Wenn man sich mit Laura Hoffmann unterhält, dann kann es vorkommen, dass es plötzlich ungeheuer laut knallt. Die Scheiben des Gebäudes, in dem sie sitzt, vibrieren dann, und wer so etwas nicht gewohnt ist, zuckt unwillkürlich zusammen. Hoffmann allerdings rührt sich nicht, sie nimmt oft nicht einmal wahr, dass es den Knall gegeben hat.
Die 19-Jährige ist Auszubildende bei Rheinmetall am Standort Unterlüß in Niedersachsen. Mitten in der idyllischen Heidelandschaft zwischen Hamburg und Hannover produziert und wartet das Rüstungsunternehmen Panzer. Moderne Schützenpanzer vom Typ Puma stehen hier in den Werkshallen, aber auch die generalüberholten Marder, die demnächst vielleicht in der Ukraine gegen den Angreifer aus Russland zum Einsatz kommen. Und weil Panzer auch zum Schießen da sind, wird auf einem speziellen Gelände nicht weit vom Werk eben der Schussvorgang getestet. Mehrmals am Tag, je nach Wetter.
Hoffmann ist Zerspanungsmechanikerin im dritten Ausbildungsjahr. Sie lernt, die Bauteile, die am Computer entworfen werden, an der Maschine Wirklichkeit werden zu lassen. Dazu gehört am Anfang der Ausbildung eine Menge Feilen, später vor allem der Umgang mit Software. Wie die meisten der 64 Auszubildenden in Unterlüß kommt die junge Frau mit der markanten Brille direkt aus der Gegend. „Wenn man hier aufwächst, ist Rheinmetall einfach ein Begriff“, sagt Hoffmann. „Das ist der erste Ansprechpartner.“ Seit 123 Jahren ist Rheinmetall schon hier, es ist ein Standort mit Geschichte. Man merkt Hoffmann an, dass sie sich hier wie zu Hause fühlt. Wenn sie über das Werksgelände läuft, scherzt sie mit den älteren Facharbeitern, der Gang ist entspannt, ihre Mit-Azubis nennt sie ihre „Zerspaner-Jungs“.
„Wir fragen, wie die moralische Haltung dazu ist“
Hoffmann und ihr Kollege Jan Hoppenstedt, der hier zum Industriemechaniker ausgebildet wird, loben die Abwechslung in den Lehrgängen, die vielen Abteilungen, in die sie Einblick bekommen, die ungeheure Technik, die zum Vorschein kommt, wenn man einen 43 Tonnen schweren Panzer in seine Einzelteile zerlegt. „Das Produkt ist interessanter als in anderen Unternehmen“, sagt der 20-jährige Hoppenstedt.
Aber was ist mit dem Zweck dieser Produkte, die töten, wenn es sein muss? Und das nicht nur abstrakt, sondern oft auch ganz konkret, wie jetzt in der Ukraine?

„Wir fangen schon beim Vorstellungsgespräch an. Wir fragen, wie die moralische Haltung dazu ist, wie die Familie es sieht und wie jemand zum Thema Rüstung steht", sagt Thomas Meyer. Meyer ist Ausbildungsleiter in Unterlüß – und wenn man so will, steht er unmittelbar an der Marke für die Zeitenwende, die der Bundeskanzler ausgerufen hat und die Rheinmetall neue Aufträge in die Bücher spült.
Meyer fing 1989 als Praktikant an und absolvierte dann seine Ausbildung bei Rheinmetall. Der Kalte Krieg endete gerade, und der Bedarf an Waffen in Europa schien nur noch begrenzt. Viele Auszubildende wurden damals nicht übernommen, und Meyer sah sich für ein paar Jahre anderswo um. Erst Mitte der 90er-Jahre kehrte der gelernte Industriemechaniker zu Rheinmetall zurück und arbeitete sich mit Zusatzqualifikationen zum Ausbildungsleiter hoch. Wenn man nach seiner Haltung zu dem moralischen Problem fragt, sagt er: „Die Frage ist doch: Wer schützt die, die uns schützen? Wer liefert die Ausrüstung für unsere Soldaten?“ Was er seinen Auszubildenden vermittelt, ist: Wer den Frieden bewahren will, muss denen, die dafür militärisch einstehen, auch die Mittel dafür an die Hand geben.
Für die angehende Zerspanungsmechanikerin Hoffmann ist die Debatte um die Rüstungsindustrie eher ein praktisches Problem. Gleich am ersten Tag der Ausbildung standen Demonstranten vor den Werkstoren von Rheinmetall, und Hoffmann wurde mit den anderen Auszubildenden im Auto aufs Gelände gefahren. Wenn Rüstungsgegner in Unterlüß campieren, was hin und wieder vorkommt, dann zieht Hoffmann die blaue Rheinmetall-Latzhose erst an, wenn sie im Werk angekommen ist. Auf Diskussionen mit den Demonstranten will sie sich nicht einlassen. „Mich macht es stolz zu sehen, dass wir ein Produkt gemeinschaftlich herstellen“, sagt sie. „Natürlich denkt man nicht bei jedem Handgriff darüber nach, wie die Produkte zum Beispiel bei der Bundeswehr am Ende eingesetzt werden.“
Rheinmetall findet relativ leicht Azubis
Im Freundeskreis hat keiner das Unternehmen kritisiert, für das sie arbeitet. Auch ihr Kollege Hoppenstedt sagt, er habe „noch nie negative Reaktionen bekommen“. Der Ruf des Konzerns ist unter den jungen Leuten gut. Und dass dessen Produkte derzeit in den Medien oft eher als wichtiger Beitrag in einem heiklen Konflikt genannt werden, verbessert ihn sogar noch.
Tatsächlich scheint es Rheinmetall vergleichsweise leicht zu fallen, neue Auszubildende zu gewinnen, wenn man Thomas Meyer glauben darf. An allen Standorten zusammen gibt es derzeit 420 Azubis und dual Studierende, die Abbrecherquote geht gegen null. Der Frauenanteil ist mit 15 Prozent noch niedrig, doch er nimmt zu, vor allem in den kaufmännischen Abteilungen. Bewerberinnen werden grundsätzlich zum Vorstellungsgespräch eingeladen, wenn sie die erste Prüfung bestanden haben.
Besonders attraktiv ist für die meisten die Vielseitigkeit der Ausbildung, die von handfesten Tätigkeiten über die Steuerung von Werkzeugmaschinen bis zu Testverfahren für Panzer reicht. Jeden Monat wechseln die jungen Leute die Abteilung, sogar beim Werkstischler schauen sie vorbei, der der Produktion zuarbeitet. „Die Technik, in der wir hier ausbilden, ist deutlich vielseitiger geworden. Und damit auch die Lehrgänge, die wir anbieten“, sagt Meyer.
Für Laura Hoffmann ist klar, dass sie ihr Arbeitsleben bei Rheinmetall verbringen will. Sie macht sogar als „Ausbildungsbotschafterin“ Werbung in Schulen. „Für mich ist die Ausbildung die beste Zeit, die ich bisher hatte“, sagt sie.