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Gastbeitrag Lob der Langsamkeit

In Japan werden Managemententscheidungen im Konsens getroffen
In Japan werden Managemententscheidungen im Konsens getroffen
© Getty Images
Japanische Unternehmen machen es vor: Schneller ist nicht unbedingt besser. Swen Rehders erklärt, warum Sorgfalt und Konsens oftmals zu besseren Entscheidungen und zu nachhaltiger Wertschöpfung führen

Mit Managementmethoden ist es wie mit Technologien: Etwas Neues kommt auf den Markt, alle sind begeistert und nach einiger Zeit folgt die Ernüchterung und die Erkenntnis, dass das Neue vielleicht doch nicht alle Probleme löst. Das US-Marktforschungsunternehmen Gartner hat diese Erkenntnis in seinem bekannten Hype-Cycle verewigt. Ähnliches passiert gerade mit dem Begriff „agil“. Das Buzzword Agilität hat eine rasante Karriere gemacht , ein Unternehmensberater, der etwas auf sich hält, gebraucht „ädscheil“ neben vielen anderen Anglizismen in jedem zweiten Satz.

Swen Rehders
Swen Rehders ist CEO Deutschland beim japanischen IT-Dienstleister NTT DATA
© PR

Doch dieser Hype ist schon wieder vorbei. Googelt man den Begriff, findet man zunehmend kritische Stimmen, auch in Medien wie dem „Manager Magazin“, das noch vor kurzem elektrisiert war von schnellen und flexiblen Prozessen. Jetzt ist von Scheitern, Irrtümern und kaltem Kaffee die Rede.

Gut so. Nicht alles, was aus den USA zu uns herüber schwappt, ist automatisch toll beziehungsweise passt zu deutschen Unternehmen. Statt nach Westen zu blicken, empfehle ich einen Blick nach Fernost, genauer gesagt nach Japan. Das Land ist geradezu ein Gegenentwurf zur US-amerikanischen Agilität. Japaner sind langsam, so kommt es uns mitunter vor, aber nicht weil sie nicht schneller können, sondern weil Sorgfalt einen hohen Stellenwert hat.

Im Mittelpunkt steht der Kunde

Dahinter stecken zwei Prinzipien: Kintsugi, was sich mit „leise“ übersetzen lässt und im Unternehmenskontext für werthaltige Innovation steht. Und Ringi Seido, was so viel wie „Konsens“ bedeutet oder auch „gemeinsam entscheiden“. Das umschreibt ganz gut, wie Innovation in Japan abläuft. Jedes Detail wird mehrfach bedacht, Alternativen geprüft, Konsens hergestellt und erst dann gemeinsam beschlossen. Und im Mittelpunkt steht immer der Kunde. Nur wenn er zu hundert Prozent (es darf auch ein bisschen mehr sein) zufrieden ist, hat man seine Arbeit gut gemacht. Nur um gleich wieder zu schauen, wo man noch etwas zum Wohle des Kunden verbessern kann.

Das dauert lange, das ist wahr. In Japan geht Sorgfalt vor Schnelligkeit. Dennoch ist Japan ein hoch innovatives Land und mit vielen Technologien genauso schnell auf dem Markt wie deutsche oder amerikanische Unternehmen. Wie kann das sein? Wenn japanische Unternehmen langsamer loslaufen, müssen sie den Zeitrückstand irgendwo unterwegs wieder aufholen. Das geschieht in der Umsetzungsphase.

Wenn eine Entscheidung im Konsens gefällt ist, dann wird sie mit Wucht verfolgt. Die Mitarbeiter können sich in einem japanischen Unternehmen darauf verlassen, dass man auf dem Weg bleibt, auch wenn man auf Hindernisse trifft. Dass man seine Pläne um 180 Grad dreht, nur weil eine Quartalsbilanz schlecht ausgefallen ist und die Aktionäre unruhig werden, habe ich bei einem japanischen Unternehmen noch nicht erlebt. Hinzu kommt, dass japanische Unternehmer keine Anhänger von Mikromanagement sind. Als Mitarbeiter und Führungskraft hat man große Freiheiten, wie man die vorgegebenen Ziele erreichen möchte. Das zeugt von einem großen Vertrauen und gibt einem eine große Sicherheit.

Japanische Akribie liegt uns näher

Welche Kultur passt nun besser zu deutschen Unternehmen? Sie ahnen es schon: Ich bin ein Anhänger des japanischen Weges. Aber nicht in Reinform, denn das würde nicht zur europäischen Kultur passen. Nach meiner Einschätzung sind deutsche Mitarbeiter selten richtig glücklich in einem amerikanischen Unternehmen, wo der Aktienkurs mehr zählt als ein konsensorientiertes und an den Menschen orientiertes Betriebsklima und eine verlässliche Unternehmensführung auch in schwierigen Zeiten. Japanische Akribie liegt uns näher und ist uns sympathischer.

Das erklärt vielleicht auch, dass wir Deutschen uns schwer tun mit disruptiven Innovationen. Sie zerstören alte Geschäftsmodelle und ersetzen sie durch völlig neue. Näher liegt uns das Prinzip der Evoruption, der evolutionären Veränderung. Auch japanische Unternehmen verfolgen diesen Ansatz, schaffen damit aber doch immer wieder Produkte und Dienstleistungen, die die Welt verändern, wie zum Beispiel den Walkman oder die Servicerobotik. Auch völlig neue Geschäftsmodelle müssen dem Kunden Nutzen bringen und sie sollten vor allem eine nachhaltige Perspektive bieten, auch den Mitarbeitern im eigenen Unternehmen. Nicht vergessen sollte man, dass die oft zitierten Beispiele Facebook, Google und Amazon nicht für die deutsche Unternehmenslandschaft taugen. Weil wir nicht agil und nicht disruptiv seien, gebe es in Deutschland kein Google, heißt es. Das ist falsch. Vielmehr liegen die Stärken deutscher Unternehmen im B2B-Geschäft und in qualitativ hochwertigen Produkten mit gutem Service.

Hartnäckige Anhänger agiler Konzepte werden sich nun die Haare raufen. In ihren Augen führen meine Vorschläge dazu, dass Unternehmen Tempo verlieren und hinter die Wettbewerber zurückfallen. Dass das nicht stimmt, beweist wieder der Blick nach Japan. Die vermeintliche Langsamkeit führt dort nicht zu einem Niedergang der Wirtschaft, im Gegenteil, den japanischen Unternehmen geht es bestens. Auch mein Unternehmen ist dafür ein gutes Beispiel. Wir treffen Entscheidungen vielleicht langsamer, aber es sind häufiger die richtigen. Auch merken Kunden irgendwann, dass ein Produkt aus den USA zwar schnell verfügbar, aber vielleicht nicht ganz ausgereift ist.

Ich bin davon überzeugt, dass dieser japanische Weg der Nachhaltigkeit in Zukunft der erfolgversprechendere ist. Dafür gibt es einige Anzeichen. So wandelt sich unsere Arbeitswelt von hierarchisch geprägten Unternehmensstrukturen zu partizipativen Strukturen, die auf Nachhaltigkeit ausgelegt sind. An die Stelle von Befehl und Gehorsam tritt der Konsens. Jeder kann mitreden und Ideen einbringen, erst dann wird entschieden und zwar gemeinsam. Gespräche mit jungen Mitarbeitern zeigen, dass solche Aspekte der neuen Generation sehr wichtig sind. Für ein konsensorientiertes Unternehmensklima mit Entfaltungsmöglichkeiten und eine Aufgabe, die Sinn stiftet, verzichten Berufseinsteiger sogar auf ein paar Euro Gehalt. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das eine wichtige Erkenntnis.

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