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Interview „Niedrige Zinsen, hohe Schulden ... und alles ist gut“

Der Chef des Fondsriesen Allianz Global Investors, Andreas Utermann, hat Spaß daran, mit ungewohnten Thesen zu provozieren
Der Chef des Fondsriesen Allianz Global Investors, Andreas Utermann, hat Spaß daran, mit ungewohnten Thesen zu provozieren
© Alexander Coggin
Andreas Utermann, Chef des Fondsgiganten Allianz Global Investors, erklärt, warum die Phase mit niedrigen Zinsen noch 30 Jahre anhalten könnte – und warum Anleger dies nicht fürchten müssen

Andreas Utermann , 53, leitet seit 2016 die Fonds-Tochter des Allianz-Konzerns, Allianz Global Investors (AGI). Mit mehr als 500 Mrd. Euro verwaltetem Vermögen ist AGI die zweitgrößte deutsche Fondsgesellschaft. Utermann ist quasi von Geburt Weltbürger – geboren in Brüssel als Kind deutscher Eltern, besaß er seit Anfang der 90er-Jahre nur den britischen Pass. Noch vor dem Brexit-Entscheid 2016 beantragte er zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft.

Herr Utermann, seit Jahresbeginn steigen die Aktienkurse, obwohl die Konjunktur schwächelt. Wie kann das sein?

ANDREAS UTERMANN: Es stimmt, die Wirtschaftslage und die Finanzmärkte haben sich zuletzt entkoppelt. Der Riss geht sogar tiefer: Die Börsen haben sich auch von der Politik entfernt. Den Märkten ist es im Großen und Ganzen egal, was beim Handelskonflikt geschieht . Ich finde das aber ehrlich gesagt ziemlich normal.

Wieso? Die Firmengewinne sind doch von der Konjunktur abhängig – und Ende 2018 eingebrochen.

In einzelnen Sektoren ja, aber in Summe sind die Unternehmensgewinne nicht so schlecht. Entscheidend ist letztlich nicht die Konjunktur an sich, sondern die Frage, wie viel Liquidität im Markt ist. Das wiederum hängt von der Geldpolitik ab . Die Geschichte hat gezeigt, dass Börsen oft einbrechen, wenn die Konjunktur stark ist, aber die Zinsen steigen. Andersherum steigen die Börsen, wenn die Konjunktur schwächelt, aber die Zinsen fallen.

In den USA wird es wohl keine weitere Zinserhöhung geben, auch in der Eurozone ist die Zinswende erst einmal abgesagt. Geht der Aktienboom also weiter?

Wir haben seit 2008 ein Umfeld niedriger Zinsen, weshalb die Aktienkurse fast ununterbrochen steigen. Das wird so bleiben, solange Zinsen und Inflation niedrig sind. Dann ist jede Aktienrendite attraktiv – egal ob es dabei um ein oder drei Prozent geht. Das ändert sich erst, wenn es wie Ende 2018 doch Sorgen gibt, dass die Zinsen steigen könnten. Aber das ist im Moment nicht absehbar.

30 Jahre niedrige Zinsen?

Werden sich die Notenbanken je aus den Niedrigzinsen befreien?

Warum soll die Phase niedriger Inflation und Zinsen nicht noch 30 Jahre andauern? Wir glauben immer, alles müsse wieder so werden wie in den 1960er- oder 1970er-Jahren, als die Zinsen hoch waren – als wäre das der Naturzustand. Aber warum soll es nicht so weitergehen wie in den vergangenen zehn Jahren: sehr niedrige Zinsen, schwaches Wirtschaftswachstum, hohe Schulden – und alles ist gut.

Wieso glauben Sie, dass die Situation noch lange andauern könnte?

Der Grund sind die Rohstoffe, bei denen es seit der Finanzkrise keine Phase mit längerfristig hohen Preisen gab. Früher gab es solche Situationen immer mal, wodurch die Inflations- und Zinserwartungen stiegen – und die Aktienkurse fielen. Die Angst vor einem Wirtschaftseinbruch führte dann dazu, dass die Rohstoffpreise wieder sanken. Dadurch hatten die Bürger mehr Geld zum Ausgeben, und die Wirtschaft sprang wieder an. Diesen Zyklus gab es zuletzt nicht mehr: Die Auf und Abs der Wirtschaft haben sich abgeschwächt, Inflation und Zinsen bleiben niedrig.

Die globalisierte Weltwirtschaft befindet sich jetzt also in einer Art stabilem Gleichgewicht?

Ja. Gleichzeitig hat die Globalisierung dafür gesorgt, dass Arbeitnehmer weniger Macht haben, höhere Löhne durchzusetzen, weil Unternehmen ihre Fabriken ins Ausland verlagern können. Auch das dämpft Preissteigerungen. Zudem haben es die Notenbanken geschafft, die Inflation zu kontrollieren, weil sie unabhängiger von der Politik sind als früher. In den 1970er-Jahren mussten die Menschen davon ausgehen, dass die Inflation nächstes Jahr höher ist. Heute gilt das nicht mehr.

„Es ist alles wunderbar in Japan“

Welche Folgen hat dieser Wandel?

Wenn ein Arbeitnehmer glaubt, dass die Inflation im nächsten Jahr auch nur ein Prozent betragen wird, wird er sich mit geringeren Lohnzuwächsen zufriedengeben. Das verstärkt wiederum, dass die Inflation niedrig bleibt. Und die Menschen erinnern sich meist nur daran, wie stark oder schwach die Preise in den vergangenen Jahren gestiegen sind, übertragen diesen Wert auf das aktuelle Jahr und passen ihre Erwartungen an. Deshalb ist es so schwer, den Kreislauf aus niedriger Inflation und Zinsen zu durchbrechen.

Wie gefährlich ist das schwache Wachstum in dieser Lage?

Schauen Sie nach Japan: Es heißt immer, das Land hätte nach der Krise Ende der 1980er-Jahre zwei Dekaden verloren, weil die Schulden hoch sind und das Wachstum lange niedrig war. Ich bin oft in dem Land und kann sagen: Es ist alles wunderbar in Japan. Den Menschen geht es nicht schlecht, nur weil das Wachstum niedrig ist.

Eine zweite Folge niedriger Inflation und Mikrozinsen sind die hohen Schulden. Ein Problem?

Erst mal ist die niedrige Inflation gut für die Mehrheit, weil viele Bürger Geld vom Staat erhalten. Diese Leistungen werden in der Regel nicht erhöht, wenn die Inflation steigt. Wir wollen also eigentlich niedrige Inflation und die damit einhergehenden niedrigen Zinsen. Natürlich sind die Schulden auch ein wichtiges Thema. Aber die Lösung dafür ist eigentlich einfach.

Wir müssen die Gesetze und Steuern so anpassen, dass wir Menschen ermöglichen, so lange zu arbeiten, wie sie möchten, über 67 hinaus
Andreas Utermann

Jetzt sind wir gespannt.

Ein Großteil der Staatsschulden rührt aus den Sozialausgaben und der Frage, wie wir die Rente finanzieren. Die zugespitzte Antwort ist: Die Menschen werden arbeiten bis an ihr Lebensende. Das bedeutet nicht, dass sie weitermachen, bis sie vor Erschöpfung umkippen. Und es geht auch nicht darum, Leute mit Knochenjobs zu zwingen, bis 70 zu arbeiten.

Was schwebt Ihnen vor?

Wir müssen die Gesetze und Steuern so anpassen, dass wir Menschen ermöglichen, so lange zu arbeiten, wie sie möchten, über 67 hinaus. Die Leute sind doch auch viel gesünder als früher. Statistiken zeigen außerdem: Wer plötzlich ganz aufhört zu arbeiten, stirbt oft schneller als die, die noch weiter etwas machen.

Ihre Branche lebt von Menschen, die fürs Alter vorsorgen. Bei Anlegern sind Mischfonds beliebt, 2018 floss keiner anderen Fondsart so viel Geld zu. Welche Zukunft haben die Produkte, wenn die Zinsen niedrig bleiben?

Das hängt davon ab, wie die Produkte aufgebaut sind. Typischerweise kombinieren sie Aktien und Anleihen. Wenn in einem Fonds 90 Prozent Anleihen und zehn Prozent Aktien stecken, wird es schwierig, eine anständige Rendite zu erzielen. Mit 30 Prozent Aktien hat eines unserer Produkte aber über 25 Jahre im Schnitt mehr als sechs Prozent Rendite pro Jahr geschafft. Außerdem gibt es sehr flexible Mischfonds mit einem oft noch höheren, aber variierenden Anteil riskanterer Papiere.

Selbst bei einer geringeren Anleihegewichtung bleibt die Frage: Wie wollen Sie mit diesen Papieren im Fonds Geld verdienen?

Mit Anleihen können Sie auch bei niedrigen Zinsen Geld verdienen, wenn der Kurs der Papiere steigt. Gerade höher verzinste Anleihen könnten Kursgewinne verzeichnen, wenn die Zinsen niedrig bleiben, weil sie dann attraktiver werden. Sie machen da einen Denkfehler, was die Vorteile von Mischfonds betrifft.

Aktive Manager halten die Anleger bei der Stange

Klären Sie uns auf.

Jeder Anleger überlegt ohnehin, wie er sein Vermögen aufteilt – wie viel Geld in riskantere Anlagen wie Aktien fließt und wie viel in risikolosere wie Sparkonten und Anleihen. Der Vorteil eines Mischfonds ist, dass man sich diese Gedanken nicht machen muss, weil man das an den Fondsmanager auslagert. Bedeutet: Sie können einen größeren Teil ihres Vermögens in den Fonds investieren, als wenn Sie sich selbst um alles kümmern müssten. In einem Crash wie Ende 2018 verkaufen doch viele Privatanleger in Panik Aktien. Bei einem Mischfonds vermeiden Sie derartige Reflexe. Dafür gibt es ja den Manager.

Auch Manager haben 2018 in Panik verkauft. Warum soll ein Fonds also besser sein?

Um beim Mischfonds zu bleiben: Anleger sollten einen Fonds suchen, der trotz eines Einbruchs an den Aktienmärkten investiert bleibt. Solche Produkte gibt es. Dann machen Sie den Kursanstieg mit, der auf einen Einbruch folgt. Privatanleger steigen typischerweise im Crash wie Ende 2018 aus und investieren jetzt wieder. Wenn ein ETF-Sparer aber erst wieder einsteigt, nachdem die Kurse 30 Prozent gestiegen sind, kann er das nicht wieder reinholen. Bei einem passiven ETF müssen Sie schließlich selbst entscheiden, wann Sie investieren.

Sie sprechen von Fonds, die einen Index wie den Dax nachbilden und sehr günstig sind.

Ja. Zudem liegt der Wert unserer Arbeit als aktive Manager auch darin, dass unsere Berater die Kunden darin bestärken, trotz eines Einbruchs investiert zu bleiben. Wir halten die Leute bei der Stange.

Es gibt Gesellschaften wie die deutsche, denen es wichtig ist, Risiken zu minimieren. Das kriegen Sie nicht raus
Andreas Utermann

Diese Unterstützung lassen sich aktive Fondsfirmen sehr gut bezahlen. Ein Dax-ETF kostet pro Jahr nicht mehr als 0,2 Prozent Gebühren, bei aktiven Aktienfonds liegen sie dagegen oft bei weit mehr als einem Prozent.

Erstens gilt das nicht für uns. Bei einigen unserer Produkte nähern sich die Kosten denen passiver Fonds an. Stattdessen erheben wir Erfolgsgebühren, wenn wir über einen Zeitraum besser abschneiden als der Vergleichsindex. Das haben wir extra eingeführt, um Argumente wie Ihres zu entkräften. Fairer geht es nicht. Zweitens braucht man als Berater Nerven und gute Argumente, dem Kunden in der Krise zu empfehlen nachzukaufen. Das macht aber oft Sinn. Sie könnten auch sagen: Jürgen Klopp verdient viel Geld dafür, dass er seine Mannschaft ein wenig in der Pause motiviert. Aber der Unterschied zwischen einem schlechten und einem guten Trainer ist gigantisch: Sieg oder Niederlage.

Die Zahl der Aktionäre in Deutschland steigt nicht, 2018 waren es so viele wie 2007. Was kann Ihre Branche besser machen?

Es liegt nicht an der Fondsindustrie. Mein Haus ist global mit den gleichen Ansätzen unterwegs. Es gibt einfach Gesellschaften wie die deutsche, denen es wichtig ist, Risiken zu minimieren. Das kriegen Sie nicht raus. Der Staat hat diese Eigenheit verstärkt, indem er etwa Lebensversicherungen steuerlich begünstigt hat. Das Problem ist, dass der Kauf von Aktien als Spekulation gilt. Man empfindet sich dann als Kapitalist, der das Geld für sich arbeiten lässt. Dass die Deutschen Immobilien bevorzugen, liegt auch daran, dass sie für ihre Rendite arbeiten müssen: Mieter finden, Verträge machen, Hausmeister spielen.

Den Deutschen wird gern vorgehalten, was sie bei der Geldanlage falsch machen. Gibt es auch was, das sie richtig machen?

Die Deutschen hatten instinktiv die richtige Strategie, als sie in der Vergangenheit hiesige Staatsanleihen gekauft haben und dabei eine Kaufen-und-halten-Mentalität hatten. Wenn sich das bloß auf Aktien übertragen ließe!

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