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Geldanlage Brexit erwischt Börsen auf dem falschen Fuß

Die Börsen brechen ein, Investoren hatten auf einen Verbleib spekuliert. Profi-Anleger warnen jetzt vor Panikreaktionen.

Das Votum der Briten für einen Ausstieg aus der Europäischen Union hat am Freitag die Aktienmärkte in Europa und Asien einbrechen lassen. Der Dax fiel im frühen Handel um acht Prozent auf 9436,92 Punkte. Zwischenzeitlich hatte der deutsche Leitindex sogar zehn Prozent verloren. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 rutschte um neun Prozent ab, genauso wie der französische CAC 40. An der Londoner Börse knickte der FTSE 100 um gut acht Prozent ein. Damit erleben Europas Börsen die größten Verluste seit der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Zuvor war bereits der japanische Nikkei-225-Index um annähernd acht Prozent gefallen.

„Alle sind falsch positioniert“, sagte ein Börsianer am frühen Morgen. „Keiner hat damit gerechnet, dass die Briten wirklich austreten.“ Das spiegelt sich auch in den Meinungen der Marktexperten zur Entscheidung der Briten wider.

DAX Index

DAX Index Chart
Kursanbieter: L&S RT

Stefan Kreuzkamp, Chief Investment Officer der Deutschen Asset Management

„Das Votum ist ein Schock und straft alle Marktteilnehmer, die bereits im Lauf der Woche auf einen Verbleib der Briten gesetzt hatten. Wir erwarten kurzfristig weiter volatile Märkte, was wir aber selektiv auch als Einstiegsgelegenheiten nutzen werden.“

Björn Jesch, Leiter Portfoliomanagement bei Union Investment

„Sicherheit ist an den Märkten derzeit die oberste Devise. Bundesanleihen oder US-Treasuries profitieren von der Suche nach ‚sicheren Häfen‘. Gleiches gilt für Gold, die ultimative Rückversicherung gegen Finanzmarktturbulenzen. Am Devisenmarkt empfiehlt sich vor allem der US-Dollar als Schutz vor dem Brexit-Fallout. Beim Japanischen Yen und dem Britischen Pfund ist bereits unmittelbar nach der Bekanntgabe des Ergebnisses viel passiert. Hingegen steht der Euro mit der Entscheidung der Briten anlagetechnisch vorerst auf dem Abstellgleis. Auf der Aktienseite dürften ebenfalls vor allem Papiere von der Insel sowie aus Kontinentaleuropa weiter leiden, ebenso wie risikobehaftete Segmente des Rentenmarktes. Aus Investorenperspektive ist der Ärmelkanal mit dem Brexit erheblich breiter geworden.“

Goldpreis Rohstoff

Goldpreis Rohstoff Chart
Kursanbieter: FXCM

Martin Gilbert, CEO von Aberdeen Asset Management

„Während die Abstürze an den Märkten zum Teil dramatisch ausfallen, ist meiner langen Erfahrung nach – ich habe bereits den Black Monday, den Black Wednesday, die Asien-Krise und vieles mehr erlebt – jetzt nicht die Zeit für Kurzschlussreaktionen. Viel wichtiger ist es jetzt einen kühlen Kopf zu bewahren. Als Langfristinvestor ist es häufig am besten nichts zu tun oder sogar die Chancen zu nutzen, welche aus Fehlbewertungen entstehen.“

Anko Beldsnijder, Portfoliomanager bei Fidecum

„Die Situation erinnert an einen Sketch der britischen Komikergruppe Monty Python – der Brexit ist jetzt jedoch bittere Realität und kein absurder englischer Humor. Dazu kommt, dass heutzutage bei der Informationsüberflutung durch das Internet Menschen viel emotionaler und unbesonnener zu reagieren scheinen – nicht zuletzt auch an den Finanzmärkten. Das befördert sicherlich die Dramatik. In solchen Situationen ist es meistens am besten, ruhig zu bleiben, statt wie die breite Masse unbesonnen zu reagieren. Faktisch wird sich nicht gleich die ganze Welt ändern, die Brexit-Folgen sind kurzfristig eher politischer als wirtschaftlicher Natur. Die Verhandlungen werden mindestens zwei Jahre dauern und im Laufe dieser Zeit wird sich herauskristallisieren, welche Implikationen das EU-Votum der Briten hat. Dax und Stoxx 600 stehen heute nach wie vor höher als vor zwei Wochen...“

Paras Anand, Leiter des europäischen Aktienteams bei Fidelity

„Anleger sollten wissen, dass sich solche Ereignisse in der Regel nur marginal auf die langfristigen Aussichten von Unternehmen auswirken. Die Folgen des Referendums auf die britische Binnenwirtschaft und Europa im Allgemeinen sind noch schwer abzuschätzen und werden wahrscheinlich erst im Laufe der Zeit offensichtlich. Sicherlich erhöht der Rückgang des Pfund Sterling die Wettbewerbsfähigkeit der Sektoren mit hohem Exportanteil und sollte langfristig den Appetit für Investitionen aus dem Ausland erhöhen. Wenn wir den Unternehmenssektor näher betrachten, stellen wir fest, dass Unternehmen über erhebliche Barreserven verfügen, sodass der Spielraum für die weitere Unternehmstätigkeit bestehen bleibt. Das sollte das Ausmaß der Kursrückgänge beschränken, die wir in den kommenden Wochen und Monaten sehen werden.“

David Zahn, Head of European Fixed Income bei der Franklin Templeton

„Unserer Ansicht nach ist es Wichtig, unter Anlagegesichtspunkten eine langfristige Sichtweise einzunehmen, selbst wenn dies angesichts der Volatilität, die gerade an den Märkten herrscht, schwierig ist. Wir raten Anlegern, diese Gelegenheit zu ergreifen und ihre Portfolios langfristig auszurichten. Die Turbulenzen in den nächsten Wochen und Monaten werden eine Reihe von Gelegenheiten schaffen, da ansonsten attraktive Anlagewerte eventuell von den Kurskapriolen mitgerissen werden.“

Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank

„Ist das jetzt das Worst Case Szenario, das Marktteilnehmer und Experten seit Wochen für die Aktienmärkte und die internationalen Wirtschaftsbeziehungen prognostizieren? Ja, aber der Brexit ist auch eine willkommene Ausrede, um weitere Unternehmensgewinnrevisionen vorzunehmen und das Weltwirtschaftswachstum noch stärker nach unten zu revidieren. Und davor haben die Finanzmärkte wohl mindestens genau so viel Angst wie vor dem Brexit selbst. Dennoch sind wir der Überzeugung, dass ‚Gefühlsbörsen’, bei denen der Wahlausgang alle Szenarien und jegliches fundamentale Umfeld überlagert, nicht lange anhalten – möglicherweise nicht einmal eine halbe Woche. Doch wir sollten klar erkennen: Die Aktienmärkte stehen auch unabhängig vom Brexit immer mehr unter Druck: Vor allem die zunehmende politische Fragilität und die anhaltende – tatsächliche – weltweite Konjunkturschwäche übertragen ihre negativen Schwingungen auf die Börsen. Der Brexit ist also nur der letzte Auslöser, der für den Start einer Korrektur gefehlt hat.“

Michael Metcalfe, Head of Global Macro Strategy, State Street Global Markets

„Wir beobachten aufmerksam den Einfluss auf die europäischen Werte, insbesondere den Euro. Auch wenn die EZB ihre Bilanz offensiv verlängert, setzen die Anleger scheinbar weniger auf eine weitere Abschwächung des Euros. Sollte sich durch die Entscheidung für einen Austritt die Aufmerksamkeit des Marktes erneut auf die drohende politische Spaltung Europas richten, scheint derzeit kaum ein politischer Risikozuschlag in der Einheitswährung eingepreist zu sein. Bei einer Geldpolitik, die gleichzeitig den Euro schwächt, gehen wir davon aus, dass sich der Abwärtstrend des Euro gegenüber dem US-Dollars fortsetzt.“

Eric Lonergan, Fondsmanager Multi-Asset bei M&G Investments

Grundsätzlich ist es noch zu früh, um die Auswirkungen auf die britische und die europäischen Volkswirtschaften zu beurteilen. Alles hängt davon ab, wie die Beziehung zwischen Großbritannien und Europa verhandelt wird. Entscheidend ist nicht, wie der heutige Tag ausgeht, sondern wo wir in einem Monat oder in einem Jahr stehen werden.“

Peter E. Huber, Vorstand und Fondsmanager von Star Capital

„Wir sehen dies als Chance, einen Teil unserer umfangreichen Barreserven antizyklisch für Käufe einzusetzen. Denn der Brexit ist ein heilsamer Schock und für Europa vielleicht die letzte Chance, durch tiefgreifende Reformen den Verfall der Wirtschafts- und Währungsunion zu stoppen.“

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