Dirk Schumacher ist Chefvolkswirt Deutschland von Goldman Sachs
Herr Schumacher, angesichts global steigender Schuldenlasten und einem eher schwachen Wirtschaftswachstum tobt unter Ökonomen ein Streit, wie man aus der Situation herauskommt. Können die Notenbanken überhaupt noch helfen?
Die Geldpolitik hat deutlich an Wirkmächtigkeit eingebüßt. Der Wechselkurs ist der letzte Kanal, der noch nachhaltige Impulse liefern kann. Aber Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit über einen schwächeren Wechselkurs gewinnen zu wollen, ist global ein Nullsummenspiel. Die Notenbanken in den USA und Europa dürften sich daher kaum darauf einlassen, kleinere Volkswirtschaften können an dieser Schraube hingegen noch etwas drehen.
Kann das funktionieren?
Die Wechselkurse sind derzeit ein Spiel mit den Erwartungen, welche Notenbank am aggressivsten und welche am wenigsten aggressiv ist beim Drucken von Geld. Die Bank of Japan hat hier vermutlich das größte Potential und wir erwarten eine Abschwächung des Yen gegenüber dem Dollar um rund 15 Prozent auf 115 Yen auf Sicht von zwölf Monaten.
Was ist die Lösung für Regionen, wo die geldpolitischen Lösungen ausgeschöpft scheinen?
Fiskalische Impulse sind tatsächlich ein gangbarer Weg in den Ländern, die es sich leisten können – zum Beispiel in Deutschland. Der gigantische Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands ist Teil des Problems und auf Dauer unhaltbar.
Wie könnten solche Impulse aussehen?
Zum Beispiel, in dem man private Haushalte entlastet – das könnten gezielt die Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen sein.
"Bei den Zinsen sehen wir keine nachhaltige Wende"
Sehen Sie ein Ende der Niedrigzinsen in der Eurozone, die laut Kritikern den Vermögensaufbau und private Altersvorsorge konterkarieren?
Zunächst: Wir sind trotz der öffentlichen Debatte unserer Meinung nach noch nicht an einem Punkt, an dem die Verzweiflung über die Zinslage das Spar- und Vorsorgeverhalten signifikant beeinflusst hat. Zwar steigt derzeit die Sparquote – allerdings reflektiert dies vor allem den Anstieg beim verfügbaren Einkommen. Je höher das Einkommen, desto mehr wird auch gespart und vorgesorgt. Bei den Zinsen sehen wir keine nachhaltige Wende. Die Europäische Zentralbank hat aufgrund der niedrigen Inflationsrate noch viel Raum für die Ausweitung ihres Aufkaufprogramms. Das dürfte noch mindestens zwei bis drei Jahre einen Deckel auf den Zinsen halten, wir rechnen nur mit einem moderaten Anstieg der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen auf allenfalls 0,6 Prozent auf Einjahressicht.
Die Menge an verfügbaren Anleihen für die EZB-Aufkäufe wird doch schon absehbar knapp – etwa bei Bundesanleihen.
Ich rechne mit einer Veränderung des Schlüssels des Aufkaufs, denn es liegt auf der Hand, dass Deutschland etwas höhere Zinsen vertragen könnte. Dann würde die EZB anteilig mehr Anleihen anderer Staaten und weniger an Bundesanleihen kaufen.
Und das wäre rechtens?
Wir glauben, ja. Die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts gingen vor allem in Richtung der Frage, ob die Aufkäufe eine Marktmanipulation darstellten. Das wirft die Frage auf, ob nicht die Verwendung eines fixen Kapitalschlüssel eher eine Manipulation sei, weil die EZB anteilig sehr viele der ohnehin knappen und niedrig verzinsten Bundesanleihen aufkaufen müsste.
Helikoptergeld - Unsicherheit über Nebeneffekte
Würden weiter steigende Einkommen in Verbindung mit jahrelang niedrigen Zinsen nicht die Gefahr einer Immobilienblase in Deutschland nochmals verstärken?
Wir sehen keine Anzeichen für eine flächendeckende Blase bei Immobilien in Deutschland. Das wichtigste Zeichen eines Exzesses ist in der Regel der Bau über den Bedarf hinaus, wie man es in Spanien oder den USA gesehen hat. Davon ist nichts zu sehen hier. Selbst die zuletzt wieder starke Bautätigkeit reicht weder aus, das Durchschnittsalter der Baustruktur auch nur zu erhalten noch den Zuzug in die Städte ausreichend zu decken. Die steigenden Preise in städtischen Gebieten haben also einen einfachen fundamentalen Grund.
Hat sich das Konzept Negativzinsen inzwischen überlebt? Die japanische Notenbank adressiert nun eher die Zinskurve anstatt der absoluten Höhe der Zinsen.
Es stößt tatsächlich an seine Grenzen – und das aus ganz einfachen Gründen, ab einer gewissen Höhe der Negativzinsen beginnen Firmen wie Verbraucher, das Geld einfach abzuheben und zu lagern. Es lässt sich also nicht einfach fortschreiben. Helikoptergeld wäre höchst effektiv für die Nachfrage, es gibt aber eine noch größere Unsicherheit über Nebeneffekte als bei den Negativzinsen.