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Dienst nach Vorschrift Wie neu ist „Quiet Quitting“ wirklich?

Mann lehnt sich zurück und hat die Füße auf einem Tisch
Geht es der Generation Z zu gut?
© IMAGO / Westend61
Junge Menschen möchten nicht mehr arbeiten als sie müssen, sie kündigen innerlich: Das jüngste Phänomen auf dem Arbeitsmarkt der Generation Z nennt sich „Quiet Quitting“. Eigentlich gibt es das schon länger
Den Auftakt machte ein junger Mann, der auf einer Bank in einer U-Bahn-Station saß und sich nachdenklich umsah. Er filmte sich für ein Video auf der Viralplattform Tiktok, wo er, mit melancholischer Klaviermusik unterlegt, darüber sprach, dass es im Leben mehr als nur Arbeit gebe. Das Selbstwertgefühl sollte nicht davon abhängig sein, wie viel man arbeite.
Es folgte eine ganze Welle an anderen Videos, in denen Nutzer darüber sprachen, dass Familie, Freunde oder mentale Gesundheit wichtiger seien als Arbeit. Um dass sie sich daher dazu entschlossen hätten, genau so viel arbeiten, wie gerade nötig ist, um nicht gekündigt zu werden. Ein Trend war geboren: „Quiet Quitting“, wie es im Englischen heißt: Schluss mit übermäßigem Einsatz und 16-Stunden-Tagen, stattdessen Dienst nach Vorschrift, nicht zu wenig, aber vor allem bloß nicht zu viel. Nicht nur im angelsächsischen Raum berichteten Medien über das Phänomen, der entsprechende Hashtag ging viral.

Aber wie neu ist der Trend tatsächlich? „Wer sich die Berichte zu 'Quiet quitting' anschaut, fühlt sich schnell an die 'innere Kündigung' erinnert“, sagt André Holtrup vom Bremer Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW). Damit war gemeint, dass Mitarbeiter eines Unternehmens zwar nicht kündigen, sich innerlich aber längst von ihrer Arbeit verabschiedet haben. Meistens, weil sie unzufrieden waren. Genau darum geht es auch dieses Mal.

Neu ist, dass es jetzt um die Generation Z geht, also die heute 15- bis 30-Jährigen, die langsam auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen. „In den USA gab es in den vergangenen zwei, drei Jahren einen sehr positiven Arbeitsmarkt“, erklärt Frédéric Pirker von der Unternehmensberatung Korn Ferry. Wer gerade nach einem Job suche, habe oft sogar mehrere Angebote auf dem Tisch liegen – und könne höhere Ansprüche stellen.

Work-Life-Balance immer wichtiger

Um welche Ansprüche es geht, zeigt eine Studie von der Arbeitgeberbewertungsplattform Kununu. Für knapp 60 Prozent der 18- bis 29-Jährigen ist demnach bei einem neuen Job eine ausgewogene Work-Life-Balance wichtiger als das Gehalt. Bei den 60- bis 65-Jährigen sind das gerade einmal 34 Prozent.
Und trotzdem äußern Experten Zweifel, wie wirkmächtig das Phänomen tatsächlich ist. „Ich würde erstmal hinterfragen, ob es wirklich ein Trend ist“, sagt Pirker. An sehr motivierten jungen Menschen, die auch über vertraglich vereinbarte Arbeitszeiten hinaus die sogenannte Extrameile gehen, mangele es nämlich nicht. Laut Studien des Beratungsriesen Ernst & Young liegt deren Anteil stabil bei rund 30 Prozent der unter 30-Jährigen.
Gleichzeitig hat laut Pirker die Corona-Pandemie dazu beigetragen, dass gerade bei junge Menschen ein Umdenken eingesetzt hat. „Quiet Quitting“ sei daher „eine Art Rückbesinnung darauf, dass die Menschen differenzierter auf die Grenze zwischen Arbeit und Privatem schauen“, sagt Pirker. In Deutschland gebe es da aber im Grundsatz eigentlich wenig Grund zur Sorge – geregelte Arbeitszeiten und faire Behandlung seien durch Betriebsräte und Tarifverträge garantiert.
Trotzdem bleibe für Arbeitgeber noch viel zu tun: „Was gutes Führungsverhalten ist, hat sich in den vergangenen Jahren nicht allzu viel verändert“, so Pirker. Schon aus Eigennutz müssten Unternehmen hier aktiv werden, sagt Pirkers US-Kollege Mark Royal: „Unternehmen sind darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiter mehr als nur das Minimum leisten.“ Dafür müssten gerade Berufseinsteiger zunächst eine Bindung zu ihrem Arbeitgeber aufbauen, bevor sie dann dazu bereit seien, über das Normalmaß hinaus Einsatz zu zeigen. Damit das gelingt, sollten es Unternehmen ihren Mitarbeitern im Arbeitsalltag möglichst einfach machen, meint Pirker.

Beziehungsarbeit im Job

Im Grunde führen Arbeitnehmer und -geber eine Beziehung, in der es auch mal haken kann. „ Aber wer über die Grenze zum gekündigt werden nachdenkt, sollte sich lieber überlegen, was sein nächster Job sein soll“, sagt Pirker. 
Dass junge Arbeitnehmer mit hohen Ansprüchen an sich, ihre Zufriedenheit und die Unternehmen, für die sie arbeiten, ins Berufsleben starten, wird es weiter geben – und ist letztlich kein neues Phänomen. „Ob die hehren Ansprüche der Generationen Y und Z den 'Praxisschock' nach dem Studium überstehen, muss noch abgewartet werden“, sagt Arbeitsforscher Holtrup. Sobald eine neue Generation die ersten Krisen auf dem Arbeitsmarkt erlebe, wachse dort auch die Zufriedenheit mit den aktuellen Arbeitsverhältnissen, so Pirker. Er fasst zusammen: „Etwas, das es vorher schon gab, hat nun einen neuen Namen bekommen.“

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