Es lagen viele Erwartungen auf der Zinssitzung der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) am Mittwoch. Und wie viele Marktbeobachter bereits im Vorfeld vermutet hatten, senkte Fed-Chef Jerome Powell den Leitzins tatsächlich um 0,25 Prozentpunkte – zum ersten Mal seit zehn Jahren. Ein Schritt, der vor allem US-Präsident Donald Trump nicht zufrieden gestellt hat, wie er sogleich auf Twitter kundtat.
Er hatte sich von der Notenbank eine „sehr große“ Zinssenkung erhofft. Und auch Rohstoffanleger dürften sich geärgert haben: Denn der Kurs von Edelmetallen stieg nach der Verkündung der Fed nicht wie erwartet an. Der Silber-Kurs stürzte von 16,58 US-Dollar je Feinunze am Dienstag auf 16,25 US-Dollar am Mittwoch ab. Dabei hat Silber derzeit einen Lauf: Seit Ende Mai befindet sich das Edelmetall im Aufwärtstrend. Der Kurs stieg seitdem um mehr als 15 Prozent.
Positiver Ausblick für Silber
Zeitweise legte der Silberpreis sogar mehr zu als der Goldpreis. Anfang Juli stieg die Gold-Silber-Ratio auf 93 – dem höchsten Wert seit 1992. Eine derart hohe Gold-Silber-Ratio impliziert, dass Silber im Gegensatz zu Gold deutlich billiger ist, also stark unterbewertet. „Offenbar hat es im Edelmetallsektor einen Favoritenwechsel gegeben“, sagt Eugen Weinberg, Leiter der Rohstoffanalyse bei der Commerzbank. Als Grund für den Aufwärtstrend des Silber-Kurses sieht er unter anderem die derzeitige Nachfrage nach Silber-ETFs. Seit Anfang Juni sind die Bestände um 13 Prozent gewachsen – das entspricht mehr als 2300 Tonnen Unzen, die in den ETFs hinterlegt sind, zeigt eine Marktanalyse des Edelmetallspezialisten Heraeus. Und das, obwohl die Nachfrage nach Silber in den ersten Monaten des Jahres eher dürftig ausfiel. „Das wirtschaftliche Umfeld war für die industrielle Silbernachfrage ungünstig“, heißt es in der Analyse. In den Regionen mit der höchsten Nachfrage nach dem Edelmetall – China, Japan, die USA und Europa – verlangsame sich das Wirtschaftswachstum. Jetzt allerdings seien „die Probleme der industriellen Nachfrage in den Hintergrund getreten“ und der Ausblick für Silber wieder positiv.
Darüber hinaus befeuern Spekulationen am Rohstoffmarkt den Preis des Edelmetalls: Finanzanleger hätten zuletzt stark auf steigende Silberpreise gesetzt, sagt Rohstoffexperte Weinberg. Damit stehe der Preisanstieg allerdings auf wackeligen Beinen. „Nach dem Anstieg von unter 15 US-Dollar auf über 16,5 US-Dollar innerhalb von nur zweieinhalb Wochen wären wir nicht überrascht, wenn einige Marktteilnehmer Gewinne mitnehmen würden und es daher zu einer Preiskorrektur käme“, sagt Weinberg.
Goldpreis zieht stärker an
Die Ankündigung einer Leitzinssenkung bringt derzeit nicht nur den Rohstoffmarkt durcheinander: Auch die Marktindizes Dow Jones und Dax gaben vorübergehend nach. Normalerweise steigen Aktien- und Rohstoffkurse an, wenn die Zinsen sinken. Der Grund für den Absturz könnte darin liegen, das Fed-Chef Powell die Erwartungen auf eine nachhaltige Zinswende enttäuscht hat. Denn er ließ durchblicken, dass der jetzige Zinsschritt „nicht der Beginn einer langen Serie von Zinssenkungen“ sei. Sobald sich die Märkte mit dieser Situation abgefunden haben, könnte der erwartete Effekte der gesunkenen Zinsen aber womöglich doch noch eintreten – und die Nachfrage nach Gold steigen, wovon auch Silber profitieren dürfte.
Auch Nitesh Shah, Rohstoffexperte beim US-Vermögensverwalter Wisdomtree, geht davon aus, dass sich die Rallye bei Silber fortsetzen wird – der Preis allerdings nicht vollständig zu Gold aufschließt. Trotz der guten Performance im Juli hatte Silber im Vormonat nur um sechs Prozent zugelegt, Gold hingegen um zehn Prozent. Shah erwartet, dass der Silberpreis bis Ende des Jahres die Marke von 17 US-Dollar je Feinunze nicht überschreiten wird. Zwar korrelierten Gold- und Silberpreis zu fast 80 Prozent, jedoch seien die Aussichten für Silber weniger attraktiv als für das gelbe Metall. Die Unsicherheit durch den Handelskrieg zwischen China und den USA zum Beispiel sorge zwar für eine stärkere Nachfrage nach krisensicherem Gold . „Wenn diese Ängste jedoch die Nachfrage nach Industriegütern beeinträchtigen, könnte Silber darunter leiden, denn mehr als 50 Prozent des Edelmetalls wird für industrielle Anwendungen verwendet“, sagt Shah.