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Gastkommentar Geldvermögen - das Wachstum stottert

Noch wächst das Geldvermögen. Aber der von der Inflation der Vermögenspreise getriebene Anstieg stößt an seine Grenzen
Michael Heise
Michael Heise
© dpa

Michael Heise ist Allianz-Chefvolkswirt

Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung waren die sieben Jahre seit Lehman keine verlorenen Jahre für die Vermögensentwicklung der privaten Haushalte. Vielmehr ist das globale Geldvermögen, also die weltweite Summe aus Bankeinlagen, Wertpapieren und Ansprüchen gegenüber Versicherungen und Pensionseinrichtungen, in den Jahren 2009 bis einschließlich 2015 um gut 60 Prozent geklettert; auf Jahresrate umgerechnet ergibt sich ein Plus von über sieben Prozent. Das ist beinahe doppelt so schnell wie das Wachstum der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit.

Wie ist diese Entwicklung zu erklären, und welche Rolle hat die Geldpolitik gespielt? Aus globaler Perspektive sind vor allem das rasante Wachstum in den Schwellenländern und die Vermögenspreisinflation in den Industrieländern von Bedeutung.

In den Schwellenländern hat sich das Geldvermögen seit Ende 2008 mehr als verdreifacht. Steigende Einkommen und eine wachsende Mittelschicht mit hoher Spartätigkeit stehen hinter dieser Entwicklung. Den größten Sprung machte dabei Asien, und hier vor allem China: Für das Reich der Mitte sind die Geldvermögen seit 2009 mit jährlich über 20 Prozent gestiegen.

Langsameres Wachstum in den Industrieländern

Im Zuge dieser Entwicklung hat sich die globale Vermögensweltkarte radikal verändert. Die globale Vermögensmittelklasse (mit Nettogeldvermögen zwischen 7000 und 42.000 Euro nach internationalen Standards) umfasst mittlerweile über eine Milliarde Menschen. Seit dem Jahr 2000 ist nahezu 600 Millionen der Aufstieg in die Mittelklasse gelungen. Auch die globale Vermögensoberklasse ist in den letzten Jahren gewachsen: Ende 2015 hatten weltweit etwa 540 Millionen Personen ein Nettogeldvermögen von über 42.000 Euro, ein Anstieg um 100 Millionen verglichen mit den entsprechenden Werten des Jahres 2000.

Die Klasse der Vermögenden ist auch deutlich heterogener als früher. Der Anteil der Westeuropäer, Amerikaner und Japaner ist von über 90 Prozent auf 66 Prozent gefallen. Das Geldvermögen ist also heute, in globaler Perspektive, deutlich breiter und vielfältiger verteilt als früher.

In den Industrieländern, die deutlich langsameres Vermögenswachstum verzeichneten, spielten andere Faktoren eine Rolle. In Westeuropa zum Beispiel wuchs das Geldvermögen seit Lehman „nur“ um 4,2 Prozent pro Jahr, deutlich langsamer als der globale Durchschnitt – aber immer noch beinahe dreimal so schnell wie die europäische Wirtschaft. Das Vermögenswachstum ist weniger von steigenden Einkommen oder Sparanstrengungen, sondern vor allem von der Vermögenspreisinflation bei Aktien und Anleihen getragen. Daher geht dieses Wachstum auch nicht wie in den Schwellenländern mit einer breiteren Vermögensverteilung einher.

Rückgang der Mitte

Vielmehr ließ sich in vielen Industrieländern – beispielsweise in so unterschiedlichen Ländern wie den USA, Italien, Großbritannien oder Japan – in den letzten Jahren ein Rückgang der Mitte beobachten, die immer weniger am Gesamtvermögen partizipiert. Gleichzeitig konzentriert sich in diesen Ländern tendenziell mehr Geldvermögen in der Spitze der Verteilungspyramide – den oberen zehn Prozent –, die sich seit einiger Zeit weiter vom Durchschnitt entfernt. Denn es sind vor allem die vermögenden Haushalte, die stark in Wertpapiere investiert sind.

Für diejenigen Sparer, die bereits über ein hohes Geldvermögen verfügten und beträchtliche Teile davon in Wertpapiere investiert hatten, waren die letzte Jahre – dank der preissteigernden Wirkung der Anleihekäufe der Zentralbanken – gute Jahre. Auf die Mehrzahl der Sparer in den Industrieländern trifft das aber nicht zu. Sie legen ihr Geld hauptsächlich in sicheren und zinstragenden Instrumenten an; ohne den Zinseszins-Effekt ist der Aufbau auch von kleineren Vermögen selbst über einen längeren Zeitraum nicht möglich. Für die normalen Sparer ist die gegenwärtige Nullzinspolitik, die die Anleiherenditen mit nach unten zieht, ein Fluch, dessen ganze Tragweite erst in Zukunft, in fehlenden Alterseinkünften, voll sichtbar werden wird.

Die Geldpolitik stößt an ihre Grenzen

Doch auch für die Geldvermögensbesitzer, die bisher vom „Geschenk“ der Vermögenspreisinflation durch Geldpolitik profitierten, sieht die Zukunft nicht zu vielversprechend aus. Nach sieben Jahren stößt eine Geldpolitik des „immer Mehr“ auch bei Vermögenspreisen an ihre Grenzen. Die Volatilität der Aktienmärkte hat inzwischen spürbar zugenommen, in der Folge hat sich das Wachstum des globalen Geldvermögens im letzten Jahr bereits deutlich abgeschwächt. Vor allem Europa, die USA und Japan sind betroffen.

In einer Nullzinswelt ist es essentiell, dass die Rahmenbedingungen für langfristigen Vermögensaufbau wie etwa über die betriebliche Altersvorsorge verbessert werden. Vor allem sollte die Politik den Sparern nicht noch weitere Belastungen etwa durch Steuern auferlegen; eher sollten diese reduziert werden. Denn die Niedrigzinsen am Kapitalmarkt stellen ohnehin eine Umverteilung vom Sparer zum Staat dar.

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