Es ist nicht gerade eine neue Erkenntnis: Diverse Unternehmen sind erfolgreicher, auch und gerade im Management. EU-weit sind aktuellen Erhebungen zufolge jedoch gerade mal 8,5 Prozent der Vorstands- und 30,6 Prozent der Aufsichtsratsposten mit Frauen besetzt. Spitzenreiter ist Frankreich, wo bereits heute 45 Prozent der Aufsichtsräte weiblich sind.
Nun soll mehr Bewegung in die Sache kommen: Unterhändler des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten haben sich am 7. Juni 2022 auf die Einführung einer Geschlechterquote geeinigt, die in Anbetracht der vorstehenden Zahlen mehr Frauen in die Führungsetagen bringen soll. Bestes Beispiel dafür, dass die Quote wirkt: Deutschland. Seit Inkrafttreten des Führungspositionen-Gesetzes im Jahr 2015 ist die Frauenquote in Aufsichtsräten von unter 10 Prozent auf knapp 30 Prozent gestiegen. Die im Jahr 2021 beschlossenen Verschärfungen dieses Gesetzes – insbesondere die Mindestquote für Vorstände mit mehr als drei Mitgliedern – gelten zwar erst ab August dieses Jahres. Sie haben in den vergangenen Monaten aber bereits zu einer bisher unbekannten Flut an Ernennungen von Vorständinnen geführt.
Was wurde beschlossen?
Grundlage der Verhandlungen zwischen EU-Rat und EU-Parlament war der Richtlinienentwurf der Kommission aus dem Jahr 2012. Danach sollen mindestens 40 Prozent der Aufsichtsratsmandate von Frauen besetzt werden. Alternativ müssen Frauen mindestens ein Drittel der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat zusammen ausmachen. Die Regelungen gelten für börsennotierte Unternehmen, wobei Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern ausgenommen sind. Bei gleicher Qualifikation soll die Kandidatin beziehungsweise der Kandidat des unterrepräsentierten Geschlechts bevorzugt werden. Zudem gelten jährliche Berichtspflichten, ob und falls nicht, weshalb die Quote (nicht) erfüllt wurde. Die Vorgaben sind ab Juli 2026 verbindlich.
Und jetzt?
Die Kommission wird den Richtlinienentwurf nun anpassen und zeitnah dem Europäischen Rat, das heißt den Regierungen der Mitgliedstaaten, und dem Europäische Parlament zur Verabschiedung vorlegen. EU-Richtlinien bedürfen in den Mitgliedstaaten aber stets der Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber innerhalb einer in der Richtlinie bezeichneten Frist. Das ist schon deshalb sinnvoll, weil die mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen im Gesellschaftsrecht stark voneinander abweichen und manche Mitgliedsstaaten, etwa Frankreich oder die skandinavischen Länder, schon heute strenge Quotenregelungen kennen.
Muss auch Deutschland tätig werden?
Unbedingt, sonst droht ein Vertragsverletzungsverfahren. Die neue EU-Quote ist nicht nur höher (40 Prozent anstelle von 30 Prozent), ihr Anwendungsbereich ist auch deutlich weiter gefasst. Nach der bisherigen Regelung im deutschen Recht, sind nur börsennotierte Unternehmen mit einem paritätisch mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzen Aufsichtsrat an die Quote gebunden. Das heißt vor allem Kapitalgesellschaften, in denen Arbeitnehmervertreter aufgrund der Größe des Unternehmens in den Aufsichtsräten verpflichtend sind. Seit Einführung der sogenannten Societas Europaea, kurz SE, konnten sich jedoch viele Unternehmen der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat entziehen. Die Frauenquote dürfte hierfür nicht den Ausschlag gegeben haben, doch das Ergebnis ist kaum zufriedenstellend: Für einen signifikanten Anteil börsennotierten Unternehmen gilt die Frauenquote bisher nicht.
Diese Schwachstelle des deutschen Rechts hat die Ampelkoalition bereits erkannt und beabsichtigt laut Koalitionsvertrag durch die Hinzurechnung von Tochtergesellschaften mehr Unternehmen unter den Anwendungsbereich der paritätischen Mitbestimmung zu stellen. Zukünftig wird sich der Gesetzgeber vom Kriterium der Mitbestimmung aber gänzlich verabschieden müssen. Der Richtlinienvorschlag zur Geschlechterquote gilt für alle börsennotierten Unternehmen, unabhängig von der zwingenden Arbeitnehmermitbestimmung.
Werden Verstöße gegen die Quote in Zukunft sanktioniert?
Auch Investoren und Aktionärsvertreter fordern teilweise bereits heute aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen Mindestquoten. Untersuchungen zur Wirksamkeit von Frauenquoten zeigen jedoch, dass Selbstverpflichtungen allein wenig Wirkung haben und Sanktionen zur effektiven Umsetzung erforderlich sind.
Der bisherige Richtlinienentwurf verlangt wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen. Beispielhaft werden Geldbußen oder die Nichtigkeit einer quotenwidrigen Bestellung genannt. Letzteres kennt das deutsche Recht bereits: Bestellungen von Aufsichtsräten oder Vorständen unter Verstoß gegen die Quotenregelung sind unwirksam (sogenannte Sanktion des „leeren Stuhles“). Organposten bleiben deshalb so lange unbesetzt, bis eine quotengerechte Ernennung erfolgt. Bußgelder werden jedoch nicht verhängt.
Ausblick
Unternehmen haben nun ausreichend Zeit, sich auf die Umsetzung der europäischen Richtlinie in das deutsche Recht vorzubereiten. Hierfür bedarf es gezielter Schulungen von Mitarbeitern und Programmen zur Förderung von Minderheiten (auch, aber nicht ausschließlich von Frauen). Es ist nicht nur aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit erfreulich, dass die EU sich endlich zu einer Frauenquote durchgerungen hat und Mitgliedstaaten wie Deutschland ihren jahrelangen Widerstand aufgegeben haben. Unternehmen sollten die neuen Vorgaben als Chance begreifen. Denn nimmt man die einschlägigen Studien zur Diversität in Unternehmen ernst, sind wirtschaftlicher Erfolg und eine diverse Unternehmenskultur eng miteinander verknüpft.