Sich für Aktien zu interessieren, wäre in Deutschland im Grunde logisch und vernünftig. Auf dem Sparbuch gibt es keine Zinsen, dafür zeigt der Wirtschaftskalender für die nächsten Wochen etliche Aktien an, die Dividendenrenditen von fünf Prozent oder mehr liefern. Münchener Rück, BMW, Allianz oder die gute alte Telekom könnten finanziell reizvolle Stories liefern. Geredet wird aber nur über eine Aktie: Wirecard.
Die Datenbank der Börse München spuckt dabei wenig spektakuläre Rahmendaten aus: ein hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis von 44, eine Dividendenrendite von 0,2 Prozent, die nicht der Rede wert ist, garniert mit einem Kurs-Umsatz-Verhältnis von hohen neun und einem international vergleichsweise mickrigen Börsenwert von 13 Mrd. Euro. Trotzdem bringt Wirecard alles mit, was man braucht, um sexy, spannend und aufregend zu sein. Die Aktie ist hoch volatil, schwankt teilweise an einem Tag prozentual so sehr wie der Dax im ganzen Jahr. Vorstandschef Markus Braun ist umstritten, seine Firma begann einst als Bezahldienst für Onlinespiele und Pornoseiten. Zudem wurde das Unternehmen in den vergangenen Jahren wiederholt mit fragwürdigen Geschäftspraktiken in Verbindung gebracht – allerdings konnte Wirecard und seinem Vorstandschef bislang nichts nachgewiesen werden.
Wirecard Aktie
Seit Wochen befindet sich der Finanzdienstleister im Schlagabtausch mit der „Financial Times“, der auch via Twitter und anderen sozialen Medien ausgetragen wird. Für Freunde der Psychologie ist die Aktie ein Fest. Wann immer die Euphorie in Sachen Entlastung der Vorwürfe rasant steigt, dürfen Antizykliker sich gehebelt mit Turbos wie der WKN CP7523 auf die Short-Jagd machen. Wann immer die Aktie die 100-Euro von unten sieht, spätestens dann setzen Comeback-Freunde auf den Turbo-Bull der Société Générale mit Hebel 5 und WKN ST8Y8R . Dieses Spiel könnte noch so weitergehen bis der Prüfer EY sein positives Testat, sprich seinen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk unter den Jahresabschluss gesetzt hat.
Manche Anleger setzen auch auf die hohe Volatilität und die damit verbundenen günstigen Rahmenbedingungen und kaufen spekulative Optionsscheine mit Barrieren wie die WKN HX7PX8 . So oder so – zu Wirecard hat fast jeder eine Meinung. So wie die Truppe von der Bundeswehr, die uns letzte Woche in Garmisch beim Skifahren über den Weg lief und die beim Wort Wirecard sofort in eine Diskussion einstieg. Auch Taxifahrer diskutierten mittlerweile Wirecard, selbst auf Studentenpartys ist „WDI“ ein Thema wo man früher wohl eher Fußball-Ergebnisse oder die Instagram-Beiträge einer Heidi Klum oder Lena Meyer-Landrut kommentiert hätte.
Wo liegt die Wahrheit?
Das Kuriose an der ganzen Geschichte ist, dass vielleicht am Ende jeder ein bisschen recht hat. Im Börsenbrief von Feingold Research fragte jüngst ein Leser, ob „Wirecard denn die neue Comroad oder ein zu Unrecht attackierter Konzern“ sei. Zur Erinnerung – Comroad war einst am Neuen Markt ein Betrugsfall. Womöglich liegt die Wahrheit am Ende ein bisschen in der Mitte. Denn die FT fährt schwere Geschütze auf, schon seit Wochen, die mitunter durchaus plausibel klingen. Gleichzeitig konnte Wirecard bisher gut gegenhalten.
Vielleicht bleibt am Ende etwas hängen, was den Konzern per se aber nicht aus der Bahn wirft. So etwas gab es zwar schon einmal im Dax. Erinnert sei an MLP, die wegen strittiger Bilanzpraktiken angezählt wurden. Doch soweit ist es bei Wirecard noch nicht, schließlich gilt auch bei für viele noch so spannenden Aktien mit Geschmäckle die Unschuldsvermutung. Eines zeigt Wirecard aber auf jeden Fall: wie man die Deutschen für Aktien begeistern kann.