Capital: Mr. Sherman, die globalen Aktienmärkte sind kräftig ins Rutschen geraten – vor allem, weil die Angst vor weiter steigenden US-Zinsen umgeht. Zu Recht?

JEFF SHERMAN: Ja, die Wahrscheinlichkeit weiter steigender Zinsen ist hoch. Das betrifft vor allem längere Laufzeiten. Da ist ja bislang recht wenig passiert – etwa bei den 30-jährigen Anleihen – da ist die Rendite von rund drei auf nunmehr 3,4 Prozent gestiegen. Aber auch in anderen Laufzeiten dürfte es eher noch weiter aufwärts gehen mit den Renditen – und mit den Kursen entsprechend nach unten.
Wie können steigende Zinsen Investoren negativ überraschen? Aktuell läuft doch der vermutlich am besten und längsten vorbereitete Zinserhöhungszyklus aller Zeiten in den USA.
So? Das sehe ich anders. Viele Investoren haben der US-Notenbank einfach nicht geglaubt, dass sie die Zinsen tatsächlich so konsequent anheben wird. Übrigens mache ich die gleiche Erfahrung in dieser Woche in Europa: Ich habe noch nicht einen Investor getroffen in mehr als einem Dutzend Meetings, der ernsthaft mit bald steigenden Zinsen in der Eurozone rechnet. Das ist eine ganz gefährliche Bequemlichkeit, so ein Szenario einfach zu verdrängen auf „vielleicht in ein, zwei Jahren“. Ähnlich war es lange Zeit in den USA. Erst in den letzten neun bis zwölf Monaten haben sich da die Erwartungen zwischen Notenbank und Investoren angepasst, letztere haben gemerkt: Hoppla, die machen ja wirklich ernst! Es kommt noch ein weiterer Grund für steigende Zinsen hinzu, der so banal ist, dass ich Ihre Leser vermutlich unterfordern werde.
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Nur zu.
Ein stark steigendes Angebot und sinkende Nachfrage nach US-Anleihen. Wie schon bei möglichen Zinserhöhungen haben sich viele Anleger lange nicht damit beschäftigt, dass der Ausstieg der US-Notenbank aus ihren aufgekauften Anleihen irgendwann zu einem wichtigen Faktor werden wird. „Irgendwann“ ist genau jetzt eingetreten: 2017 hat die US-Notenbank ihr Anleihenportfolio um 30 Mrd. US-Dollar reduziert. In diesem Jahr werden es rund 380 Mrd. US-Dollar sein, 2019 dann 425 Mrd. US-Dollar. Und über allem steht noch, dass die US-Regierung unter Präsident Trump mit einem Fiskaldefizit von mehr als 1000 Mrd. US-Dollar pro Jahr kalkuliert, das auch finanziert werden muss. Das alleine reicht schon für weitere Zinsanstiege. Und da haben wir noch nicht darüber geredet, dass die Inflation anziehen könnte.
Wird sie das denn?
Meine ehrliche Antwort ist: Ich weiß es nicht, aber wir nähern uns der Entscheidung. Es gibt vier verschiedene Wege, die US-Inflation zu messen, und sie alle stehen bereits zwischen 2 und 2,7 Prozent. Dass sie nicht längst noch höher stehen, stellt viele vor Rätsel, denn die Daten vom Arbeitsmarkt suggerieren genau das: Die Zahl der Tage, bis Unternehmen Stellen besetzen können, befindet sich auf einem Rekordhoch. 55 Prozent der Unternehmen finden wenige oder keine qualifizierten Leute für ihre Stellen. Es gibt weniger Arbeitslose als neue Jobs - das sind teils nie dagewesene Knappheitswerte. Und alles Zutaten für noch kräftigere Lohnanstiege als die 3 bis 3,5 Prozent aktuell. Dass unser Präsident droht, einen Handelskrieg mit China vom Zaun zu brechen – also jenem Land, dessen Exporte zumindest über die Güterpreisinflation die Teuerung niedrig halten – rundet das ganze ab. Wenn unter diesen Umständen die Inflation nicht innerhalb der kommenden drei bis sechs Monate anzieht, dann vermutlich gar nicht mehr. Aber tut sie es, sollte man dafür gerüstet sein und reagieren.
Wie?
Noch defensiver bei Anleihen, als wir es jetzt schon sind. Vorsicht mit Anleihen niedriger Bonität walten lassen und bei Emittenten, die Schwierigkeiten mit den Zinszahlungen bekommen könnten. Auf Anleihen mit Besicherungen setzen wie Verbriefungen. Wir bevorzugen kurze Laufzeiten, zumal es aufgrund der flachen Zinskurve ohnehin kaum belohnt wird, zu Anleihen längeren Laufzeiten zu greifen, die im Falle steigender Zinsen unter die Räder kämen: Für zweijährige US-Anleihen gibt es 2,8 Prozent, für zehnjährige mit 3,2 Prozent Rendite nur wenig mehr.
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Lohnt es aus Sicht deutscher Anleger, da zuzugreifen? Immerhin gibt es für Bundesanleihen aktuell nur 0,5 Prozent für zehn Jahre.
Das kommt drauf an, ob sie das Währungsrisiko des US-Dollars tragen wollen. Denn Währungsveränderungen können die Zinserträge rasch ausradieren. Wenn sie aber währungsgesichert in US-Anleihen investieren, ist der Renditevorsprung schon bei kleinen Wechselkursverlusten womöglich futsch. So paradox es klingt: Weil die Absicherung von Währungsveränderungen einen Anleger der Eurozone aktuell rund 2,75 Prozent annualisiert kostet, sind zehnjährige Bundesanleihen aktuell trotz der Magerrendite von 0,55 Prozent rentabler als währungsgesicherte zehnjährige US-Anleihen mit 3,2 Prozent.
Das heißt aber doch umgekehrt, dass ein Anleger aus dem US-Dollar-Raum rund 6,25 Prozent Rendite mit italienischen Anleihen machen kann; 3,5 Prozent mit den Anleihen und 2,75 Prozent aus der Währungssicherung, für die er kassiert. Warum greifen Sie da nicht zu?
(lacht) Weil die 6,25 Prozent nicht das Risiko reflektieren, das man damit eingeht! Sowohl was die Rückzahlungsfähigkeit als auch die Laufzeit und das damit verbundene Kursrisiko angeht. In Europa hat der Zinserhöhungszyklus ja noch gar nicht begonnen. Leider. Ich halte das für einen Fehler. Mario Draghi sollte rasch die Zinsen erhöhen.
Wieso das?
Irgendwann muss man raus aus dem Krisenmodus und wieder die Marktkräfte walten lassen, denn die lassen sich nicht auf ewig unterdrücken. Zudem haben Sie dann auch wieder Pulver, um in einer möglichen Krise gegenzusteuern. In den USA hat die Notenbank eine klare Kommunikation. Draghi legt Wert darauf, unlesbar zu sein. Das ist nun lange gut gegangen und hat ihm einige Überraschungserfolge eingebracht. Aber irgendwann hat sich das auch einmal verbraucht und dann brauchen die Akteure eine klare Linie, um zu wissen, auf was sie sich einlassen mit dem Euro und Euro-Anleihen.
Würden rasche Zinsschritte nicht den Aufschwung in einer kritischen Phase der Weltwirtschaft gefährden?
Vielleicht. Aber wenn die EZB zu lange zögert, wird ihr das Heft womöglich aus der Hand genommen. Die Zinsdifferenz zwischen den USA und der Eurozone ist schon jetzt extrem. Steigen die US-Zinsen weiter, kommt irgendwann der Punkt, an dem es sich lohnt, Bundesanleihen zu verkaufen und währungsgesichert US-Anleihen zu kaufen. Dann beginnen die Renditen in der Eurozone von alleine zu klettern, und die EZB hat geringere Spielräume, ihr Portfolio an Anleihen abzubauen und klappert bei Zinsschritten dem Markt hinterher.