Frank Engels ist Leiter Portfoliomanagement beim genossenschaftlichen Vermögensverwalter Union Investment in Frankfurt. Im Gespräch mit Capital.de erläutert er auch, wo künftig Einstiegschancen liegen könnten
Welche Auswirkungen wird Corona voraussichtlich auf die Weltwirtschaft haben? Kommt es zu einer Rezession?
FRANK ENGELS: Wir erwarten eine scharfe, aber nur temporäre Wachstumsabschwächung im ersten Halbjahr 2020, aber keine länger anhaltende, weltweite Corona-Rezession. In der Vergangenheit haben Epidemien häufig zunächst zu einem harten, zeitlich begrenzten Einbruch geführt, gefolgt von einer zeitlich gestreckten Erholung. Bei Union Investment rechnen wir auch im aktuellen Fall mit einem solchen U-förmigen Verlauf. Ganz wichtig dabei: Länge und Tiefe der Wachstumsabschwächung sind von der Virusausbreitung und der Art der staatlichen Gegenmaßnahmen abhängig. Beides ist nur schwer zu prognostizieren, allerdings beurteilen wir den frühzeitigen Austausch der G7 zu potenziell koordinierten Gegenmaßnahmen und auch die rasche Zinssenkung der US-Notenbank Federal Reserve als positiv. Es sollte zumindest temporär zu einer Beruhigung am Kapitalmarkt beitragen.
Was bedeutet das für die Kapitalmärkte und damit die Anleger?
Kurzfristig bleibt das Bild unklar. Zwar haben viele systematische Investoren ihre Positionen mittlerweile bereinigt. Diese Akteure handeln regelbasiert und wurden aufgrund ihrer Vorgaben zum Verkauf von Risikoanlagen wie Aktien wegen des starken Anstiegs der Volatilität gezwungen. Damit hatte diese Anlegergruppe die Abwärtsbewegung verstärkt und zur Heftigkeit des Abverkaufs beigetragen. Unsere hausinternen Analysen zeigen, dass dieser Druck aktuell deutlich abnehmen sollte.
Dann geht es also wieder aufwärts?
Es bestehen durchaus Chancen auf eine Marktberuhigung, zumal da die wichtigen Notenbanken – allen voran die Federal Reserve mit ihrer vorausschauenden Zinssenkung – unterstützend agieren bzw. verbal unterstützen. Sicher ist es aber nicht, dass diese Beruhigung nachhaltig wirkt, da die Ausbreitung des Virus außerhalb Chinas noch am Anfang steht und sinkende Leitzinsen nur die Symptome, aber nicht die Ursache der Verunsicherung an den Kapitalmärkten bekämpfen können. Auf kurze Sicht muss deshalb weiter mit Turbulenzen an den Finanzmärkten gerechnet werden.
Das ist die kurzfristige Sicht. Verliert das Virus, wie andere Epidemien auch, auf längere Sicht seinen Schrecken?
Die aktuellen Verwerfungen sollten nicht den Blick auf das mittel- bis langfristige Bild verstellen. Denn: Das Coronavirus traf die Weltwirtschaft zu einem Zeitpunkt, wo das konjunkturelle Momentum wieder an Fahrt gewann. Mit dem Phase-1-Deal zwischen China und den USA hat sich das handelspolitische Umfeld deutlich entspannt. Hiervon ist eine Wachstumsbelebung zu erwarten. Eng damit verknüpft ist die zuletzt in Ansätzen sichtbare Erholung des schon länger schwächelnden weltweiten Industriesektors. Dieses konstruktive Fundamentalbild sollte wieder die Oberhand gewinnen, sobald die Corona-Epidemie abflaut. Zudem dürften dann auch die bereits ergriffenen wirtschaftspolitischen Gegenmaßnahmen in den stark betroffenen Ländern zunehmend unterstützend wirken. Mit Blick auf sechs bis zwölf Monate sind die Perspektiven für Anleger daher weiter aussichtsreich.
Wie haben Sie in Ihren Portfolien darauf reagiert, dass das Coronavirus nach Europa kam und die Kapitalmärkte ins Schlingern gerieten.
Wir haben die Risiken in der Breite reduziert, ohne aber in Alarmismus zu verfallen. Ein Beispiel ist die Verringerung der Aktienquote im Musterportfolio unseres Union Investment Committees (UIC), übrigens bei gleichzeitiger Beibehaltung einer insgesamt neutralen Risikoausrichtung.
Bei welchen Ereignissen würden sie in ihrem Musterportfolio umschichten bzw. weitere Maßnahmen ergreifen?
Entscheidend ist das Zusammenspiel aus Virusverlauf und staatlichen Gegenmaßnahmen. In der aktuellen Lage lassen sich beide Faktoren nur sehr schwer antizipieren. Sollte sich aber auf einem der beiden Felder mehr Klarheit über den weiteren Pfad herauskristallisieren, wäre das für uns ein Signal zum Handeln. Auf die Nachrichten der letzten Tage beispielsweise, dass die G7 Länder sich zu Gegenmaßnahmen austauschen und die Federal Reserve zu einer raschen ersten Zinssenkung bereit war, hat der Markt bereits kurzfristig positiv reagiert. Wir reflektieren das in unseren Portfolios, indem wir unsere Risikobudgets taktisch rasch anpassen.
Wie reagieren die unterschiedlichen Anlageklassen auf die Corona-Lage?
Die beschleunigte Ausbreitung des Coronavirus auf die Industrieländer sowie die Reaktion der Medien und der Politik darauf hat die Aktienmärkte auf Talfahrt geschickt und die Volatilität sprunghaft ansteigen lassen. An den Rentenmärkten waren die üblichen Muster beim Umschalten der Investoren in den Risk-Off-Modus zu beobachten. Die sicheren Häfen wie Bundesanleihen und US-Staatsanleihen waren gesucht, und die Renditen fielen. Anleihen mit Risikoaufschlag - vor allem im Hochzinssegment – standen hingegen zuletzt unter Abgabedruck.
Was ist mit Gold und Öl?
An den Rohstoffmärkten war Gold zunächst als sicherer Hafen gesucht . Dieser Aufwärtstrend ist aber mittlerweile unterbrochen, trotz der Gerüchte um eine baldige Lockerung der Geldpolitik. Die Ölpreise knickten aus Sorge um die Weltkonjunktur stark ein.
Welche Branchen leiden besonders unter dem Virus, welche weniger?
Besonders betroffen ist alles, was mit Tourismus zusammenhängt – Hotels, Airlines; Messe- und Eventveranstalter und Unterhaltungsindustrie sind die prominentesten Vertreter. Aber wir werden die Folgen auch an ganz anderen Stellen spüren, da das Virus in China viele Vorleistungsketten sprengt. Die reine Branchensicht hilft daher bei der Titelauswahl derzeit nur bedingt weiter, sondern die Einzelfallbetrachtung ist entscheidend. Und: Das Geschäftsmodell stark arbeitsteiliger Wertschöpfung wird in der verarbeitenden Industrie nach diesem Virus-Schock sicherlich auch strukturell auf den Prüfstand gestellt werden .
Wir sehen viele Verlierer am Aktienmarkt. Gibt es auch Branchen, die vor einem Comeback stehen könnten?
Das hängt erheblich vom Verlauf des Virus ab. Sollte die von uns erwartete Abfolge eintreten, dann finden sich möglicherweise in den stark abgestraften Bereichen wie den zyklischen, also konjunktursensiblen Sektoren Kaufgelegenheiten. Wir sehen dabei vor allem Chancen in wachstumsstarken Branchen wie im Software- und IT-Sektor sowie Qualitätsunternehmen, beispielsweise aus dem Medizintechniksektor. Prinzipiell ist es in diesen Marktphasen großer Verunsicherung wichtig, sich auf Unternehmen zu konzentrieren, deren Cashflow und Gewinnmarge relativ stabil sind.
Was können Anleger aus dem Corona induzierten Absturz der Aktienmärkte für die Zukunft lernen für die Gestaltung ihres Portfolios?
An den Kapitalmärkten geht es nicht immer aufwärts. Nach langen Jahren einer sehr freundlichen Börsenentwicklung scheint diese einfache Erkenntnis oftmals in Vergessenheit zu geraten. Rückschläge gehören aber an den Finanzmärkten leider dazu. Das gilt umso mehr, als unsere Welt globalisierter, vernetzter und letztlich auch fragiler geworden ist. Die Portfoliokonstruktion sollte die Möglichkeit eines Abverkaufs daher immer berücksichtigen. Wichtig ist eine diversifizierte Ausrichtung, die mehr umfasst als „nur“ schiere Streuung sondern auch die gezielte Beimischung von „sicheren Häfen“ wie Gold, Schweizer Franken oder US-Staatsanleihen. Und schließlich gilt es, wachsam zu sein. Denn: In der Krise entstehen für aufmerksame Anleger immer auch attraktive Einstiegschancen.
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