Laut der Bank-Chefin war es eine rein geschäftliche Abwägung: Nachdem der Bankkunde eine Hypothek zurückgezahlt hatte, unterschritt sein Geschäftsvolumen den notwendigen Mindestwert bei Coutts, der auf Unternehmens- und vermögende Privatkunden ausgerichteten Tochter des britischen Bankkonzerns NatWest. Folgerichtig teilte die Bank ihrem Kunden mit, sein bisheriges Konto werde geschlossen. Er könne stattdessen die Dienste der Konzernmutter nutzen, wie mehrere Millionen andere Briten.
Der betroffene Kunde ist allerdings kein Brite wie Millionen andere auch, sondern der Rechtspopulist und ehemalige Chef der Brexit-Partei, Nigel Farage. Eine Woche, nachdem dieser den Fall öffentlich gemacht hatte, musste sich NatWest-Chefin Alison Rose nicht nur bei dem Politiker öffentlich entschuldigen, sondern ist inzwischen auch von ihrem Posten zurückgetreten. Die Bankenaufsicht, die Regierung und das Parlament debattieren aufgeregt über die Bedrohung durch „woke“ Banken.
Denn Farages Darstellung zufolge war er wegen seiner politischen Ansichten „debanked“ – also aus dem Bankensystem ausgeschlossen – worden. Damit, so wetterte er zunächst in einer Videobotschaft und anschließend in zahlreichen Interviews, sei nicht nur ihm persönlich sein „Grundrecht auf ein Bankkonto“ genommen und seine Zukunft sowie „sogar die Möglichkeit, weiter in diesem Land zu leben“ beeinträchtigt worden. Laut Farage zeige sein Fall vielmehr, dass „woke“ Banken die Meinungsfreiheit in Großbritannien bedrohten. Das Land drohe „zu enden wie China mit einem Sozialkredit-System“, wo gesellschaftliche Teilhabe davon abhängig sei, ob man erwünschte Ansichten vertrete. „Wenn sie mich canceln können, können sie Euch auch canceln“, warnte Farage seine Mitbürger.
Diese Warnung kommt bei einem breiten Publikum an. Konservative Politiker sprachen von einer „Schande“. Premierminister Rishi Sunak versprach im Parlament, er werde politische Diskriminierung durch Banken nicht hinnehmen und das Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigen. Kommentatoren in den Medien schimpften über „woke banking“. Die Bank selbst und Politiker aus dem linken und liberalen Spektrum wiesen dagegen darauf hin, dass Farage keineswegs „debanked“ worden sei und diese Gefahr auch anderen Briten nicht drohe. Der Politiker, der sich gern als Vertreter der Normalbürger gegenüber der Elite gebe, sei offenbar beleidigt, weil er mit den denselben Bankdienstleistungen vorliebnehmen solle, wie ebendiese Normalbürger.
Bankchefin begeht schweren Fehler
Doch so einfach, wie es die Bank zunächst darstellte, dass Farage quasi automatisch nach Rückzahlung seiner Hypothek zurückgestuft worden sei, liegt der Fall allerdings nicht. Interne Unterlagen, die die Bank Farage auf dessen Antrag hin aushändigte und dieser im Laufe der öffentlichen Debatte veröffentlichte, zeigen, dass die Risikomanager bei Coutts über Farage diskutierten. Dabei wurde unter anderem abgewogen, dass Farage mit seinen kontroversen Ansichten in einem Gegensatz zu „unserer Position als inklusiver Organisation“ stehe und die Geschäftsbeziehung zu ihm ein Reputationsrisiko darstelle. Auch wird Farage als „Rassist“ bezeichnet. Seine kontroversen Ansichten zum Thema Covid werden ebenso zitiert, wie sein Eintreten für den Tennisstar Novak Djokovic, der für einen Skandal gesorgt hatte und nicht nach Australien einreisen durfte, weil er sich nicht gegen Corona impfen lassen wollte.
Die entsprechenden Passagen aus Bank-Dokumenten sowie die Entschuldigung und den Rücktritt der NatWest-Chefin werteten Farage und sein Lager als Beweis für ihre Version des Vorgangs und für eine tatsächliche Bedrohung der Meinungsfreiheit in Großbritannien durch die „woke“ Finanzindustrie. Dabei wird allerdings übersehen, dass die Risikomanager der Bank sich Farage keineswegs willkürlich vornahmen. Sie waren sogar gesetzlich dazu verpflichtet, eventuelle Risiken durch Geschäfte mit ihm regelmäßig zu überprüfen. Mandatsträger wie Farage gelten als „politisch exponierte Personen“ (PEP), bei denen Banken besonders strenge Maßstäbe vor allem bei der Geldwäscheprävention anwenden müssen. Das verursacht im Vergleich zu anderen Kunden hohe Kosten. Farages Angaben zufolge lehnten mehrere Banken mit Hinweis auf seinen PEP-Status ab, ihn als Kunden aufzunehmen.
Auch NatWest-Chefin Rose trat nicht wegen der Kontokündigung zurück, sondern wegen eines schwerwiegenden Fehlers in der darauffolgenden öffentlichen Debatte. Um das Verhalten der Bank zu verteidigen, bestätigte sie der BBC gegenüber, dass Farages Geschäfte mit der Bank unter den bei Coutts geltenden Mindestwerten liege. So muss ein Kunde Darlehen oder Investitionen der Bank von mindestens 1 Mio. Pfund aufweisen oder 3 Mio. Pfund Einlagen auf seinem Konto haben. Aus diesen Angaben ergeben sich Informationen über Farages persönliche Finanzen, die Rose nicht hätte öffentlich machen dürfen.
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen