Wer sich in Europas Finanzindustrie umhört, dem begegnen aktuell vor allem drei Themen, die die Szene umtreiben: Über allem steht dabei das Comeback Europas – bedingt durch die Politik von US-Präsident Donald Trump, aber auch, weil Europa selbst aktiv wird und kräftig investieren will. Das wiederum beschleunigt auch zwei andere Themen: die Konsolidierung der Finanzbranche, und die Frage, wie das benötigte Geld überhaupt aufgetrieben werden kann.
Vor allem über die zweite Frage wird dabei mittlerweile auf höchster politischer Ebene diskutiert. Bundeskanzler Friedrich Merz ist dabei ganz auf Linie der Finanzindustrie, wenn er erklärt, die Privatwirtschaft an der Finanzierung der geplanten Schuldenpakete beteiligen zu wollen. Das Stichwort hierfür lautet: Private Credit.
Finanzierung ohne Banken
Private Credit ist für viele Experten schon jetzt das Finanzthema 2025. Kaum ein anderes Geschäftsfeld verspricht vergleichbare Wachstumsraten wie private Finanzierungsformen ohne zwischengeschaltete Banken, was Private Credit im Wesentlichen beschreibt. Dabei leihen institutionelle und private Investoren Firmen Geld, ohne eine Bank einzuschalten. Es handelt sich also um Fremdkapital, das entsprechend auf der Passivseite der Bilanz verbucht wird. Das zentrale Versprechen lautet hier Flexibilität. Auf Seiten der Gläubiger ist zumeist der Zins flexibel, auf Seiten der Schuldner zumeist die Rückzahlungsbedingungen. Für diese Flexibilität zahlen die Schuldner in der Regel einen kleinen Aufpreis im Vergleich zum Bankkredit.
Dass das Interesse groß ist, zeigen die Wachstumsraten. Im vergangenen Jahr ist Private Credit etwa dreimal so stark gewachsen wie der gesamte Kreditmarkt (inklusive Banken). Allein in Europa wurden so etwa 400 Mrd. Euro vergeben. Die Analysten von Alliance Bernstein gehen davon aus, dass sich dieses Volumen bis 2030 verdoppeln dürfte.
Banken ziehen sich aus Finanzierung zurück
Für das Wachstum sprechen verschiedene Gründe. Neben dem schieren Investitionsvolumen in Europa bei den Themen Aufrüstung und Infrastruktur, sowie vereinfachtem Zugang zu Private Credit durch sogenannte Eltif-Fonds, gibt es auch regulatorische Gründe, warum sich zum Beispiel Banken immer stärker aus der Finanzierung zurückziehen. Insbesondere durch die europäischen Regulierungsreformen Basel III und (bald) Basel IV sind die Banken bei der Vergabe von Unternehmenskrediten deutlich vorsichtiger und restriktiver geworden. Das liegt zum Beispiel daran, dass höhere Eigenkapitalanforderungen an Banken bei Unternehmenskrediten gestellt werden. Sie können also ihre Kundeneinlagen nicht mehr so stark zur Kreditvergabe nutzen wie früher – wodurch das Geschäft unattraktiver geworden ist.
In diese Lücke drängen derzeit immer mehr private und institutionelle Investoren – zu denen zum Beispiel Versicherungen, Pensionsfonds und Family Offices zählen. Europa folgt mit diesem Trend allerdings nur tendenziell den USA, wo Private Credit bereits eine deutlich wichtigere Rolle einnimmt. Nach Berechnungen des Datenanbieters Preqin liegt die Private-Credit-Quote dort etwa bei 4,5 Prozent am gesamten Kreditvolumen. In Europa liegt sie inklusive Großbritannien gerade einmal bei 2 Prozent. Banken finanzieren hier immer noch rund 75 Prozent aller Kredite, während es in den USA (je nach Unternehmensgröße) teilweise nur etwa 25 Prozent sind. In absoluten Zahlen ist die Differenz noch beeindruckender. So fließen jährlich rund 1,6 Billionen Dollar in den USA in Private Credit, während es in Europa gerade einmal umgerechnet 430 Mrd. Dollar sind.
Dass Europa in kürzester Zeit zu den USA aufholt, glaubt unter Finanzexperten zwar niemand – aber eine gewisse Annäherung sei durchaus realistisch. „Bei Krediten über 100 Mio. Euro werden wir definitiv mehr grenzüberschreitende Deals in Europa sehen“, erwartet Goldman Sachs-Kreditstratege Rahul Mistry. „Alles darunter wird wohl vorerst noch lokaler bleiben und häufiger durch Banken abgewickelt werden“, ergänzt Mistry. Doch gerade weil auch die Deals über 100 Mio. Euro zunehmen, wächst der gesamte Markt für Private Credit.
EZB warnt vor Überhitzung
Robert Scheer von M&G Investments kümmert sich aus Frankfurt und London um genau diese Unternehmen – er betreibt klassische Mittelstandsfinanzierung, nur eben für einen institutionellen Investor. Für ihn spricht viel für eine Mischform in der Zukunft. Statt einer „One-Stop-Lösung“, wie Scheer sagt, könnten sich Unternehmen nun mehrere Geldgeber suchen, darunter auch institutionelle. Das habe für beide Seiten Vorteile in puncto Diversifikation und Flexibilität.
Dass der Private-Credit-Markt angesichts der jüngsten Wachstumsraten bereits überhitzt sein könnte, wovor einige Ökonomen und nicht zuletzt die Europäische Zentralbank in einem Blogpost jüngst warnten, glaubt bei M&G aktuell niemand so recht. Der gesamte Kreditmarkt wachse in etwa so schnell wie die Gesamtwirtschaft. Dass Private Credit von anderen Bereichen nur etwas abknapse – vor allem den Banken, die aber wiederum in die aufgelegten Private Market-Fonds investieren – sei insofern kein systemisches Problem, sondern Teil eines natürlichen Anpassungsprozesses, erklärte Emmanuel Deblanc, CIO für Private Markets.
Alles in allem stimme die Lage – gerade für Europa. „Wir haben eine Chance, die es nur alle zwei Generationen gibt“, sagt Deblanc. Also sollte man sie auch nutzen.