Sie kommen aus Indien, China, Malaysia und Indonesien. Wohlhabende Tech-Unternehmer, Luftfahrtmanager, Gründer mächtiger Konglomerate pilgern in das ehemalige Kloster Chijmes in Singapur, um Tidjane Thiam, Chef der Crédit Suisse (CS), Mitte Oktober zum Dinner zu treffen. Im Raum ist ein Vermögen von rund 500 Mrd. Dollar versammelt. Genug, um die Bank mehr als 16 Mal zu kaufen und zu verkaufen. Thiam, der für Wachstum in hohem Maß auf das Geld reicher Asiaten spekuliert, ist in guter Gesellschaft. Seine Reputation ist eng mit seiner Südostasien-Zeit für den Versicherer Prudential verknüpft. Für Thiam ist es ein Heimspiel. „Er ist schon eine kleine Berühmtheit in Asien“, sagt ein Kollege. „Kunden lassen sich gerne blenden.“ Die Probleme, mit denen der CEO an der Spitze der Schweizer Großbank in 16 Monaten zu kämpfen hatte, lagen auch woanders. An der Wall Street meuterten Händler nach Kritik an ihrem Milliardenverlust. In Zürich spekulierten Medien, Thiam könne frühzeitig entlassen werden. In London drückte der Abbau tausender Stellen auf die Moral. Zudem fiel der Aktienkurs um bis zu 55 Prozent, seit der Neuling Thiam antrat. Keine zwei Jahre ist der Assekuranzspezialist nun Spitzenbanker. Als Außenseiter kam er in die Schweiz. Mit zwei Pässen, einem aus Frankreich, dem anderen von der Elfenbeinküste, wo er in der Hauptstadt Abidjan als Minister diente, bevor er zur Weltbank wechselte. Es folgten Stationen bei McKinsey und dem Versicherer Prudential. Doch paradoxerweise schlägt Thiam gerade im vertrauten Asien nun auch große Skepsis entgegen. Wo er eine aggressive Expansion angeht, ziehen sich viele seiner Konkurrenten wegen des verlangsamten Wachstums in China zurück. Goldman Sachs baut 15 Prozent seines Investment Bankings in Asien ab, ausgenommen Australien und Japan. ABN Amro gibt das asiatische Privatgeschäft ab. „Wenn es derzeit in der Bankenwelt Überkapazitäten gibt, dann bei Privatbanken in Asien“, sagt Chirantan Barua, Analyst bei Bernstein. „Jeder Hansel besitzt eine Privatbank.“ Gegen den Strom schwimmen indes auch die Schweizer Kollegen UBS und Julius Baer. Auch sie wollen in Asien wachsen. Aber Crédit Suisse will es noch mehr. Von 2014 bis 2018 soll sich der Vorsteuergewinn verdoppeln. Ein verwegener Plan.
Attraktive Firmenkunden
Er setze nicht „die ganze Bank“ auf die asiatisch-pazifische Karte, sagt Thiam im Interview. Aber er sei überzeugt, „dass Asien die Welt positiv überraschen kann“. Sollte er sich irren, wäre das ein Riesenproblem für die gesamte Welt, fügt er hinzu. Denn Asien beheimate 70 Prozent der Weltbevölkerung. „Sollten 70 Prozent der Menschheit wirtschaftlich scheitern, würde das nicht nur Crédit Suisse hart treffen.“ Eine weitere Zahl nennt Thiam gerne und oft: nämlich, dass in Asien 76 Prozent aller Familienunternehmen zuhause seien, die mehr als 1 Mrd. Dollar wert sind. Diese Firmen lieferten fruchtbaren Boden – sowohl für sein Investment Banking, das den Verkauf von Holdings begleiten könne, als auch für die Privatbank, die den Zugewinn dann verwalte. Außerdem, so betont er, sei die Region Asien 2015 führend im Vermögenszuwachs. Eine Stellung, die nach Erkenntnissen von Capgemini in nächster Zukunft nicht wanken wird. Wo Vermögen sich mehre, werde auch mehr Vermögensverwaltung gebraucht. Aber landet das Extra-Geschäft dann auch bei Crédit Suisse? Festlegen will Thiam sich darauf nicht. „Nichts deutet darauf hin, dass wir nicht gut abschneiden werden“, sagt er nur. Seine Angestellten in der Region sehen sich dabei massiv im Vorteil, nach dem Thiam eine eigenständige regionale Einheit geschaffen hat. Zuvor musste die Division an globale Bosse in London, New York oder Zürich berichten. „So betreibt hier sonst keiner das Geschäft“, sagt einer. „Die Nähe zum Kunden macht uns stark.“ Im laufenden Jahr haben Bankberater mehr als 1 Mrd. Dollar Neugeld in die Bank geholt. Sie bieten Kunden zum Beispiel niedrigere Gebühren, wenn Investmentgewinne in die Privatbank fließen. Ihre Bezüge sind an den Erfolg der Asien-Einheit gekoppelt. Auch das mag Anreiz sein. Umgekehrt hat Crédit Suisse von einigen Firmenkunden Anteile gekauft, darunter für etwa 20 Mio. Dollar beim Finanzarm der indischen Hero Motocorp. Die kleine Investition brachte wiederum zusätzliches Geschäft, sagt ein Banker.
Neben den Umbauarbeiten beim Private Banking schraubt Crédit Suisse an den Kosten seiner Investmentsparte. Führungskräfte, die gingen, wurden durch billigere, „hungrige“ Topleute ersetzt, berichten Insider. Beratungsleistungen für Übernahmen und Fusionen würden demnächst ein Einnahmeplus von 26 Prozent bescheren, bei vier Prozent weniger Kosten. Auch Neueinstellungen seien entsprechend dem Marktumfeld zurückgegangen.
Analysten bezweifeln Gewinnziele
Was könnte an der im Oktober 2015 begonnenen Strategie also missfallen? Analysten finden einige Haare in der Suppe: So könnten die Beteiligungen Probleme schaffen, da sie Liquidität aufzehren und unnötig Risiken bringen. Steigendes Kreditvolumen im Private Banking könnte zu Ausfällen führen, wenn Banker unter dem Druck ambitionierter Ziele unvorsichtige Risiken eingehen. Bedenken, dass die Personalkosten im Privatgeschäft aus dem Ruder liefen, weist Crédit Suisse zurück, obwohl im ersten Halbjahr hundert Banker eingestellt wurden. Auch die Kredit-Sorgen lässt Thiam nicht gelten. Es gehe gar nicht um Darlehen sondern um die „Monetarisierung von Vermögenswerten“, wenn reiche Asiaten ihre Unternehmen beliehen. Auch ein Mitglied des Verwaltungsrats hält die regionalen Risiken für überschaubar. Man habe sie auf dem Schirm und entsprechende Kontrollmechanismen eingezogen. „Schnelles Wachstum soll nicht mit neuen Problemen bezahlt werden“, heißt es. Das Risikomanagement der Region bleibe in der globalen Bankstruktur eingebettet. So könne die Asien-Division auch nicht zum „wilden Westen“ mutieren. Was aber die allermeisten Analysten beschäftigt, ist ein grundlegenderes Thema: das ausgegebene Ziel für den Vorsteuergewinn von 2,1 Mrd. Franken für die Division Asien/Pazifik bis Ende 2018. „Ich begreife die Strategie, es ist wahrscheinlich der richtige Weg“, sagt ein Analyst. „Aber ernsthafte Kopfzerbrechen bereitet mir der Verlauf der Einnahmen, der notwendig wäre, um die 2 Mrd. Franken so schnell zu erreichen.“
Kinner Lakhani, Leiter European Banks Research bei der Deutschen Bank, erwartet für den Ertrag ein lineares Wachstum im Tempo von 2014 und 2015. „Im ersten Halbjahr 2015 standen die Sterne in Asien noch gut“, sagt er. Inzwischen sei ein „frischer Blick“ gefragt. Und Kian Abouhossein, Leiter European Banks Research bei JP Morgan, rät Crédit Suisse, die Ambitionen beim Investorentag im Dezember zurückzuschrauben. „Ein realistischerer Ausblick mit weniger neuen Privatbankberatern – die zunächst nur Mehrkosten verursachen – wäre zu diesem Zeitpunkt angebracht.“
„Die Strategie geht auf“
Thiam ist derweil bemüht, die Region als Teil der Gesamtstrategie darzustellen. „Es geht ja nicht nur um Asien“, sagt er wiederholt während des zweistündigen Interviews. „Quartal für Quartal zeigen Indikatoren, dass die Strategie in jedem einzelnen Punkt tatsächlich aufgeht“, betont er und nennt einen Rekordstand verwalteter Vermögen, bessere Rankingbewertungen des Investment Banking und eine Global Markets-Sparte, die nun dem regulatorischen Handelsumfeld genüge. Dennoch erwarten Analysten, dass der Bereich International Wealth Management das für 2018 in Aussicht genommene Gewinnziel um 33 Prozent verfehlen wird, während die Universalbank Schweiz 13 Prozent dahinter zurückbleiben werde. Für das Global Markets-Geschäft oder das Investment Banking hatte die Bank keine Messlatte gesetzt. Zugleich könnte eine drohende Geldbuße der US-Justiz für mutmaßliches Fehlverhalten im US-Hypothekengeschäft neuen Zündstoff für Sorgen über die Kapitalausstattung der Bank liefern. Diese hatte Thiam vergangenes Jahr mit einem Zusatzpolster von 6 Mrd. Franken zu beruhigen versucht. Der Deutschen Bank waren für ähnliche Vergehen ursprünglich 14 Mrd. Dollar angetragen worden. Auch für Crédit Suisse wird potenziell eine Milliardensumme erwartet. Dazu will sich der CEO genauso wenig äußern wie zu den Auswirkungen eines möglichen Einzugs von Donald Trump ins Weiße Haus. Auch die Kluft zwischen Gewinnerwartungen und Analystenzweifeln will Thiam nicht kommentieren. „Die Bank brauchte ein sehr klares Ziel und ja, die Märkte gerieten in Turbulenzen, nachdem wir unsere Strategie vorstellten“, sagt der CEO. „Wir sind nun mal den Kräften des Marktes ausgesetzt. Wir werden Mehrwert schaffen, indem wir mehr leisten als der Markt erwartet.“ Seriöse Investoren wüssten die Fortschritte der Bank zu schätzen, ist Thiam überzeugt. Die drei größten Teilhaber etwa hätten in den vergangenen acht Wochen weitere 2 Mrd. Franken investiert, sagt er. Einer davon, Harris Associates, stockte seit Thiams Reform von sieben auf neun Prozent auf. Die Meinung des Chief Investment Officers David Herro: „Sie sollten etwa 85 Prozent von dem versprechen, was das Management an Ergebnis anpeilt. Ich hoffe, das ist noch konservativ. Wenn man sich die Bewertung ansieht, hat die Aktie noch viel Luft nach oben.“
Der Kurs von Crédit Suisse hat sich seit Juli von 9,91 Franken auf 14 Franken gut erholt, liegt aber noch weit unter den 22 Franken, zu denen die Aktie im vergangenen Herbst gehandelt wurde. Dass die großen Teilhaber zugriffen, half natürlich. Aber sie sind nicht allein. „Kunden sagen mir, sie werden kaufen, und das geschieht dann auch“, sagt Thiam. Zur Kundenpflege nach Singapur wurde der Bankenchef von seinem gesamten Board begleitet. Wenn alle ihre Karten in der Dinner-Gesellschaft unzähliger Milliardäre richtig gespielt haben, könnte das Festessen im nächsten Jahr ja vielleicht als Jahreshauptversammlung durchgehen.
Copyright The Financial Times Limited 2016