Seit ihrem Antritt Ende 2021 hat die Bundesregierung viele Erleichterungen für die Windenergie beschlossen, um die verschärften Ausbauziele zu erreichen – doch bisher tut sich in der Praxis zu wenig, auch auf Behördenseite. Die Dauer der Genehmigungsverfahren für Windanlagen an Land habe sich zuletzt sogar noch erhöht, sagte Bärbel Heidebroek, Präsidentin des Bundesverbands Windenergie (BWE) bei der Vorstellung der Bilanz für das erste Halbjahr 2023 am Dienstag. Die Verfahrensdauer betrug nach Heidebroeks Angaben im vergangenen Jahr im Schnitt 24,5 Monate – ein neuer Höchstwert nach einem kurzen Rückgang 2021. „Wir werden in der Realisierung langsamer“, stellte die BWE-Präsidentin fest. Von den ersten Gutachten für einen Windpark bis hin zur Inbetriebnahme der Anlagen müsse man immer noch mit sechs Jahren rechnen – wenn alles gut laufe.
„Die bürokratischen Hürden sind an manchen Stellen noch angestiegen“, sagte auch Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer des Verbands VDMA Power Systems, in dem unter anderem die Hersteller von Windkraftanlagen zusammengeschlossen sind. Die Dauer der Verfahren sei „nicht vereinbar“ mit den politisch definierten Ausbauzielen für die Windkraft. Statt der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als Messlatte formulierten vier bis fünf neu aufgestellten Windkraftanlagen pro Tag seien es derzeit rechnerisch nur 1,8 Anlagen.
Die „Diskrepanz“ zwischen dem aktuellen Ausbautempo und dem politischen Zielpfad der Bundesregierung, auf die die Windbranche hinweist, zeigt sich auch in der aktuellen Statistik. Laut den Zahlen der Deutschen WindGuard für die beiden Verbände sind im ersten Halbjahr 331 neue Windräder mit einer Gesamtleistung von 1.565 Megawatt neu ans Netz gegangen. Damit seien zur Jahresmitte 2023 zwar bereits 65 Prozent der 2022 installierten Leistung erreicht worden. Für das Gesamtjahr erwartet die Branche einen Zubau am oberen Ende der vom BWE prognostizierten Spanne von 2,7 bis 3,2 Gigawatt. Getragen wird der Zubau vor allem von den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. In NRW ist nach dem Antritt der schwarz-grünen Landesregierung Mitte 2022 ein klarer Aufwärtstrend erkennbar. Die Süd-Länder hinken dagegen weiter hinterher, in Sachsen reduzierte sich die Gesamtleistung durch den Abbau von Altanlagen sogar.
Ziel für 2024 wird verfehlt
Die im Vergleich zum Vorjahr insgesamt gestiegene Ausbaudynamik beim Wind genüge allerdings nicht, um die Ziele der Bundesregierung für 2030 erreichen zu können, hieß es von den Verbänden. So sei bereits heute schon klar, dass das gesetzliche Ziel von 69 Gigawatt Windleistung an Land für das Jahr 2024 nicht mehr erreicht werden könne. „Das Ziel wird verfehlt“, sagte Rendschmidt. Nach den Plänen der Ampel sollen bis 2030 Windräder an Land mit einer Gesamtleistung von 115 Gigawatt Strom produzieren, um einen Erneuerbaren-Anteil von 80 Prozent an der Stromerzeugung sicherzustellen. Dafür ist ab Mitte des Jahrzehnts allerdings ein jährlicher Zubau von zehn Gigawatt erforderlich.
In ihrem Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien eine massive Beschleunigung des Ausbaus von Wind- und Solaranlagen für den Klimaschutz beschlossen – ein Ziel, das durch den Ukrainekrieg und die Abnabelung von fossiler Energie aus Russland zusätzlich an Bedeutung gewonnen hat. Dazu legte Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) seitdem mehrere umfangreiche Gesetzespakete vor, die von der Branche durchaus gelobt werden. Diese sehen unter anderem einen gesetzlichen Vorrang für Erneuerbaren-Projekte vor, da für diese ein „überragendes öffentliches Interesse“ gelte. Auch bei möglichen Konflikten mit dem Natur- und Artenschutz, insbesondere mit Blick auf den Vogelschutz, gelten inzwischen neue Regeln. Das Ziel der Gesetzespakete: Die bislang oft ausufernden Genehmigungsverfahren für neue Windparks sollen gestrafft und die Möglichkeiten reduziert werden, Windprojekte mit Klagen zu blockieren.
In vielen Behörden auf Kreisebene, die konkret über die Genehmigungen für neue Anlagen entscheiden, habe sich jedoch im Alltag noch nicht viel geändert, klagen Branchenvertreter. Der politische Kurswechsel im Bund sei „unten an der Basis noch nicht angekommen“, sagte BWE-Präsidentin Heidbroek. Wie in der Vergangenheit stellten sich viele Genehmigungsbehörden immer noch zunächst die Frage, was gegen ein neues Windprojekt spreche. „Wir brauchen in den Behörden ein anderes Mindset“, sagte sie. Zudem hätten die Bundesländer immer noch zu wenige neue Flächen für Projekte ausgewiesen.
Auf ein praktisches Hemmnis für eine schnellere Umsetzung von bereits genehmigten Windprojekten verwies VDMA-Power-Systems-Geschäftsführer Rendschmidt. So würden Genehmigungsverfahren für den Transport der riesigen Rotorblätter in Deutschland im Durchschnitt zwölf Wochen dauern, sagte er. In den Niederlanden seien es nur vier bis fünf Tage. Hier müsse das Bundesverkehrsministerium Erleichterungen schaffen.
KfW: Weniger Förderanträge für Erneuerbare-Projekte
Auf eine mangelnde Dynamik beim Windausbau deuten auch Zahlen der staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), einem wichtigen Finanzierer von Erneuerbaren-Projekten. Die Förderbank beobachtet einen Einbruch bei den Förderanträgen für Investitionen im Inland. „Wir sehen, dass die Zusagen im KfW-Programm Erneuerbare Energien seit Jahresanfang im Vergleich zum Vorjahr rückläufig sind“, sagte ein KfW-Sprecher auf Anfrage von Capital. Firmen können bei der KfW Kredite beantragen, um Projekte mit Erneuerbaren Energien zu finanzieren, darunter Offshore-Windanlagen in Nord- und Ostsee.
Als Grund für den Rückgang nennt die staatliche Förderbank „verschiedene Hemmnisse“, die vor allem mit bestehenden Lieferengpässe bei den Anlagen zu tun hätten. Eine Rolle spielen demnach auch gestiegene Baukosten, Fachkräftemangel, das erhöhte Zinsniveau und die hohe Zinsdynamik. „Diese erschweren die Investitionstätigkeit im Bereich der Erneuerbaren Energien und schlagen sich auch auf die Nachfrage bei den Förderkrediten der KfW nieder.“
Für die kommenden Monate sieht die KfW jedoch eine positive Entwicklung im Markt. „Im Hinblick auf Genehmigungen, Zuschläge und Inbetriebnahmen von Wind- und PV-Anlagen gibt es eine positive Dynamik.“ Bei der Förderbank geht man davon aus, dass die Inflation und der hohe Zinsdruck langsam nachlassen, was die Zahl der Anträge auf Förderung wieder leicht zunehmen lasse. Im ersten Halbjahr 2022 wurden beim KfW-Programm Erneuerbare Energien Fördermittel in Höhe von 4,5 Mrd. Euro bewilligt. 2021 waren es 1,8 Mrd. Euro.