Piet Haines Christiansen hat es schon am Donnerstagmorgen geahnt: „Das heutige EZB-Treffen wird wahrscheinlich für jeden, der nach geldpolitischen Signalen sucht, langweilig sein“, erklärte der Makro-Stratege der Danske Bank. „Ich würde sogar sagen, dass es die uninteressanteste Sitzung der letzten zwei Jahre ist und wahrscheinlich auch die uninteressanteste in diesem Jahr.“
Ähnlich war die Stimmungslage bei Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Dieser ließ bereits verfrüht am Morgen von der Pressestelle seine Stellungnahme zur anstehenden Zinsentscheidung verbreiten – als die Notenbanker um EZB-Präsidentin Christine Lagarde im EZB-Turm im Frankfurter Osten noch über Zinsen diskutierten. „Leichte Zinssenkungen bleiben das wahrscheinlichste Szenario für dieses Jahr“, gab Kater zu Protokoll. „Allerdings werden die anstehenden Senkungen nicht so früh und nicht so stark ausfallen, wie es sich einige Marktteilnehmer wünschen.“
Das meiste schient also gesagt, noch bevor Lagarde überhaupt etwas auf der Pressekonferenz am Mittag sagen konnte. Und die Experten sollten recht behalten: Schließlich fiel der Zinsentscheid der EZB tatsächlich wie von vielen erwartet aus: Alle drei Zinssätze blieben zum dritten Mal in Folge unverändert. Der Einlagensatz, zu dem Banken Geld über Nacht bei der Notenbank parken, steht weiterhin bei 4,0 Prozent, der Hauptrefinanzierungsatz – also der klassische Leitzins – bei 4,5 Prozent und die Spitzenrefinanzierungsfazilität, zu der Banken sich kurzfristig Geld leihen können, verbleibt bei 4,75 Prozent.
Lagarde: „So lange wie nötig“
Der Schlüsselsatz in Lagardes Erläuterungen lautete unverändert wie im Dezember: „Die künftigen Entscheidungen des EZB-Rats werden sicherstellen, dass die Leitzinsen so lange wie nötig auf einem ausreichend restriktiven Niveau gehalten werden.“ Ohnehin hatten die Investoren zuletzt von dieser Erwartung schon etwas Abstand nehmen müssen, seit Mitte Dezember waren die Zinserwartungen bereits wieder gestiegen.
Das ist durchaus ein Punktsieg von Lagarde gegen die Kapitalmärkte, denen es also nicht gelungen war über aggressiv gepreiste Zinssenkungsfantasien die EZB zur Ankündigung rascher Lockerungen zu bewegen. „In einigen Teilen der Wirtschaft verbessert sich die Konjunktur, und die Warenpreisinflation droht wieder anzusteigen“, heißt es bei HSBC Global Research. „Vor diesem Hintergrund sind Märkte weiter dazu übergegangen, kurzfristige Zinssenkungen auszupreisen.“
Lagarde und andere Notenbanker hatten zuletzt eher die Jahresmitte als Startzeitpunkt für Zinssenkungen avisiert. Folgen die Märkte nun dieser Erwartung, würde es im Zinspoker 1:0 für Lagarde stehen. „Die Zentralbank will sich von den gegenwärtigen Markterwartungen für zukünftige Zinsentscheidungen nicht treiben lassen“, erläutert Florian Heider, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE. „Sie steht aktiv auf der Bremse, da sie nach wie vor mit den Folgen ökonomischer Schocks zu kämpfen hat, die für Unsicherheit sorgen.“
Energiekosten und Frachtraten als Inflationstreiber
Doch wie lange ist nun „lange genug“ bei den Leitzinsen? Dieser Frage musste sich die EZB-Präsidentin während ihrer Pressekonferenz wiederholt stellen. Sie machte klar, dass im Notenbankrat „rund um den Tisch“ ein Konsens bestanden habe, „dass es verfrüht ist über Zinssenkungen zu diskutieren“. Lagarde zufolge werde die Entscheidung anhand von Daten getroffen, nicht anhand eines Datums.
Zuvor hatte sie ein Bild gezeichnet, wonach die Wirtschaft der Eurozone kurzfristig zur Schwäche neige, im weiteren Jahresverlauf aber wieder Schwung aufnehmen könne. Zugleich erwarte die Notenbank einen weiteren Rückgang der Inflationsrate, der sich sogar beschleunigen könnte, wenn die Energiepreise nicht wieder ansteigen und das Lohnwachstum sich weiter abschwächt. Hier liegt nach EZB-Einschätzung auch das größte Risiko für die Inflation: Steigende Energiekosten und Frachtraten wegen des Konflikts im Roten Meer sowie ausbleibende Rückgänge beim Lohnanstieg und den Gewinnmargen der Unternehmen.
„Auch wenn die Konjunktur im Euro-Raum schwach ist und möglicherweise noch weiter nachlässt, wird die EZB mit einer ersten Zinssenkung mindestens bis zum Sommer warten“, erklärte Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank. „Das oberste Mandat der Währungsbehörde ist die Preisstabilität und davon lässt sie sich auch nicht abbringen.“
Ganz vom Tisch seien Zinssenkungen im Frühjahr allerdings nicht, betonte Frederic Ducrozet, Leiter des Makro-Research bei Pictet Wealth Management: „Lagarde sagte nur, dass es verfrüht sei, über Kürzungen zu sprechen, sie wandte sich nicht ausdrücklich gegen einen früheren Schritt.“
Die Märkte einigten sich nach Abschluss der Pressekonferenz laut Bloomberg auf die Erwartungshaltung, dass die EZB bis Juni ihre Zinsen um 50 Basispunkte senkt, das sind 25 Basispunkte weniger als noch vor Weihnachten eingepreist waren. Ganz so langweilig wie von einigen Analysten im Vorfeld befürchtet ist der Poker um die Zinsen also doch nicht.