Der Immobilienmarkt in Berlin
Berlin – Rallypause dank Corona
Von Roland Lindenblatt und Lutz Meier
Es sollte eine Prachtstraße werden. Als 1861 das nördliche Gebiet links und rechts der alten Landstraße nach Potsdam zu Berlin kam, gab es hochfliegende Pläne für das, was heute die Kurfürstenstraße ist.
Die neue Verbindung konnte die Hoffnungen aber nie erfüllen. Zwar entstanden tatsächlich Villen. Aber bald machten sich Mietskasernen breit, schäbige Geschäftshäuser und Absteigen für Gewerbe mit zweifelhaftem Ruf. Heute ist die Kurfürstenstraße eine wilde Mischung aus in die Jahre gekommenen Gründerzeitpalästen, heruntergekommenen Geschäftsbauten, Brachflächen – und neuerdings edlen Neubauten.
Überall in und um die Kurfürstenstraße entstehen ambitionierte Wohngebäude mit Quadratmeterpreisen, die so gar nicht zum alten Image passen wollen. Das „Carré Voltaire“ mit Retro-Anmutung ist bereits fertig, auch am „Schoengarten“ wird trotz Corona-Krise emsig gebaut, zudem gibt es einige kleinere Baustellen und Bauvorhaben. Vielleicht erfüllt sich die Verheißung der Kurfürstenstraße ja doch noch.
„Eine Gegend, die lange nur schmuddelig war, aber eben auch eine zentrale Lage“, so beschreibt Sven Henkes, Geschäftsführer von Ziegert Immobilien, die Ecke. „Das wird attraktiv in Verbindung mit der kreativen Bohème.“ Was für die Kurfürstenstraße gilt, gilt mehr oder weniger für ganz Berlin: Die Pläne waren fast immer glanzvoller als das, was draus geworden ist. In der Sprache der Immobilienvermarkter heißt das: Berlin hat immer noch viel Potenzial. „Wir sind vor 30 Jahren im Keller gestartet und jetzt vielleicht gerade auf dem Weg vom Erdgeschoss ins erste Stockwerk“, beschreibt Henkes die Preisentwicklung der letzten Jahre.
Berlin hat einen Wandel durchgemacht. Bis vor 15 Jahren war Berlin noch bekannt für günstige Mieten, Brachflächen im Stadtbild und als Welthauptstadt für Karriereverweigerer und Hedonisten. Doch jetzt wird Berlin zur echten Weltstadt mit dazu passenden Wohnkosten. In den vergangenen zehn Jahren zog die Stadt Unternehmen an, die Unternehmen wiederum hoch qualifizierte und gut bezahlte junge Leute. Zwischen 2012 und 2016 wuchs die Stadt jedes Jahr um 40.000 bis 50.000 Menschen, zuletzt waren es noch über 30.000. Die Brachflächen wichen Neubauten. 74.000 Wohnungen entstanden in den vergangenen zehn Jahren, mehr als 16.000 Wohnungen allein 2018. Die zahlreichen Neubauprojekte reichen trotzdem nicht aus, um den Bedarf zu decken: Immer mehr Einwohner kommen auf eine Wohnung.
Die Wohnungspreise stiegen in der Vergangenheit auch, weil Investoren aus dem In- und Ausland von Berlins neuer Anziehungskraft profitieren wollten. Sie begannen, Immobilien zu kaufen, zu sanieren und teurer zu vermieten. Die Mieten bei Neuvermietungen verdoppelten sich in den letzten zehn Jahren fast.
Im letzten Jahr – und damit weit vor der akuten Corona-Krise und den jüngsten staatlichen Eingriffen – setzte sich der rot-rot-grüne Berliner Senat an die Spitze der Bewegung und brachte rigide Maßnahmen auf den Weg: Im Februar trat das Gesetz zum Berliner Mietendeckel in Kraft. Demnach können Wohnungseigentümer nur noch eine Kaltmiete von maximal 4,42 Euro bis 12,50 Euro Euro pro Quadratmeter verlangen. Die Lage spielt nur eine geringe Rolle, es zählen hauptsächlich Baujahr und Ausstattung. Neubauten ab 2014 sind ausgenommen. Weil es aber eigentlich nur dem Bund zusteht, den Wohnungsmarkt durch Gesetze zu regulieren, ist unklar, ob der Mietendeckel Bestand hat. Eine finale Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus.
Der Mietendeckel könnte aber schon jetzt den gegenteiligen Effekt haben – er verunsichert Investoren. „Der Mietendeckel hat zwar auf die Mieten wenig Auswirkungen, aber eine Auswirkung hat er doch: Es wird weniger gebaut werden“, sagt Christian von Gottberg, Geschäftsführer der Engel-&-Völkers-Filiale am Hohenzollerndamm. Hinzu kommt, dass die Stadt bei der Vergabe von Baugenehmigungen nicht so schnell arbeitet wie beim Erlass neuer Gesetze. In den letzten Jahren stagnierte die Zahl der Genehmigungen. „Beim großen Nachfrageüberhang ist klar, dass die Preise stabil bleiben“, sagt von Gottberg.
Berliner kaufen nun zunehmend für sich selbst. „Der Anteil der Selbstnutzer steigt gegenüber den Renditeorientierten. Es gibt zunehmend eine Klientel, die nicht kaufen muss, sondern will und kann“, sagt Makler Henkes. „Der Kaufpreis wird vom Mietpreis wegtendieren. Die Renditen werden schlechter“, sagt auch Carsten D. Topel, Geschäftsführer des Berliner Maklers Immoberlin. Kurzfristig erwartet er einen Knick in den Immobilienpreisen, auch wegen der Corona-Krise. Langfristig aber werden die Preise weiter steigen.
Das gilt für fast alle Stadtteile, auch jene außerhalb des Rings sind „im Kommen“, wie man in Berlin sagt. Der Nordwesten Berlins, der lange unter dem Fluglärm des Flughafens Tegel litt, profitiert von der geplanten Eröffnung des Flughafens BER im Südosten der Stadt. Rund um den Hauptbahnhof entsteht sogar ein ganz neues Stadtviertel in zentraler Lage. Die bisher beliebten Stadtteile bleiben attraktiv. „Auf der Uhr zwischen sechs und neun würd ich alles kaufen“, sagt Makler von Gottberg. Da liegen Charlottenburg, Zehlendorf und eben auch die Kurfürstenstraße.