Die Zinsen für dreimonatige US-Staatsanleihen stehen bei etwa 3,3 Prozent, der höchste Stand seit 2008. Sechsmonatige Staatsanleihen werfen sogar 3,9 Prozent ab und übertreffen bereits jetzt die Rendite von Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit. „Das sieht im Moment fantastisch aus“, findet Jason Bloom von Invesco, „Garantiert drei Prozent oder mehr auf Staatsanleihen? Sie haben kein Laufzeitrisiko, Sie haben kein Kreditrisiko – Sie haben überhaupt kein Risiko.“
Der Kampf gegen die Inflation der Fed hat riskante Papier genauso wie sichere Anlagen in Bedrängnis gebracht. Die Zentralbank hat am 21. September zum dritten Mal in Folge die Leitzinsen um 75 Basispunkte erhöht und die Prognosen für künftige Erhöhungen angehoben. Obwohl das die Renditen für festverzinsliche Wertpapiere mit langen Laufzeiten in den Keller gedrückt hat, ist es nun eine vernünftige Strategie, die Anleihen möglichst lange zu halten und die Zinsen zu kassieren. In der Branche nennt man das „Coupon Clipping“.
Geldmarkt-ETFs werden geflutet
Diese Logik hat in diesem Jahr dazu geführt, dass ETFs, die Anleihen mit einer Laufzeit von einem Jahr oder weniger halten, regelrecht geflutet werden – 32 Mrd. Dollar flossen dieses Jahr bislang, kaum weniger als die 32 Mrd. im Jahr 2018, als die Fed das letzte Mal die Zügel anzog. Aktuell befinden sich rund 4,6 Billionen Dollar in US-Geldmarktfonds, nur 2020 war es mit 4,8 Billionen mehr.
Die Umschichtung in Richtung Cash geht auf die Kosten von Aktien. Der S&P 500 ist unter der Last der Inflation und der Gegenmaßnahmen seit seinem Hoch im Januar um etwa 23 Prozent eingebrochen. Die drastischen Zinserhöhungen haben die Buy-the-dip-Mentalität der Pandemie-Ära nahezu erstickt. Die Zinserhöhungen dämpfen die Spekulationslust und steigern die Renditen des guten alten Dollarscheins. „Die Leute gehen einfach in Cash“, bemerkt Chris Gaffney von der TIAA-Bank. „Wenn Sie mit einer Rendite von vier Prozent zufrieden sind, was angesichts der aktuellen Unsicherheiten nicht so schlecht ist, können Sie Ihr Vermögen parken“.
Die ungewöhnliche Marktdynamik wird wohl anhalten. Neue Prognosen von der Fed-Sitzung im September zeigen, dass die Zinssätze bis zum Jahresende wahrscheinlich 4,4 Prozent erreichen und dann bis 2023 auf 4,6 Prozent ansteigen werden. Dort könnten sie für einige Zeit verharren, schätzt die Präsidentin der Federal Reserve Bank of Cleveland, Loretta Mester, im September.
Die steigende Zinssätze machen sich auf den Giro- und Sparkonten bemerkbar, wenn auch nur allmählich. Denn die Banken geben höhere Zinssätze nur langsam weiter – im Unterschied zu Geldmarkt-ETFs. Dan Suzuki von Richard Bernstein Advisors sagt: „Ein wichtiger Aspekt der Geldmarktattraktivität ist, dass man kurzfristig von höheren Leitzinsen profitiert. Je liquider Sie sind, desto vorteilhafter ist dies in einem Umfeld steigender Zinsen.“
Reale Renditen bleiben negativ
Selbst bei einer Rendite von rund vier Prozent für zwölfmonatige Staatsanleihen ist das immer noch nicht genug, um mit der Inflation von über acht Prozent pro Jahr Schritt zu halten. Real sind die Renditen für Cash-Äquivalente immer noch negativ, betont Suzuki. „Langfristig profitiert man aber vom geringeren Rückgang“, findet er. „Man kann sich also über negative reale Renditen beschweren, aber schauen Sie sich die meisten Anlageformen heute an: Sie haben massive Verluste, sowohl real wie nominal.“
Fast 20 Prozent von Bernsteins Flaggschifffonds, der Ende August über ein Vermögen von 7 Mrd. Dollar verfügte, besteht derzeit aus Cash und ähnlichen Anlagen. Das ist der höchste Stand in der Geschichte des Unternehmens. Bis vor einem Jahr lag der Durchschnitt bei unter fünf Prozent.
Doch das Halten von Cash ist mit Opportunitätskosten verbunden, sollte sich die Stimmung abrupt ändern. Das war bereits am 28. September der Fall, als die Zusage der Bank of England, britische Staatsanleihen zu kaufen, eine Rallye an den angeschlagenen US-Aktien- und Anleihemärkten auslöste. Für mutige Anleiheinvestoren lockt außerdem ein Anstieg der Renditen über die gesamte Yield Curve.
Diese Anziehungskraft wird noch stärker werden, sollte sich die Inflation abkühlen und sich die Fed dem Ende ihrer derzeitigen Geldpolitik nähern. „Irgendwann wird man wieder die Strategie wechseln müssen, um sich langfristige Renditen zu sichern“, sagt Kathy Jones von Charles Schwab. „Die Leute werden irgendwann wieder aussteigen müssen. Ich glaube nicht, dass sie das tun werden, solange sie nicht ausreichend davon überzeugt sind, dass die Fed ihre Arbeit gemacht hat.“
Mitarbeit: Vildana Hajric and Isabelle Lee
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