Ich arbeite von sechs bis zwölf am Vormittag. Dann mache ich zwei Stunden Pause. Dann arbeite ich von zwei bis vier am Nachmittag. Und abends setze ich mich auch nochmal ran. So bis um elf – denn dann bin ich müde und gehe schlafen. Ich liebe diesen Rhythmus – weil ich ihn komplett nach meinen Bedürfnissen und Produktivitätsphasen ausgerichtet habe.
Das ist übrigens nicht legal. Denn weder halte ich die gesetzlich vorgeschriebenen elf Stunden Ruhepause ein, noch schreibe ich jedes Intervall meiner Arbeitszeit auf.
Kennt der Gesetzgeber New Work? Weiß er, dass ich mich besser fühle, seitdem ich nicht mehr acht Stunden am Stück arbeite?
Gesetze werden gemacht, um Angestellte zu schützen – und das ist auch gut so. Wer acht Stunden lang an der Kasse gesessen hat, wer acht Stunden lang im Labor Analysen gemacht hat, der sollte unbedingt seine Arbeitszeit erfassen, denn das schafft Transparenz.
Wir behandeln immer nur Symptome
Für andere hat die Pandemie eine unvorstellbare Veränderung mit sich gebracht: Wer bisher noch fünf Tage pro Woche ins Büro gependelt ist, hat jetzt die freie Wahl des Arbeitsortes. Freiheit! Viele bleiben im Homeoffice – andere arbeiten aus wohnortnahen Coworking Spaces. Wer viel von zu Hause aus arbeitet, der hat oft auch Probleme bei der Trennung von Privat- und Berufsleben: Dann nimmt der Job überhand und ist allgegenwärtig. Darauf weisen einige aktuelle Studien hin. Auch für diese Menschen dürfte die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ein Segen sein, weil so eine klare Trennung möglich gemacht wird.
Doch was ist mit den vielen Menschen, die nicht in dieses Schema passen, weil ihre Arbeitszeit nicht messbar ist? Jenen, bei denen der Kopf nicht mit dem Verlassen des Schreibtisches ausgeschaltet wird, sondern dann erst richtig an Fahrt aufnimmt? Jenen, die ihren Arbeitstag wegen eines anstrengenden Privatlebens in kleine Teile einteilen müssen? Jenen, die gar keinen Schreibtisch haben, weil sie fleißig daran arbeiten, auf Events ein Netzwerk aufzubauen oder sich fortzubilden?
Mich beschleicht das Gefühl, dass wir mit der Regelung zur Erfassung der Arbeitszeit die Symptome und nicht die Ursache behandeln. Die Symptome sind die unbezahlten, ungesehenen Überstunden, der Missbrauch von Vertrauensarbeitszeit. Und wir begegnen diesen Symptomen mit einer Lösung aus einer vergangenen Zeit.
Dabei wäre genau jetzt die richtige Zeit, die Ursache – nämlich unser veraltetes Verständnis von der Büroarbeit – vollkommen zu verändern. Denn wir befinden uns in einem Arbeitnehmermarkt: der War for Talents ist allgegenwärtig. Deutschlandweit konstatieren über 80 Prozent der Unternehmen direkt oder indirekt vom Fachkräftemangel betroffen zu sein.
Keine Stechuhr kann echte Vertrauensarbeitszeit abbilden
Das bedeutet, dass Arbeitnehmer in vielen Branchen die Wahl haben, bei welchem Arbeitgeber sie anfangen wollen und immer häufiger sogar selbst die Bedingungen der Zusammenarbeit definieren. Sollten wir nicht in einer solchen Zeit viel mehr in die persönliche Weiterentwicklung investieren? Betriebliches Gesundheitsmanagement beginnt nicht damit um 17 Uhr den Stift fallenzulassen, weil es der Gesetzgeber so vorsieht, sondern damit, sich selbst und seine Grenzen zu kennen. Zu wissen, wann Schluss ist. Keine Stechuhr der Welt kann die positive Wirkung von Selbstwirksamkeit im Job ersetzen. Keine Stechuhr der Welt kann echte Vertrauensarbeitszeit abbilden. Wir brauchen Selbstbewusstsein für die eigene Leistung. Selbstbewusstsein, die Grenzen der Lohnarbeit zu kennen.
Denn wer immer das Gefühl hat, nicht genügend geleistet zu haben, der wird auch trotz der Regeln seine Arbeitszeit nicht korrekt erfassen. Vertrauensarbeitszeit bedeutet deshalb auch, sich selbst zu vertrauen in einem angemessenen Umfang gearbeitet zu haben.
Wir alle haben unterschiedliche Bedürfnisse. Und zum ersten Mal in der Geschichte der Arbeit können wir unsere eigenen Bedürfnisse und unsere Arbeit unter einen Hut bringen. Egal, ob wir uns die Arbeitsstättenrichtlinie ansehen oder die Regeln zur Erfassung der Arbeitszeit: Sie alle sind Errungenschaften der Arbeitnehmerschaft. Doch sie haben einen großen Fehler. Denn sind für eine konstante Arbeitswelt gemacht. Das Gegenteil ist der Fall. Noch nie hat sich die Arbeitswelt so rapide gewandelt wie heute. So hinkt der Gesetzgeber immer ein Stück hinterher, weil die Regulierung der Arbeit eben nicht die vorhandenen Möglichkeiten wertschätzt, sondern alte Grenzen zieht. Lasst uns Gesetze machen, die eine Arbeitswelt formen, die unser persönliches Wachstum inspiriert. Lasst uns eine Arbeitswelt bauen, die Menschen dazu befähigt, ihr Bestes zu geben und sich dabei gut zu fühlen.
Die Erfassung der Arbeitszeit ist ein guter Schritt – für viele. Doch Gesetze sollten für alle gelten. Das können sie nur, wenn sich auch die unterschiedlichen Realitäten abbilden.