Eine Frage bräuchten sich Bewohner in Großstädten künftig vielleicht nicht mehr zu stellen: Wieso zahle ich jeden Monat irgendeinem Hausbesitzer Miete und das jahrzehntelang – anstatt selber zum Eigentümer zu werden? Wenn es nach dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ginge, würden sie nämlich demnächst das Eine tun, um das Andere zu erreichen. Die Ökonomen des DIW haben dieser Tage eine große Idee aufgeworfen , um wieder mehr Ruhe und Gerechtigkeit in den deutschen Wohnungsmarkt zu bringen: Die Idee vom Mietkauf. Sie würde es hunderttausenden Haushalten ermöglichen, zu einer zivilen Monatsmiete in Wohnungen zu wohnen, die ihnen dann irgendwann selbst gehören. Allein dadurch, dass sie eben jahrzehntelang ihre Miete entrichtet haben. Das klingt nach einer Superidee.
Genauer ausformuliert sehen die Eckdaten so aus: Der Mieter zahlt für eine 100 Quadratmeter große Wohnung eine Monatskaltmiete von 707 Euro, das klingt mehr als übersichtlich. Dazu kommen aber noch ein paar Aufschläge und die Instandhaltungsrücklage, was am Ende eine Miete von 933 Euro ergibt. Für eine familiengeeignete Großstadtwohnung ist das immer noch ein guter Preis. Zahlt der Mieter nun 24 Jahre lang diese Miete, dann gehört die Wohnung am Ende ihm. Ohne weiteres Wenn und Aber. Wem das dennoch zu teuer ist, der kann auch eine kleinere Miete zahlen, von insgesamt 756 Euro inklusive der Rücklagen und Abgaben, dann dauert es aber 33 Jahre, bis er seine Wohnung abgezahlt hat. Sie ginge dann aber auch ohne weitere größere Kosten in seinen Besitz über. Ohne teure Makler, ohne große Anzahlung und ohne teure Besitzumschreibungen.
Dahinter steckt zuerst einmal der Gedanke, dass es vielen Haushalten hierzulande leichter gemacht werden müsste, ins Wohneigentum zu kommen. Das nämlich wünschen sich laut Umfragen recht stabil rund 80 Prozent der Bundesbürger. Nur können sich die meisten Großstadt- oder Ballungsraumbewohner inzwischen gar keinen Kauf mehr leisten, obwohl (oder gerade weil) sie stattliche Mieten zahlen, was ihnen im Grunde auch das Abtragen eines Kredits ermöglichen würde. Der Grund dafür ist einfach: Die Zinsen sind zwar historisch niedrig – was einen Immobilienkauf ja eigentlich erschwinglicher machen würde – aber die Hauspreise sind enorm gestiegen und in ihrem Schlepptau klettern auch die Nebenkosten immer weiter. Das führt dazu, dass die Einstiegshürde in den Markt immer höher wird: Für Käufer mit niedrigen Einkommen ist es fast utopisch, das nötige Eigenkapital aufzubringen. Es sollte bei einer durchschnittlichen 300.000-Euro-Wohnung mindestens 60.000 Euro betragen, die Kaufnebenkosten für Steuern, Makler und Notar von weiteren rund 30.000 Euro kommen zusätzlich obendrauf. Selbst Normalverdiener stemmen die rund 90.000 Euro kaum noch, zumindest nicht in Verbindung mit den gestiegenen Kaufpreisen. Beim Eigenkapital also setzt die Mietkauf-Idee an: Der Eigentumserwerb wäre so auch völlig ohne Eigenkapital möglich. Allein durch das regelmäßige Abstottern der Miete.
Nur der Wohnraum, nicht der Grund
Zudem müssten die Kaufwilligen keine Mondpreise für die Objekte zahlen. Für eine 100-Quadratmeter große Wohnung setzen die Ökonomen einen Preis von 212.000 Euro an. So viel ergeben die jahrelangen Zahlungen sowohl für jene, die 24 Jahre mieten, als auch für die 33-jährigen Dauermieter. Zinsen werden in all den Jahren nicht fällig, die Rate bleibt außerdem über die gesamten Jahre konstant. Keine Mietsteigerungen innerhalb von 24 Jahren und Wohneigentum für nur 212.000 Euro, das klingt nun wiederum ebenfalls utopisch – utopisch günstig nämlich. In Berlin kosten Neubauwohnungen mit 100 Quadratmetern schließlich aktuell rund 600.000 bis 700.000 Euro, in München kommt man nur schwer unter 1 Mio. Euro an eine Wohnung in dieser Größer heran.
Wie die Ökonomen auf nur 212.000 Euro kommen? Sie haben nur die reinen Baukosten angesetzt inklusive der Baunebenkosten für ein typisches neu errichtetes Großstadthaus. Das zeigt an dieser Stelle auch, welchen exorbitanten Aufschlag Großstadtkäufer allein für Grund und Boden zahlen – obwohl sie eigentlich nur in einer von vielen Etagen darüber wohnen wollen. Und eben dieser Grundstücksanteil verteuert augenblicklich jeden Neubau enorm. Dieser Batzen fällt für Mietkäufer weg. Die neuen Wohnhäuser sollen nämlich auf Flächen entstehen, die in Erbpacht vergeben werden. Das bedeutet für die Käufer: Sie müssen monatlich einen bestimmten Erbbauzins entrichten, bis ans Lebensende oder zumindest bis ans Wohnende, zusätzlich zur Miete (er ist der zweite Aufschlag neben zur Instandhaltungsrücklage). Juristisch gesehen gehört ihnen am Ende dann lediglich die Wohnung, die sie über die Jahre mit ihren Mietzahlungen erworben haben, nicht aber der Grund, auf dem sie steht.
Nun ist der Erbpachtzins ein Leben lang fällig und er kann auch erhöht werden. Dennoch ist das kein schlechter Deal, wenn man bedenkt, dass mit diesem Mietkaufmodell vor allem jene ins Wohneigentum kommen sollen, die bisher keine Chance am Markt haben. Weil sie kein Erspartes aufweisen können und meist auch kein hohes Einkommen. Und weil sie deshalb auch kaum einen Kredit von der Bank bekommen würden – oder nur ein Darlehen zu recht hohen Zinsen. Auf herkömmlichem Wege müssten sie lebenslänglich Miete bezahlen, ohne andere Möglichkeiten zu haben. Während jene mit Ersparnissen sich den Vorteil erkaufen können, im Alter mietfrei zu wohnen. So gesehen wäre der Mietkauf also auch ein großes Subventionsprojekt.
Wohneigentum für 500.000 Haushalte?
Wer das bezahlen soll? Der Staat. Der hat momentan schließlich genügend Geld durch höhere Steuereinnahmen übrig. Zudem kann er sich so günstig verschulden wie noch nie. Begibt er Staatsanleihen, zahlen ihm die Investoren inzwischen Geld dafür, ihm diese Papiere abnehmen zu dürfen. Zudem leistet es sich der Bund, über die kommenden 10 Jahre etwa 10 Mrd. Euro an Baukindergeld auszuschütten, das halten die DIW-Ökonomen ohnehin für einen Fehlanreiz. Denn mit diesem Geld entstünden in erster Linie Wohnhäuser in jenen Regionen, in denen gar kein Wohnraummangel herrscht. In Ballungsräumen dagegen führe das Baukindergeld eher dazu, dass die Preise noch schneller stiegen, weil Bauträger und Makler den Staatszuschuss großzügig einpreisen und auf die bisherigen Kaufsummen aufschlagen. Die Käufer haben es ja. Während das Baukindergeld nun also in den Metropolen so gut wie keine einzige weitere Wohnung schafft, könnte man mit dem gleichen Einsatz viel effektiver den Mietkauf finanzieren, rät das DIW.
Würde man das Geld nämlich stattdessen in den Bau von Mietkaufwohnungen stecken, ließen sich mit den 10 Mrd. Euro innerhalb der kommenden zehn Jahre rund 500.000 Haushalte zusätzlich ins Wohneigentum bringen, so rechnen die DIW-Experten. Der Staat könnte nicht nur den Wohnungsbau vorfinanzieren, sondern er besäße auch viele Flächen, auf denen sich Häuser errichten ließen. Die Frage ist allerdings, ob sich diese Flächen tatsächlich dort befinden, wo die größte Wohnungsnot herrscht. Sind es wirklich ungenutzte Grundstücke im Umkreis der großen Städte, die der Bund noch massenhaft besitzt? Und würde er sie tatsächlich freigeben, damit dort Förderwohnungen entstehen – dann wäre das Projekt Mietkauf tatsächlich auch praktisch umsetzbar. Vorausgesetzt, es würde zügig losgebaut, also nicht erst jahrelang geplant. Und vorausgesetzt, es fänden sich in Zeiten des Baubooms überhaupt noch Baufirmen und Handwerker, um das 500.000-Wohnungs-Projekt umzusetzen. Ein paar Hürden gäbe es also durchaus noch zu nehmen.
Der allergrößte Knackpunkt des Modells ist aber dieser: Für wen ist der Mietkauf nun überhaupt gedacht? Für Familien mit Kindern, deren Haushaltsvorstand nicht älter als 40 Jahre alt ist, so stellen es sich die Ökonomen vor. Gerade diese Zielgruppe tue sich auf Großstadtmärkten besonders schwer mit der Eigentumsbildung und habe überdies kaum Gelegenheit genügend Eigenkapital anzusammeln. Das wiederum klingt zuerst einmal gut, ist aber nur das halbe Bild. Die Herausforderung des Mietkauf-Modells werde darin liegen, die wirklich Bedürftigen auszuwählen, sagen die Ökonomen selbst. Jene Familien also, die zwar jung sind, aber wirklich wenig Geld haben – und außerdem in dieser Situation bleiben. Dazu müssten sie zudem keinen größeren Zahlungen erwarten, keine Gehaltserhöhungen oder gar Erbschaften und Schenkungen. Denn beim Mietkauf wird exakt einmal geprüft, wer in den Vorzug der sich selbst abzahlenden Wohnung und der Dauerniedrigmiete kommt: beim Einzug und der Vertragsunterzeichnung nämlich. Jegliche Besitzmehrung danach wird nicht mehr erfasst.
Mietkauf nur für Familien
Wenn sich andere Lebensumstände ändern, wenn die Familie zum Beispiel arbeitsbedingt wegziehen muss, sei das kein großes Problem, sagt das Konzept der Ökonomen: Dann könne die Familie die Wohnung ja vermieten. Vermutlich macht sie dann damit sogar noch einen satten Gewinn. Denn die Marktmieten werden sich in den kommenden 24 bis 33 Jahren vermutlich sehr wohl nach oben entwickeln – im Gegensatz zur Mietabzahlrate für die Wohnung. Nur in einem Fall hätte der Mietkäufer wirklich Pech: Wenn er arbeitslos wird oder aus anderen Gründen seine Miete nicht mehr zahlen kann und deshalb ausziehen muss, sind seine bisherigen Mietzahlungen weg. Cleverer wäre da: Er vermietet die Wohnung ebenfalls, sucht sich etwas Kleineres und kann mit Glück im Alter dennoch in die abgezahlte Wohnung wieder selber einziehen. Das müsste zumindest nach der bisherigen Logik funktionieren.
Das alles klingt nach einer sehr sozialen Idee, nur an einer Stelle benachteiligt das Modell gerade jene, die auf dem jetzigen Wohnungsmarkt die am meisten Gefährdeten und somit auch die wirklich Bedürftigen sind: Warum sollen nur Familien in den Genuss dieser Form des geförderten Eigentumerwerbs kommen? Weil junge Familien zu rund 70 Prozent Mieterhaushalte sind, obwohl sie doch gern Eigentum hätten, sagen die Statistiken der Ökonomen. Soweit so richtig, von den Familien mit zwei Kindern trifft das auf immerhin zu rund 58 Prozent zu. Aber: Eine andere Gruppe lebt noch viel häufiger in der Mietwohnung, Paare unter 40 nämlich, die zu knapp 90 Prozent ebenfalls kein Wohneigentum haben. Einpersonenhaushalte werden in der DIW-Statistik gar nicht erst aufgezählt, man kann davon ausgehen, dass die Eigenheimbesitzerquote in Großstädten unter ihnen nicht gerade höher ist.
Oder um es so herum zu formulieren: Über 80 Prozent aller Großstadthaushalte bestehen aus einer oder zwei Personen. An vier Fünfteln aller Metropolenbewohner ginge dieses Mietkaufmodell also vorbei. Gerade sie sind es aber größtenteils auch, die mit Normaleinkommen ebenfalls teurere Mieten bestreiten müssen und die zudem häufig sogar besonders von Mietsteigerungen betroffen sind, da das Segment der kleinen Wohnungen noch härter umkämpft ist als der Markt der Familienwohnungen. Während Bauträger nämlich liebend gerne Großwohnungen mit vier Zimmern oder mehr errichten, halten sie sich bei Zwei- und Dreizimmerwohnungen auffallend zurück. Die Margen sind ihnen da nicht hoch genug. Das Ergebnis davon ist, dass die wenigen bestehenden Wohnungen in dieser Größe noch viel saftigere Mietsteigerungen erfahren.
Zudem kommen Wenig- und Normalverdiener ohne Kinder oft auch nicht in den Genuss von staatlichen Förderungen oder anderen Vergünstigungen, jedenfalls nicht, so lange sie keine Extrem-Wenigverdiener sind. Gerade im Alter aber haben sie in Städten ein großes Problem. Wegen ihrer kleinen Renten können sie sich dann nämlich oft das Wohnen in ihren bisherigen Wohnungen nicht mehr leisten. Auf die große Gefahr der „grauen Wohnungsnot“ machte jüngst erst das Pestel-Institut aufmerksam. Vielleicht kommt ja irgendwann noch ein Ökonom auf die Idee, dass man für diese Zielgruppe ebenfalls etwas tun könnte. Nein, man müsste sogar.