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Studie startet Experiment Viertagewoche: So funktioniert das deutsche Pilotprojekt

Marcus Gaßner und seine Frau Ayleen Bauser stehen im Lager ihrer Sanitärfirma
Marcus Gaßner und seine Frau Ayleen Bauser, Inhaber der Firma Gaßner Sanitär Heizung Fließen, haben die Viertagewoche bereits eingeführt
© Silas Stein/dpa / Picture Alliance
Vier Tage arbeiten zum vollen Gehalt: Nach Pilotprojekten in anderen Ländern startet nun auch ein großes Experiment zur Vier-Tage-Woche in Deutschland. Unternehmen können sich jetzt zum Mitmachen anmelden.

Inhaltsverzeichnis

An der Idee der Viertagewoche scheiden sich die Geister: Während sich viele Arbeitnehmer sehr gut vorstellen können, nur noch vier Tage bei vollem Gehalt zu arbeiten, sehen Unternehmen das Modell naturgemäß kritischer. Arbeitgeberverbände wehren sich insbesondere gegen politische Vorstöße, die ihnen eine Art Vier-Tage-Pflicht aufdrücken würden. Die mächtige Gewerkschaft IG Metall hat sich dagegen für eine Viertagewoche ausgesprochen – auch wenn sie diese wohl noch nicht in der nächsten Tarifrunde fordern wird.

Aber wie praktikabel ist die Viertagewoche überhaupt? Was für Vor- und Nachteile ergeben sich für Mitarbeiter und Firmen? Das will nun ein groß angelegtes Pilotprojekt für Deutschland herausfinden. Ein sechsmonatiges Experiment soll zeigen, welche Erkenntnisse aus ähnlichen Studien in Großbritannien und anderen Ländern sich auf Deutschland übertragen lassen.

Die Studie beginnt nun mit der Anmeldephase, in der sich interessierte Unternehmen für die Teilnahme melden können. „Das Interesse ist riesig“, sagt Julia Backmann, Professorin für die Transformation der Arbeitswelt an der Uni Münster, zum Stern. Sie leitet die begleitende wissenschaftliche Studie. Obwohl die offizielle Auftaktveranstaltung erst an diesem Donnerstag stattfindet, hätten sich schon zahlreiche Firmen aus sehr verschiedenen Bereichen gemeldet, die teilnehmen wollten. Die Organisatoren der Pilotstudie wollen mehr als 50 Unternehmen für die Teilnahme gewinnen.

Viertagewoche: Wer steckt hinter dem Experiment?

Koordiniert wird das Pilotprojekt von der Berliner Unternehmensberatung Intraprenör in Kooperation mit der Organisation 4 Day Week Global, die das Thema weltweit vorantreibt. Die Nichtregierungsorganisation hat bereits ähnliche Studien in anderen Ländern durchgeführt. Im Beirat der deutschen Studie sitzen auch Vertreter des Arbeitgeberverbands, des Handwerksverband, der IG Metall sowie weitere Experten aus der Arbeitswelt. 

Welchen Ansatz verfolgt das Vier-Tage-Experiment?

Unter einer Viertagewoche kann man verschiedene Konzepte verstehen. Das Experiment soll nach dem Modell 100-80-100 ablaufen. Das bedeutet: 100 Prozent Bezahlung für 80 Prozent Arbeitszeit bei 100 Prozent Produktivität. Es wird also davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter trotz Viertagewoche genauso viel leisten wie vorher – ein entscheidender Punkt, um Unternehmen überhaupt für die Teilnahme zu begeistern. Die Formel 100-80-100 war bereits Grundlage von Experimenten der Organisation 4 Day Week Global in anderen Ländern.

Wie läuft das Experiment zeitlich ab?

Das Projekt startet mit der Anmeldephase: Bis zum 30. November können sich Unternehmen für die Teilnahme an dem Experiment anmelden. Es folgt eine zweimonatige Planungsphase, in der die Unternehmen mit Hilfe externer Experten die Einführung der Viertagewoche vorbereiten. Die eigentliche Testphase dauert dann sechs Monate und läuft zwischen Februar und August 2024. Im Anschluss werden die Ergebnisse ausgewertet und veröffentlicht. 

Welche Unternehmen können teilnehmen?

Im Prinzip alle, die sich auf das Experiment einlassen. „Unternehmen, die nach Ansätzen suchen, um Arbeitgeber-Attraktivität, Bindung und Produktivität im Team zu verbessern, können innerhalb der Pilotstudie die Viertagewoche verproben. Dabei sind alle Industrien und Branchen und Größen von Unternehmen relevant“, heißt es auf der Anmeldeseite von Intraprenör.

Da die Unternehmen sich selbst aktiv um die Teilnahme kümmern müssen, ist eine für die Wirtschaftswelt repräsentative Stichprobe nicht zu erwarten. Erfahrungen aus vergangenen Studie zeigen, dass sich eher Firmen melden, die sich mit der Umsetzung leichter tun. Studienleiterin Backmann hofft dennoch, dass sich nicht nur Firmen mit „Bürojobs“ melden, sondern auch Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe und dem Handwerk. Und: „Ich würde mich freuen, wenn auch Unternehmen teilnehmen, die der Viertagewoche kritisch gegenüberstehen.“

Was müssen die Unternehmen konkret tun?

Zunächst mal eine Teilnahmegebühr zwischen 500 Euro (weniger als zehn Mitarbeiter) und 15.000 Euro (mehr als 1000 Mitarbeiter) zahlen, mit der die Organisation 4 Day Week Global ihr Arbeit finanziert. Dafür erhalten sie Knowhow und Schulungen, wie Führungskräfte Mitarbeiter und Teams die Viertagewoche im Unternehmen umsetzen können. „Die Firmen müssen ihre Prozesse hinterfragen und zum Beispiel Meetingzeiten überdenken“, sagt Wissenschaftlerin Backmann. Auch der Einsatz von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz sei ein Thema.

Bei der konkreten Ausgestaltung der Viertagewoche lässt das Projekt auch Spielräume zu.  „Wir wollen nicht ein Konzept auf alle stülpen, sondern Flexibilität zulassen“, sagt Backmann. Wenn ein Unternehmen den Mitarbeitern lieber zwei halbe Tage frei gebe statt einen ganzen, könne es trotzdem teilnehmen. Ebenso müssten beim Umgang mit Teilzeitkräften kreative Lösungen gefunden werden. „Es geht darum, zu testen und experimentieren.“ 

Welche Erkenntnisse erhofft man sich?

Idealerweise solche, die zeigen, wie es allen besser gehen kann – Beschäftigten, Unternehmen und sogar der Umwelt. Das Ziel der Viertagewoche sei es, die Produktivität zu steigern, das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu verbessern und zusätzlich Gleichstellung und Klimaschutz zu fördern, heißt es auf der Kampagnenseite von Intraprenör.

Studienleiterin Backmann will dabei sowohl auf Befragungen setzen, wie auch auf möglichst objektive Daten ermitteln. So können etwa Mitarbeiter in Interviews zu ihrem Wohlbefinden und der Vereinbarkeit von Job und Familie befragt werden, aber auch die Zahl der Krankentage erfasst werden. Einige Probanden möchte sie sogar mit Trackern ausstatten, die den Schlaf messen. Ein Effekt für den Klimaschutz könnte sich etwa durch geringeren Energieverbrauch ergeben.

Welche Ergebnisse brachten Experimente in anderen Ländern?

Experimente, die 4 Day Week Global in anderen Ländern durchführte, brachten sehr positive Ergebnisse. Zum Beispiel im britischen Experiment, das in der zweiten Jahreshälfte 2022 lief: Die Arbeitnehmer waren etwa deutlich weniger krank und allgemein zufriedener. Die Arbeitgeber ihrerseits mussten weniger Personalabgänge verkraften und steigerten unterm Strich ihre Produktivität sogar leicht. 56 von 61 britischen Unternehmen wollten die Viertagewoche über den Testzeitraum hinaus beibehalten.

Zu berücksichtigen bleibt, dass auch die britischen Teilnehmer nicht zufällig auswählt wurden, sodass sich vermutlich vorrangig Unternehmen beteiligten, die von vornherein einen Nutzen in der Viertagewoche vermuteten. Kritiker wenden zudem ein, dass langfristige Effekte von einem sechsmonatigen Test nicht ausreichend erfasst werden.

Der Beitrag ist zuerst bei stern.de erschienen

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