Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen
Viele Fondsmanager und Finanzmarktexperten gaben es am Morgen nach dem Brexit zu: Mit diesem Ausgang des britischen Referendums hatten sie nicht gerechnet. Natürlich hatte jeder von ihnen in Gedanken die Möglichkeit durchgespielt, was passieren würde, wenn sie Großbritannien wirklich zum Austritt aus der EU entschließen würde. Und viele Ökonomen hatten die finanziellen wie wirtschaftlichen Folgekosten in Szenarioanalysen durchgerechnet. Gehofft hatten aber insgeheim sehr viele, dass es gar nicht dazu kommen würde. Und jetzt das! Doch heißt das nun, die Auswirkungen werden schrecklich sein, vielleicht sogar in einer Finanzkrise münden wie 2007? Abgesehen davon, dass das derzeit noch niemand wirklich einschätzen kann: Dazu muss es nicht kommen.
Denn anders als bei der Finanzkrise, die ja recht unvermittelt mit der Pleite der Lehman-Bank Fahrt aufnahm, war das Datum der Abstimmung im Vorhinein hinlänglich bekannt. Und etliche Marktteilnehmer haben sich tatsächlich darauf vorbereitet, auch wenn sie an dieses Szenario nicht glauben wollten. Zudem gibt es einige Anlageklassen, die vom Brexit sogar profitieren könnten. Der Ausstieg der Briten ist daher Risiko und Chance zugleich.
Für Privatanleger könnten sich in den kommenden jedenfalls interessante Möglichkeiten zum Einstieg ergeben – so ist die einhellige Meinung vieler Analysten und großer Fondsmanager.
Britische Aktien meiden
Das Schlimmste, was Kleinanleger derzeit tun könnten, wäre: Ihre Positionen panisch loswerden zu wollen. Denn solange die Aufregung an den Märkten groß ist, kommen dabei höchstens schlechte Verkaufspreise heraus und lange Verzögerungen mit weiter sinkenden Kursen, weil viele Systeme überlastet sein werden und in solchen Situationen nicht unbedingt die Kleinanleger die ersten sind, die an den Börsen bedient werden. Einfach nur Stillhalten wäre jetzt natürlich eine Option, denn in ein paar Monaten wird der Markt den Brexit-Schock vergessen haben. Es wäre aber noch viel cleverer, sich in der nächsten Zeit mit einigen Papieren einzudecken. Denn tatsächlich stellen Marktbeobachter fest, dass große Investmentgesellschaften und Profiinvestoren in den vergangenen Wochen größere Cashpositionen aufgebaut haben. Das heißt: Sie haben sich bereits stärker aus Wertpapieren, insbesondere Aktien zurückgezogen. All das Geld wird früher oder später wieder in die Märkte fließen. Doch wohin?
Fangen wir mit den Papieren an, die man momentan eher meiden sollte. Das sind britische Aktien, insbesondere Investments, die den britischen Immobilienmarkt und britische Banken betreffen. Europäische Bankaktien allgemein könnten aber ebenso eine Weile schwächeln. Die Branchen Bau, Gastronomie, Industrie und Werbung könnten in Großbritannien ebenfalls Einbußen erleben, erstere vor allem, weil sie bisher von billigen Arbeitskräften aus anderen EU-Staaten profitieren. Auf das britische Pfund zu setzen ist ebenfalls keine gute Idee. Eine Einstiegsgelegenheit könnten aber in einigen Wochen britische Firmen sein, die stark vom Export abhängen und große Kunden in Amerika und Übersee haben, also auch außerhalb der EU. Denn je stärker das britische Pfund fällt, desto billiger können sie ihre Produkte im Ausland verkaufen.
Und wer gewinnt? Wenn die Prognosen und Analysen der Ökonomen und Großanleger stimmen, dann wird viel Geld demnächst in sichere Staatsanleihen fließt. Denn viele Investoren werden die „sicheren Häfen“ suchen, deutsche Papiere vor allem, aber auch amerikanische. Das wird zwar die weiter Renditen drücken, aber die Kurse treiben. Mit Eigeninvestments sind Privatsparer hier nicht gut beraten, da die Kosten beim Anleihenkauf hoch sind – und sie selten von den steigenden Kursen profitieren, sondern in der Regel nur, wenn sie Anleihen bis zur Fälligkeit halten. Aber Rentenfonds können das sehr gut, denn sie schlagen sowohl aus steigenden Zinsen als auch aus steigenden Kursen regelmäßig Profit, weil sie ständig handeln und zwischenzeitliche Gewinne dadurch mitnehmen. Zudem werden sich gerade bei europäischen Peripheriestaaten die Zinsaufschläge erhöhen, weil sich nun viele fragen: Bleiben sie in der EU oder spielen sie auch mit dem Gedanken, sie zu verlassen? Europäische Rentenfonds könnten aus dieser Unsicherheit bei Zinsen und Kursen Kapital schlagen. Auch nach der Finanzkrise erlebten Rentenfonds goldene Zeiten.
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Apropos Gold, das sehen einige nun auch im Aufwind und tatsächlich legte der Goldpreis eine kleine Kursexplosion nach dem Referendum hin. Anleger sollten sich aber gut überlegen, ob sie in Gold investieren. Physisches Gold in Münz- oder Barrenform wirft keine laufenden Erträge ab, nur Lagerkosten. Und auf lange Sicht ist der Goldpreis alles andere als stabil. Er liegt auch jetzt noch rund 500 Euro unter seinem Höchststand von 2011, als er bei 1800 Dollar notierte. Experten für Finanzmarktblasen warten überdies schon länger darauf, dass die Blase am Goldmarkt platzt und halten das Edelmetall für stark überbewertet, so wie in den 80er Jahren schon einmal. Zumal der Markt stark von Großspekulanten getrieben und verzerrt wird. Inflationsbereinigt jedenfalls garantiert Gold eher den Kapitalerhalt als Vermögenszuwächse. Gekauft wird es klassischerweise von Privatanlegern, die an das Schlimmste vom Schlimmen glauben wollen. Doch ob man das nun angesichts des Austritts der Briten tun muss?
Da scheint zumindest kurzfristig eine Wette auf Währungen die bessere Variante zu sein, obwohl das traditionell für Privatanleger ein riskantes Investment ist. Den Eurokurs sehen Fondsmanager jedenfalls steigen als Folge des Referendums und als Antwort auf das sinkende Pfund. Der Schweizer Franken hat bereits stark zugelegt in den ersten Stunden nach dem Wahlausgang, so dass die Schweizer Notenbank sofort aus Angst um die heimische Wirtschaft intervenierte. Sie wird vermutlich auch weiterhin ein Auge auf ihre Währung haben. Auch der Yen gilt als Gewinner und attraktiv für ausländische Anleger, die nach einem sicheren Hafen suchen.
Anleger haben also drei Währungen zur Auswahl, die ganz gute Aussichten versprechen. Sie können Direktinvestments tätigen und sich Fremdwährungen direkt ins Depot legen. Oder Optionsscheine und Zertifikate kaufen, also einen Call oder Long auf Euro, Franken und Yen (oder umgekehrt einen Put oder Short auf das Pfund). Oder sie legen sich einen Fremdwährungsfonds zu. Im Hinterkopf sollten Anleger aber haben: Es hat bereits in den vergangenen Tagen eine starke Flucht in diese „Safe-Haven-Währungen“ gegeben. Mit Devisenkäufen hecheln sie also maximal dem Markt und der Anlegerherde hinterher.
Unternehmensanleihen oder US-Aktien
Wer sich nicht sicher ist, in welche Richtung die Kurse demnächst preschen – weiter bergab oder wieder bergauf – hat das durchaus mit einigen Marktbeobachtern gemein. Etliche Investoren gehen davon aus, dass die Kurse in naher Zeit stark schwanken werden. Sie glauben nicht daran, dass die Märkte den Briten-Schock in wenigen Wochen voll verdaut haben und zur Tagesordnung übergehen. Sehr Mutig – oder sehr Unentschlossene – könnten deshalb über ein Investment auf den Volatilitäts-Dax (V-Dax) nachdenken, der genau solche Schwankungen an der Börse abbildet. Das kann man mit einem Zertifikat auf den V-Dax tun.
Eine weitere Möglichkeit für langfristiger orientierte Anleger sind Unternehmensanleihen. Da für viele Firmen, insbesondere mit starkem Englandgeschäft, die Aussichten unsicherer werden, müssten nach dem Referendum ihre Spreads, also ihre Zinsaufschläge steigen. Anleger würden also besser dafür entschädigt, wenn sie diesen Firmen Geld leihen. Ganz blauäugig sollten sie das natürlich nicht tun, denn mit der Gefahr einer Unternehmenspleite ist ja auch die Gefahr des Totalverlusts des eingesetzten Kapitals verknüpft. Doch insgesamt sind Europas Firmen sehr international aufgestellt, sagen Analysten, und müssten daher den britischen Dämpfer auf absehbare Zeit ganz gut verkraften.
Wer dagegen lieber Aktien vertraut, weil die nur selten komplett an Wert verlieren, der kann sich unter den US-Titeln umsehen. Die wird das Briten-Auf-und-Ab nur wenig treffen. Zwar sagen Analysten in absehbare Zeit beim S&P 500 einen Einbruch um rund fünf Prozent voraus. Danach dürfte es aber wieder bergauf gehen. Und im Rest von Kontinentaleuropa irgendwann auch. Dann eben ohne die Briten.
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