Es gibt nur wenige Reflexe, die bei den weltweiten Finanzmarktteilnehmern so gut ausgeprägt sind wie die Zuckungen im Finger, im Goldfinger nämlich. Der reagiert immer dann, wenn es an den Märkten besonders turbulent wird und drückt dann den Kaufen-Knopf. Wenn die Aktienmärkte abschmieren, schießt das Gold also in die Höhe. Schließlich gilt es als die Krisenwährung schlechthin. Normalerweise jedenfalls. Umso erstaunlicher ist das, was sich zurzeit beobachten lässt: Die Aktienmärkte steigen, der Dow Jones kletterte sogar auf den höchsten je dagewesenen Stand von 26.966 Punkten, der S&P 500 büxte ebenfalls nach oben aus. Es läuft also glänzend bei den Aktien – aber das Gold steigt auch . Knapp 1400 Dollar kostet derzeit die Feinunze, damit erklimmt das Edelmetall ein Sechsjahreshoch.
Goldpreis seit Januar 2018
source: tradingeconomics.com
Und schon überschlagen sich die Analysten mit positiven Ausblicken: Auf 1500 Dollar sehen einige den Preis schon steigen, andere unken sogar schon vom Durchbrechen der 2300-Dollar-Marke. Der neue große Aufschwung scheint da. Sollten nun also auch die Finger derjenigen zucken, die noch keine Edelmetallanteile in ihren Depots haben, damit ihnen die Gewinne nicht entgehen, wenn demnächst wieder goldige Zeiten anbrechen? So postulieren es einschlägige Goldforen dieser Tage gern. Ja, ein neuer Bullenmarkt sei angebrochen, jubeln vereinzelte Stimmen. Aber ist er das wirklich? Und wieso ausgerechnet in dem Moment, in dem es doch anscheinend gut läuft?
Tatsächlich darf man skeptisch sein, wohin sich der Goldpreis künftig wirklich entwickeln wird: weiter bergauf oder wieder bergab. Beides halten zumindest die Charttechniker derzeit für möglich: Wenn man sich die letzten Zuckungen des Kurses ansieht, dann ging es zwar seit Ende Mai steil bergauf. Und die 200-Tage-Linie als langfristiger Trendindikator drehte auch im Frühling wieder nach oben. Sie änderte allerdings auch innerhalb der vergangenen drei Jahre viermal ihre Richtung. Eine Garantie fürs weitere Aufwärtsstreben ist der jüngste Anstieg daher nicht. Die Chartisten drücken es daher so aus: Erst wenn der Kurs deutlich über die 1440-Dollar-Marke schnellt und dort auch eine Weile verharrt, könne man davon ausgehen, dass der Aufschwung bleibt. Es könne aber genauso gut auch wieder zu einem Rückfall auf die 1300 Dollar kommen. Erst im September hatte der Goldpreis noch die 1200-Dollar-Marke nach unten getestet.
Kein goldenes Zeitalter in Sicht
Zudem wirkt etwas ernüchternd, was Marktbeobachter zurzeit als Zielmarke im Falle eines weiteren Aufschwungs ansehen: 1500 Dollar nämlich. Das deckt sich mit den Aussagen von Analysten aus dem Hause Goldman Sachs und Commerzbank, die zuletzt zwar ihre Prognosen leicht angehoben haben, aber auch bloß mit rund 1550 Dollar rechnen. Maximal 100 Dollar zusätzlich wären demnach drin, das entspricht einem Anstieg um rund 7 Prozent. Nach einem goldenen Zeitalter klingt das nicht gerade.
Nun kommt es natürlich bei solchen Schätzungen immer darauf an, wie zielgenau sie eintreffen, schließlich könnte die Realität diese Prognosen auch mühelos positiv übertreffen. Zudem sagen die Höchstmarken noch nichts darüber aus, in welcher Zeit dieser Anstieg letztlich stattfindet. Auf Jahressicht wären sieben Prozent Wertgewinn eine immerhin akzeptable Rendite. Wenn der Kurs sogar bis Jahresende auf diese 1500 Dollar stiege – und danach weiter aufwärts strebte, wäre die Jahresrendite theoretisch noch viel besser. Bewegt sich der Goldpreis jedoch nach seinem jetzigen Höhenflug erst einmal grob weiter seitwärts, wie er es in den vergangenen Jahren ewig lange tat, dann kann es vielleicht auch ein oder zwei Jahre dauern, bis die 1500 Dollar tatsächlich auf den Kurszetteln stehen. Zuvor dümpelte das Gold sechs Jahre lang bloß dahin, es hat zwar mehrere steile Anstiege erlebt, aber ist auch immer wieder jäh abgestürzt. In Summe kam es seit 2013 aus dem Korridor zwischen 1200 Dollar und 1400 Dollar nicht heraus.
Fest steht: Sieht man sich die Wertentwicklung des Goldes in den letzten drei Monaten an, so war sie mit plus 10 Prozent beachtlich. Auch auf Jahressicht gab es mit Barren und Unzen rund 13 Prozent zu holen. Da strahlten die Augen von Investoren wirklich. Dagegen – und dieser Vergleich muss an dieser Stelle gemacht werden – sahen die Aktienindizes im selben Zeitraum mau aus: Der Deutsche Leitindex Dax kam auf 5,5 Prozent Plus innerhalb von drei Monaten, aber nur auf 2 Prozent auf Jahressicht. Der Weltaktienindex MSCI World schaffte kurzfristig auch bloß 3,2 Prozent und 6 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten. Da hatte das Gold also mehr zu bieten. Aber nur auf wirklich kurze Zeit gesehen. Zur Langfristentwicklung kommen wir später noch.
Niedrige Zinsen und Dollarschwäche helfen dem Goldpreis
Wodurch also kam der jüngste Aufschwung eigentlich zustande? Diese Frage beantworten die Analysten so: Die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China werden auch hier als Erklärung bemüht, sie hätten die Unsicherheit an den Märkten ansteigen lassen. Das mag zu einem kleinen Teil stimmen, doch seien wir ehrlich: Größtenteils hat man sich weltweit an diesen Faktor doch inzwischen gewöhnt. Als zweiter Grund nennen sie die jüngsten Zinssenkungsankündigungen der amerikanischen Zentralbank Fed. Sie sind klassischerweise wirklich ein Auslöser für Goldpreisanstiege, denn seit 1998 gilt: Fallen die Leitzinsen, weil die Zentralbanken aufhören, den Markt mit billigem Geld vollzupumpen, dann reagiert meist der Goldpreis. Und zwar in die entgegengesetzte Richtung, er steigt. Denn mit kleinen Zinsen wird das Halten von Gold aufgrund mangelnder Alternativen attraktiver. Erhöhen die Zentralbanken umgekehrt die Zinsen, dann bedeutet das aber nicht notwendigerweise, dass der Goldpreis abschmiert. Denn in Zinserhöhungszeiten korrelieren Gold und Zinsen wenig miteinander. Der Zusammenhang wird also schwächer.
Eng mit den Zinsen zusammen hängt auch der Dollarkurs: Die Zinssenkungen in Amerika sind ein Zeichen dafür, dass die Notenbanker von einem schwächeren Wachstum und einer lahmeren Konjunktur ausgehen. Das drückte den Dollar nach unten. Der Wert der amerikanischen Währung aber bestimmt den Goldpreis unmittelbar mit: Denn wird der Dollar billiger, dann können sich Anleger in anderen Ländern günstiger mit Gold eindecken. Die Nachfrage steigt also und mit ihr der Kurs. In der Vergangenheit ließ sich dieser Zusammenhang gut beobachten, man muss allerdings auch sagen: Wenn es zu dieser gesteigerten Goldnachfrage weltweit kam, weil in Industrieländern die Wirtschaft schwächelte, dann stieg der Kurs auch nicht gerade ins Unermessliche. Beim letzten Mal waren es gerade einmal jene 200 Dollar je Unze, um die sich der Preis erhöhte, die der Markt auch seit September 2018 gesehen hat.
Vor allem diese beiden Faktoren – die erneut sinkenden Zinsen und der schwache Dollar – führten zumindest den jetzigen Anstieg herbei. Und noch ein dritter Faktor spielt eine große Rolle: Die große Zahl an Profiinvestoren und Spekulanten, die sich im Markt bewegen, haben den Kurs in den vergangenen Jahren ebenfalls immer wieder stark getrieben. Sie waren auch häufiger der Grund, warum sich Finanzmarktforscher fragten, ob und wann sich wohl am Goldmarkt eine spekulative Blase aufblähe, die nicht fundamental begründet sei, sondern nur auf die gestiegenen Zahl der Kontrakte zurückgehe und auf die Zahl der zukunftsgerichteten Trades. Also der Short und Long-Positionen.
Keine Goldpreis-Blase
Tatsächlich hat die Zahl der Netto-Long-Positionen am Markt zuletzt deutlich zugenommen, sagen die Rohstoffmarkt-Tradestatistiken. Also die Zahl derjenigen, die heute auf steigende Goldpreise in der Zukunft setzen. Gerade diese spekulativen Papiere auf den weiteren Preisanstieg beflügelten jüngst wieder das Gold. Deshalb ist aber auch höchste Vorsicht gefragt. Denn bekanntlich zeichnen sich spekulative Investoren dadurch aus, ihre Positionen nicht allzu ewig zu halten und überdies findiger beim Ausnutzen von Preisschwankungen zu sein als Privatanleger. Von einer Blase beim Preis kann man zurzeit nun wirklich nicht sprechen. Aber man sollte sich dennoch gut überlegen, ob man den Großspekulanten in diesem Marktsegment ausgerechnet jetzt noch hinterherlaufen möchte. Viele Privatanleger wählen zurzeit die gegenteilige Strategie: Die Verkäufe beim physischen Gold stiegen, weil viele ihre Barren und Münzen zu den derzeitigen Preisen sozusagen versilbern wollen.
Dazu kommt noch ein anderer Aspekt, der vor dem Einstieg ins den Goldmarkt bedacht sein sollte: Vor allem Gold-ETFs erfreuen sich großer Beliebtheit bei Anlegern. Ihre Kursentwicklung jedoch hängt eng mit der Volatilität der Aktienmärkte zusammen, mahnen Statistiker. Auf Zwölfmonatssicht aber sehen viele Aktienanalysten die Volatilität an den Weltmärkten eher zurückgehen, da auch das Wachstum schwinden wird. Eine Rezessionsgefahr sehen etliche dagegen nicht unbedingt aufziehen. Insgesamt sei die „Angstnachfrage“ nach Gold als super sicherer Hafen derzeit auch nicht besonders groß und sie könnte sich weiter abschwächen. All das sind Faktoren, die derzeit gut gegen einen Kauf von Gold sprechen.
Was der Aktienmarkt dem Gold voraus hat
Ebenso wie ein paar andere Zahlen – und damit wären wir beim Langfristvergleich: Welche Wertentwicklung legte das Gold nämlich auf Fünfjahressicht hin? Da stehen sieben Prozent Plus unterm Strich, das macht magere 1,4 Prozent Jahresrendite. Klingt schon nicht mehr so gut. Auf zehn Jahre waren es 16 Prozent, also auch nur 1,6 Prozent pro Jahr. Nun werden Goldfans entgegnen, das sei ja auch klar, schließlich waren die vergangenen Jahre schlechte Jahre fürs Gold. Erst jetzt beginne ja die Superrally.
Das mag sein, schauen wir also noch weiter zurück: Um den letzten Höhenflug des Goldes zu belegen, schauen einige Kursstatistiken auf das Jahr 2003. Da stand das Edelmetall bei gut 300 Dollar. Seitdem, also bis Ende 2018, legte der Preis um stolze 263 Prozent zu. Mit solchen Daten bringen Goldseiten die Augen der Anleger zum Glänzen. Allerdings nur, weil viele von ihnen nicht die Gegenrechnung anstellen: Der respektable Anstieg der Aktien über fünf Jahre beträgt 26 Prozent, also immerhin 5,2 Prozent pro Jahr. Auf Zehnjahressicht schafften sie sogar 167 Prozent, also 16,7 Prozent pro Jahr.
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Gut, nun waren die letzten zehn Jahre auch großartige Aktienjahre. Was also passierte auf lange Sicht? Betrachten wir den Aktieindex Dax ebenfalls seit 2003, so legte er von 2547 Punkten auf 10.500 Punkte Ende 2018 zu. Das ist ein Anstieg um 312 Prozent. Trotz aller Turbulenzen nach dem Dotcom-Crash, inklusive Weltfinanzkrise und Euro-Krise. 312 Prozent Plus selbst in so vielen schweren Jahren. Bisher hat das Investment in Barren, Münzen oder Gold-Indexfonds solche goldenen Zeiten noch nicht erlebt.