten. Da kommt viel Expertise zusammen.
Für Deutschland mehr Mut und Interesse an Technologie
Welche der auf der Reise erlebten Arbeitskonzepte würdet Ihr Euch am dringendsten für Deutschland wünschen?
STANIA: Aus Australien die Vereinbarkeit von Lebensstil und Arbeit, die sinnstiftend ist. Im Nahen Osten war sehr interessant, wie die Menschen dort den Augenblick bewusster leben. Das liegt vielleicht daran, dass sie umgeben sind von sehr vielen widrigen Bedingungen und genau wissen, dass nächste Woche alles ganz anders sein kann. Da wird Leben viel mehr zelebriert, das fließt auch in die Arbeit ein. Aus den Balkanstaaten habe ich die Frage mitgenommen, ob wir in Deutschland nicht viel mehr mit den Ländern kooperieren sollten, statt ihnen Fachkräfte zu entziehen. Und zudem wünsche ich mir für Deutschland mehr Mut und Interesse an Digitalisierung und Technologie.
Welche gemeinsamen Herausforderungen konntet Ihr unter den bereisten Orten bzw. Unternehmen im Bereich New Work ausmachen?
SCHNELL: Dass die Anderen verstehen müssen, dass es eben eine andere Art von Arbeiten ist. Wir haben immer wieder erlebt, dass Gründer ihr eigenes Umfeld aber auch die Regierung davon überzeugen mussten, warum ihre Arbeit anders funktioniert als die klassische Arbeit.
STANIA: Im Libanon zum Beispiel hat sich ein Gründer bewusst dafür entschieden, nur für sein eigenes Land zu arbeiten. Er hätte Großkunden aus der ganzen Welt haben können, hat sich aber dagegen entschieden, weil er meinte, er könnte eigentlich viel mehr Sinn stiften und seine Arbeit nutzreich machen, wenn er sich nur auf kleine Start-ups im Libanon fokussiere. Jeder Gründer, den wir interviewt haben, hat gesagt: Ich muss immer wieder den Sinn, das Warum, klar machen, ich brauche Geduld und muss Transparenz schaffen. Das war überall eine Herausforderung, aber in jedem Land unterschiedlich ausgeprägt. Während man in Kasachstan noch damit beschäftigt war, den Mitarbeitern zu erklären, was autonomes Arbeiten bedeutet, ging es in Australien eher um Wissensvernetzung im Unternehmen.
Chancen für die gesamte Bevölkerung
Ihr habt auch Länder wie Malaysia und die Philippinen bereist, wo viele Menschen unter katastrophalen Arbeitsbedingungen leiden. Ist dort die Suche nach sinnstiftender Arbeit nicht ein Luxusproblem?
SCHNELL: Einerseits ja, weil es erst mal gar nicht für alle möglich ist, sondern für einen kleineren, wahrscheinlich gebildeteren Teil. Und andererseits nein, weil durch Vorreiter auch immer große Chancen für den Rest entstehen. Gerade auf den Philippinen haben wir gehört, dass sie einige Entwicklungsschritte komplett überspringen, weil sie in bestimmten Schritten noch gar nicht so weit sind. Ein Beispiel: Sie überlegen den Schritt von Kreditkarten zu überspringen und direkt in mobile paying zu gehen. Dadurch eröffnen sich große Möglichkeiten für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Einerseits ist es schwierig, dass alle davon profitieren können, andererseits entstehen durch mutige Vorreiter für die gesamte Bevölkerung große Chancen. Natürlich erst mal nur in den Städten.
Kann die Idee von New Work überhaupt auf alle Branchen angewandt werden?
SCHNELL: Es geht auf jeden Fall deutlich über den Tech-Bereich hinaus, weil sinnstiftende Arbeit grundsätzlich überall möglich ist. Durch die Automatisierung wird die Frage noch wichtiger. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, schließlich ist es überall wichtig, sich zu fragen, was ich wirklich tun will, damit ich ein sinnhaftes Leben führen kann. Am Ende geht es ja bei New Work nicht nur um Arbeit, sondern um das große Ganze. Der Tech-Branche ist deshalb am weitesten, weil sie sehr international ist und neue Ideen sehr schnell aufgreift.
Der Luxusanteil von New Work

Inwiefern ist die Verbreitung von New Work mit der Entwicklung einer Gesellschaft verknüpft?
SCHNELL: Wenn ich es mir erlauben kann, nach sinnstiftender Arbeit zu suchen, dann bedeutet das, dass ich mich nicht nur um meine nächste Mahlzeit kümmern muss, sondern ein bisschen weiter blicken darf. Das ist mit das Entscheidendste daran, warum New Work anspruchsvoll ist: Ich brauche den Rahmen, um mir um den Sinn meiner Arbeit Gedanken machen zu können – das ist sozusagen der Luxusanteil an New Work.
STANIA: Wobei nur die Basics gedeckt sein müssen. Sobald alles Existenzielle da ist, kann auch New Work in einem sehr kleinen Rahmen gedacht werden: in Kasachstan, im Libanon, wo die Leute zum Teil in der Stadt kein Internet hatten und trotzdem sinnbezogen gearbeitet haben.
Welche wichtigen gesellschaftlichen Fragen müssen wir also klären, damit alle Menschen eine Chance auf sinnstiftende Arbeit haben?
STANIA: Wir müssen viel mehr verstehen, wie unsere zukünftige Arbeit durch Technologisierung und Automatisierung verändert wird. Statt sich zu sperren, sollte man sich fragen: Wo bringt uns diese Veränderung hin?
SCHNELL: Häufig wird unterschätzt, dass viele Menschen so in diese ganzen Strukturen eingebunden sind, die wenig hinterfragt werden, weil alles irgendwie einfach geschieht. Menschen fühlen sich passiver, reaktiv statt proaktiv. Menschen sollten es schaffen, proaktiv die Zukunft anzugehen, so, dass sie sich selbst überlegen können, was ihnen wichtig ist. Das ist ein Riesenschritt zur persönlichen Freiheit. Wenn man proaktiv Sachen angeht, hat man sie besser in der Hand, als wenn man im Hamsterrad läuft. Wir stehen an einem Punkt, wo es ungemein wichtig ist, wieder proaktiv zu sein – privat und gesellschaftlich. Bewegungen wie Fridays For Future zeigen, dass sich Menschen überlegen, was sie wollen und was es für ihr Handeln bedeutet.
STANIA: In Deutschland haben wir eigentlich die perfekte Ausgangslage. Wir haben einen hohen Bildungsstandard, leider sehen wir aber mehr Probleme als Möglichkeiten. Da mal ganz bewusst die Denkart zu verändern braucht Zeit und Mut.
Anna Stania und Nils Schnell wollen ihre New Work Weltreise fortführen. Im Winter soll es ein zweites Mal losgehen - dieses Mal nach Afrika, Südamerika, in die Karibik und nach Nordamerika.