Kürzlich hat Trigema-Chef Wolfgang Grupp in einem Interview eine hohe mediale Welle erzeugt. Es ging um diesen Spruch: „Wenn einer zu Hause arbeiten kann, ist er unwichtig.“ Dass er sein markiges Statement im Nachhinein präzisiert und teilweise korrigiert hat, wurde großzügig unterschlagen. Wozu differenzieren, wenn man eine so schöne Aufregung produzieren kann?
Jetzt sollte man wissen: Ich mag Wolfgang Grupp. Er ist ein Patriarch alten Schlages, hat ein Unternehmen praktisch aus dem Nichts aufgebaut und sagt, was er denkt (schauen Sie sich bei Youtube mal Vortragsmitschnitte oder Podiumsdiskussionen mit ihm an; vergessen Sie aber nicht, Popcorn oder Chips bereitzustellen). Diese Kombination reicht heutzutage aus, um sich wahlweise über jemanden lustig zu machen oder ihn als „alten weißen Mann“ canceln zu wollen.
Jemand wie Wolfgang Grupp – mit seinen altmodischen, aber immer korrekten Anzügen, seiner traditionellen Auffassung von patriarchaler Verantwortung und der direkten, mitunter schroffen Art – passt so wenig in unsere weichgespülte Welt mit ihren „Safe Spaces“, Gendersternchen und dem neuen Utopia der Vier-Tage-Woche wie ein fetter Bolognese-Fleck auf einer weißgetünchten Wand.
Wirksamkeit ist kontextabhängig
Dabei bringt uns die Causa Wolfgang Grupp etwas sehr Wichtiges bei: wie stark Wirksamkeit von Kontext abhängig ist. Es ist doch paradox: Einerseits pushen wir – auch in Unternehmen – Initiativen wie Diversity, Gender, Anti-Rassismus, Anti-Kolonialismus und weiß Gott noch alles. Immer mit dem Ziel, ja kein Individuum mehr zum Opfer von Ungerechtigkeit zu machen. Andererseits können wir mit Menschen wie Wolfgang Grupp, die wirklich individuell sind, nicht souverän umgehen. Schon gar nicht, wenn sie in keine uns genehme Opfergruppe fallen – siehe alte weiße Männer.
Dabei ist Wolfgang Grupp in seinem Kontext sehr wirksam; sein Erfolg als Unternehmer spricht für sich. Würde er mit seiner Art als Abteilungsleiter bei Siemens oder in einer Werbebude reüssieren können? Wahrscheinlich nicht.
Aus diesem Grund sind auch seine Aussagen zu Homeoffice, Vier-Tage-Woche oder ähnlichem als das zu bewerten, was sie sind: Statements eines über 80-jährigen Unternehmers aus der Textilbranche, der sagt, wie er die Welt sieht. Das ist mehr als man von gewöhnlichen Managern oder seiner Linkedin-Bubble erwarten kann.
Grupp entlarvt die Heuchelei ums Homeoffice
Grupps Äußerung provoziert hingegen etwas, das wir in Unternehmen bitter nötig haben: eine ehrliche Betrachtungsweise und die Beachtung von Kontext. Jede Führungskraft, die Grupp als Dinosaurier hinstellt, sollte sich selbst fragen: Sehe ich das im Stillen nicht genauso? (Dazu passt übrigens, dass VW gerade alle Topleute wieder ins Büro zurückholt.) Und wenn nicht: Wie sieht unsere eigene Führungskultur für das Homeoffice aus? Folgen wir auch nur einer Mode oder haben wir hier durchdachte Lösungen?
Jedes Unternehmen ist einzigartig; Wolfgang Grupp hat das erkannt und konsequent umgesetzt. Statt auf ihn zu schimpfen, stünde es den Besserwissern gut zu Gesicht, Wirksamkeit im eigenen Kontext zu erzeugen und sich ehrlich zu machen – beim Homeoffice, bei der Vier-Tage-Woche, dem Umgang mit dem Thema Leistung vs. Quote und anderen Dingen. Und wenn Sie dann 80 Jahre alt sind, sprechen wir uns wieder.