Seit die Deutsche Bahn nicht mehr funktioniert, fahre ich alles mit dem Auto – CO₂ hin oder her. Ich habe schließlich einen Job zu erledigen und Kunden, die sich auf mich verlassen. Da will ich nicht zu irgendeinem Heiligen der Bahnweichen und -gleise beten in der vagen Hoffnung, irgendwo anzukommen.
Ich finde Autofahren super, ganz im Ernst. Im Stau zu stehen, macht mir fast nie etwas aus. Ich habe Musik dabei, höre einen Podcast oder gehe in Gedanken vielleicht nochmal meinen Termin durch. Vor Gott und in einem Verkehrsstau sind alle Menschen gleich, heißt es. Wer hätte das gedacht: die Autobahn als letzte Bastion der Demokratie.
Auch Minderheitenmeinungen müssen wir aushalten
Ich quäle Sie mit meiner Hymne auf das Auto, weil diese Haltung offenbar eine Minderheitenmeinung ist. Kürzlich habe ich einen Vortrag auf einer Konferenz gehalten. Mitten in der Pampa, mit der Bahn fast nicht erreichbar. Auf die Frage der Moderatorin, wie ich zum Auftritt gekommen sei, habe ich wahrheitsgemäß geantwortet: mit dem Auto. Da entglitten ihr die Gesichtszüge, so als habe ich gesagt, ich hätte kurz vor meinem Auftritt noch ein rohes Kaninchen gegessen. Sie entschuldigte sich hinterher und meinte, ja, ich könnte natürlich auch mit dem Auto zu einer Konferenz fahren. Ich sah sie nur an und dachte: Bitte hören Sie auf, Sie machen alles nur noch schlimmer.
Der von mir geschätzte Dieter Hallervorden kommt momentan virtuell unter die Räder, weil er gewagt hat, in einem Sketch in der ARD die Worte „Negerkuss“ und „Zigeunerschnitzel“ zu benutzen. Der Sketch nahm Bezug auf die Begriffsentwicklung unserer Sprache; Hallervorden setzte die Begriffe sehr bewusst und als Referenz ein. Nur so ergab der satirische Beitrag überhaupt Sinn.
Doch für solche Feinheiten hat der woke Mob heutzutage keine Antennen mehr. Wer sich nicht weichgespült äußert, kommt an den Pranger. Dafür, dass die ARD den Sketch nicht zensiert hat, hat sich Hallervorden hinterher übrigens ausdrücklich bedankt.
In einem Rechtsstaat ist alles erlaubt, was nicht verboten ist
Was haben nun meine Auto-Beichte und Hallervordens Sketch gemeinsam? Wir beide äußern auch Meinungen, die unbequem sind, die man aushalten muss. Denn alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt. So ist das in einem Rechtsstaat, den doch alle immer ausdrücklich hochhalten. Meinungsfreiheit, Beteiligung und Transparenz sind die Grundpfeiler unserer Demokratie. Bricht einer weg, sind die anderen beiden auch in Gefahr. Da müssen wir gar nicht erst in die USA schauen.
Auch Sie als Führungskraft werden dafür bezahlt, unbequem zu sein. Meinungen zu vertreten, die vielleicht nicht jedem gefallen. Führungskräfte übernehmen Verantwortung, das heißt, es gibt auch mal Gegenwind. Den auszuhalten, ist in den letzten Jahren nicht leichter geworden. Wenn die „moralisch Überlegenen“ Fehlverhalten wittern, fackeln sie nicht lange und es droht der berufliche oder soziale Pranger.
Ich kann daher jede Führungskraft gut verstehen, die sich lieber verstecken will. Aber dann sitzen Sie auf dem falschen Stuhl. Mut ist, was Sie jetzt brauchen, in der aktuellen wirtschaftlichen Lage mehr denn je. Nehmen Sie sich vor, wenigstens einmal in der Woche eine mutige Entscheidung zu treffen. Sie müssen ja nicht gleich „Schaumküsse“ verteilen oder – Gott bewahre – mit dem Auto fahren.