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Handelskrieg Wie Unternehmen dem Handelskrieg begegnen

Container im Hafen von Schanghai: In welche Richtung geht es mit der Weltwirtschaft?
Container im Hafen von Schanghai: In welche Richtung geht es mit der Weltwirtschaft?
© dpa
Rund um den Globus krempelt Donald Trumps Handelskrieg die Wirtschaft um. Die Folgen werden weit über die Amtszeit des US-Präsidenten hinausreichen. Capital hat Unternehmer auf drei Kontinenten nach ihren Prognosen befragt.

Daan Vriens sitzt am Hafen von Rotterdam und sieht zu, wie Donald Trump die globalen Warenströme umlenkt. Vriens’ Unternehmen, die BayWa Agri Supply & Trade, handelt mit importierten Landwirtschaftsgütern wie Mais, Reis und Soja, 25 Millionen Tonnen davon bewegen seine Händler im Jahr, angeliefert auf Frachtern aus aller Welt. Seit der US-Präsident Ernst macht mit seinen Zöllen und Handelsschranken, lassen Vriens und seine Kollegen Schiffe in andere Richtungen fahren, sie spinnen das Transportgeflecht neu, das sich über den ganzen Globus erstreckt und in dem so viele nicht mehr das Gewohnte tun: Farmer, Reeder, Lagerhalter.

Wie Vriens geht es derzeit vielen in der Welt­wirt­schaft. Die neue Ordnung ist gerade erst ein paar Monate alt und hat schon jetzt den globalen Handel tief verändert, nachhaltig. Einkäufer, Hersteller, Weiterverarbeiter auf allen Kontinenten spüren das. Als die Konzerne der Welt kürzlich ihre Quartalszahlen veröffentlichten, hatte sich die Krise in viele Bilanzen bereits tief eingegraben. US-­Konzerne wie der Baumaschinenhersteller Caterpillar und der Industriegüterlieferant 3M warnten vor negativen Folgen, der Fahrstuhlbauer Otis kündigte Preiserhöhungen an.

In Europa berichteten BMW und Jaguar Land Rover von Umsatzeinbrüchen, Probleme meldeten die Lampenfirma Osram, die Autozulieferer Continental und Elring Klinger, der Roboterbauer Kuka und die Kabelfirma Leoni. Die Auskunftei Creditreform konstatiert in einer Analyse der Bilanzsaison Alarmstimmung bei Maschinenbau und Mittelstand.

Wie wirken sie sich aus, die handelspolitischen Maßnahmen und Gegenmaßnahmen, die zwischen den USA und China und teils auch zwischen der EU und den USA greifen? Welche Folgen könnten sie langfristig haben – für Warenströme, Lieferketten und Geschäftsbeziehungen? Capital hat auf drei Kontinenten Antworten gesucht.

Daan Vriens, Rotterdam

Ein Laster entlädt Sojabohnen in Ohio. Wegen der chinesischen Gegenzölle müssen US-Produzenten neue Abnehmer für ihre Ernte finden
Ein Laster entlädt Sojabohnen in Ohio. Wegen der chinesischen Gegenzölle müssen US-Produzenten neue Abnehmer für ihre Ernte finden (Foto: Getty Images)
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Soja ist nicht irgendein Handelsgut: Kraftquelle der Tierzucht, bedeutendste Agrarexportware der USA – und volumenstärkste landwirtschaftliche Importware der Chinesen, die allein fast zwei Drittel des weltweit gehandelten Sojas einführen. Knapp 38 Millionen Tonnen bezog China 2017 aus den USA. Im Juli dieses Jahres aber belegte das Land US-Sojabohnen mit einem 25-prozentigen Sondereinfuhrzoll, als Reaktion auf Trumps Behinderungen für chinesische Güter. „Jetzt ist der Import von Sojabohnen aus den USA durch China vollständig zum Erliegen gekommen“, sagt Vriens. Stattdessen deckt sich China bei den anderen großen Produzenten ein: Brasilien und Argentinien. Die aber waren zuvor die Hauptlieferanten der EU: Knapp 27 Millionen Tonnen Soja kamen 2017 von dort nach Europa.

Als im Sommer bei den Zollgesprächen zwischen USA und EU Kommissionschef Jean-Claude Juncker in letzter Minute US-Importzölle für EU-Autos abwenden konnte, twitterte Trump nach dem Treffen eu­phorisch: „EU-Vertreter haben mir gesagt, dass sie unverzüglich damit beginnen, Sojabohnen von unseren großartigen Farmern zu kaufen.“ Juncker beschrieb die vermeintliche Zusage später als „Eingebung des Moments“ – weil er gar nichts zugesagt, sondern nur die Marktbewegungen antizipiert hatte: Kauft China in Südamerika, greifen Europäer notgedrungen zu US-Soja.

Das bringt Trumps Farmern Erleichterung, aber kaum Rettung: „Die Nachfrage aus Europa ist nicht so groß wie die aus China, daher erwarten wir, dass die Bestände in den USA massiv anwachsen“, erläutert Vriens. „Gleichzeitig leeren sich die Lager in Südamerika rapide.“ Damit sind die Preise für US-Ware im freien Fall. „Diese Entwicklung geht weiter, falls es bei den Zöllen bleibt“, prognostiziert der BayWa-Händler. „Für die US-Farmer dürfte das auf Dauer sehr schwierig werden.“

Das Auf und Ab der Preise sind die Händler gewohnt. Doch die Hek­tik, die Ausschläge nehmen zu. „Ein einzelner Tweet von Trump kann für die Märkte inzwischen genauso wichtig sein wie ein detaillierter Report über die Nachfrageentwicklung“, sagt Vriens. „Wenn Trump heute ,meine chinesischen Freunde‘ twittern würde, dann gäbe es sofort Preisausschläge.“

Bei Soja sieht es aus, als probe China langfristig die Abkehr von US-Lieferungen. „China importiert Sonnenblumenmehl aus der Ukraine und Rapsmehl aus Indien, um Sojaschrot zu ersetzen“, sagt ­Vriens. „China sucht derzeit also ­überall nach Alternativen zu den US-Sojalieferungen. Da finden die großen Verschiebungen statt.“

Nicolas Helms, Bremen

Was Trump auslöst, merkte Nicolas Helms an der Sache mit den Schuhen. Genauer: an den Besohlungsmaschinen für Schuhfabriken. Helms ist geschäftsführender Gesellschafter bei Melchers, einem Bremer Handelshaus, das seit 1866 Geschäfte in Asien macht und die dortigen Wirtschaftsentwicklungen aufnimmt wie ein sehr sensibler Seismograf.

Unter anderem vertreten die Bremer in Südostasien die Firma Desma, Weltmarktführer bei Direktbesohlungsmaschinen. „Die großen Marken wie Adidas, Nike, Puma und Under Armour stellen praktisch ihre ganze Weltproduktion in China her“, erklärt Helms. So war es jedenfalls bis zur Einführung der US-Handelsschranken. Seitdem hat sich der Markt für Desmas Besohlungsmaschinen massiv verschoben. „Ins­be­sondere unsere Ver­tretung in Ho Chi Minh City schwingt sich zu neuen Höhen auf“, sagt Geschäftsführer Helms. „Wir erleben einen riesigen Anstieg der Maschinenpopulation.“

Bestellungen werden von China nach Vietnam und Kambodscha umgelenkt. Dass die Schuhindus­trie weiterwandere, liege natürlich auch an höheren Löhnen in China, sagt Helms. „Aber jetzt wird das Volumen deutlich schneller hochgefahren, weil die Abhängigkeit von China gesenkt werden soll.“

Auf die Frage, ob es Trump also gelinge, China wehzutun, hat Helms zwei Antworten. „Kurzfristig ist das sicher so“, sagt er. Langfristig aber wäre die Produktion wohl ohnehin weitergezogen – und mit ihr die chinesischen Auftragsfertiger, die künftig in Kambodscha oder Pakistan für Nike und Adidas fertigen. „Trump hilft chinesischen Unternehmen derzeit bei der Internationalisierung“, sagt Helms. „Die Chinesen lassen die Karawane nicht einfach weiterziehen – die sind der Karawanenführer.“

Li Xiaomeng, China

Ein Experte in Qingdao präpariert Chemikalien. Chinesische Unternehmen nutzen die Krise, um bei Industriematerial autarker zu werden
Ein Experte in Qingdao präpariert Chemikalien. Chinesische Unternehmen nutzen die Krise, um bei Industriematerial autarker zu werden
© dpa

Ein paar Tausend Kilometer weiter östlich leiden Chinas Unternehmen nicht nur unter Trump – sondern auch unter der eigenen Regierung. Peking hat Gegenzölle auf US-Waren im Wert von insgesamt 110 Mrd. Dollar verhängt, und anders als in den USA kann Chinas Wirtschaft gegen diese Maßnahmen nicht offen protestieren. „Niemand will Ärger kriegen“, sagt Li Xiaomeng.

Das gilt auch für die 32-Jährige, die in Wirklichkeit an­ders heißt. Ein Interview gibt sie nur an­o­ny­m. Sie hat im Westen studiert und arbeitet an Chinas Ostküste für ein mittelständisches Chemieunternehmen. Die Chemikalien, die Li als Vertriebsleiterin verkauft, landen etwa in der Autoindustrie. „Unsere Kunden haben Panik“, sagt sie. „Die fragen uns: Wirst du meinen Preis erhöhen oder nicht?“ Noch störe diese Unsicherheit das Geschäft nicht. Aber: „Es geht ja gerade erst los.“

Lis Fir­ma bekommt ihre Rohstoffe – Silikon, Öl, Additive – vielfach aus den USA. Nun werden dafür zusätzliche 25 Prozent Zoll fällig. „Einen Teil unserer Importe be­zie­hen wir neuerdings aus Korea“, erklärt Li, „und wir schauen uns nach Möglichkeiten um, in Europa zu sourcen.“ Doch da seien die Fabriken oft schon ausgelastet.

Wenn also ohnehin Kapazitäten außerhalb der USA hermüssen – wieso nicht gleich im Inland? „Die Situation schafft einen Anreiz für China, Spitzenzulieferer in der Chemieindustrie aufzubauen“, sagt Li. „Da eröffnen sich Chancen.“

Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Handelsfeldzug des US-Präsidenten Folgen haben dürfte, die weit über seine Amtszeit hinausreichen – denn langfristig könnte er China dabei helfen, in Bereichen konkurrenzfähig zu werden, die bisher Domänen des Westens waren.

Philip Grothe, Willich

Philip Grothe, CEO des Aluplattenherstellers Alimex, Willich
Philip Grothe, CEO des Aluplattenherstellers Alimex, Willich
© Max Brunnert

Am Anfang zuckte auch Philip Grothe zusammen, als die Zölle kamen. Alimex, die Firma, deren CEO er ist, liefert Aludruckgussplatten für Spezialmaschinen. Immerhin rund zehn Prozent seiner Umsätze macht Grothe in den USA – dort ist Aluminium aus Europa seit Juni mit einem Einfuhrzoll von zehn Prozent belegt.

„Nachdem wir uns geschüttelt haben, sagten wir uns: Es ist zu managen“, erklärt Grothe. Und nicht nur das: „Wir sind sogar in der Lage, da­raus Gewinn zu ziehen.“

Sicher, die Ware ist für US-Kunden teurer geworden. Aber eine Alternative haben diese kaum. Einerseits, so Grothe, könnten US-Konkurrenten oft nicht die gleiche Qualität liefern – und wo sie es können, haben auch sie inzwischen die Prei­se erhöht. Da der Markt generell in Bewegung geraten war, konnten wiederum auch die Alimex-Verkäufer bei manchen Produkten mehr draufschlagen als nur den Zoll.

Grothe hätte abwarten kön­nen, aber er blieb nicht passiv: Nach Trumps Ankündigungen beschloss er, in den USA zu expandieren. „Wir wollen jetzt richtig inve­stie­ren und dort ei­ne gesamte Produktionsstraße aufbauen, um näher beim Kunden zu sein und der Zollthematik zu begegnen.“ Zwischen 4 und 4,5 Mio. Euro will Alimex investieren – für eine Firma mit 60 Mio. Euro Jahresumsatz nicht wenig.

Es werde Trump nicht gelingen, US-Unternehmen zu schützen, indem er Mauern um sie baue, glaubt Grothe. „Er motiviert im Gegenteil Technologiefirmen, in die USA zu gehen, und verschärft so den Wettbewerb für die eigenen Industrien.“

Sönke Winterhager, Freital

Sönke Winterhager hat die Ge­las­senheit dessen, der lange da ist. Den Stammbetrieb des Edelstahlherstellers BGH, bei dem er Aufsichtsratschef ist, gibt es seit 1466. Sie haben hier schon ganz andere Handelsverwerfungen erlebt.

Doch natürlich haben Trumps Stahlzölle BGH getroffen. In den USA, wohin rund zehn Prozent der Produktion gehen, müssen sie jetzt 25 Prozent auf die Preise aufschlagen. Um etwa ein Zehntel seien die Exporte inzwischen zurückgegangen, sagt Winterhager. Da­durch steige der Preisdruck auch in Eu­ropa. Zu­dem kommt Gegenwind von allen Seiten, nachdem der Welthandel schon aus den Fugen ist: Lieferanten aus China hätten den Preis für Grafit-Elektroden verdoppelt, ohne die kein Stahl geschmolzen werden kann. Ähnlich sieht es mit Material für feu­erfeste Behälter aus.

Winterhager reagiert mit zwei Strategien. Zum einen konzentriert sich BGH auf höherwertige Produkte, auch solche, die schon Bohrungen oder Anarbeitungen für Kunden haben – sie gelten dann als Vorprodukte, für die der Zoll entfällt. Manche US-Kunden lassen sich Ware auch in Lager au­ßerhalb des Landes liefern, um den Zoll zu um­­­gehen. Stahl aus Sachsen wird dann in Singapur weiterverarbeitet. Trump geht leer aus.

Winterhagers zweite Strategie: Flucht nach vorn. „Stillstand ist Rückschritt, das können wir uns nicht leisten“, sagt er. Rund 100 Mio. Euro will er in zwei bis drei Jahren investieren, ein gewaltiger Kraftakt. „Wir müssen letzten Endes den Hals über Wasser halten“, sagt der Aufsichtsratschef.

So wie Unternehmen ihre Geschäftsstrategien anpassen, korrigieren Staaten rund um den Globus derzeit ihre Wachstumsprognosen. In China dürfte die Wirtschaft 2019 um 0,6 Prozentpunkte weniger wachsen als erwartet, schätzt der Internationale Währungsfonds. In Deutschland werden die Wachstumspro­gnosen gerade im Wochentakt zurückgenommen, aktuell erwarten Ökonomen für dieses Jahr noch einen Zuwachs um 1,6 bis 1,8 Prozent, nächstes Jahr nur noch um 1,5 Prozent. Damit haben sich die Prognosen innerhalb eines halben Jahres fast halbiert. Nur die Konjunktur in den USA boomt – noch, weil Trump die Steuern gesenkt hat und Milliarden zusätzlich ausgibt. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der Handelskrieg auch dort in den Zahlen niederschlägt.

Pete Kappelman, Wisconsin

Pete Kappelman, Farmer am Lake Michigan, Wisconsin
Pete Kappelman, Farmer am Lake Michigan, Wisconsin
© PR

Pete Kappelman hat viel Geld verloren, nicht aber seinen Humor: „Kennen Sie den?“, fragt der Landwirt aus Wisconsin: „Wie macht man als Bauer ein kleines Vermögen? Man startet mit einem großen!“

Dank Trump ist Kappelman auf diesem Weg ein gutes Stück vorangekommen. 450 Holstein und Brown-Swiss stehen im Stall seiner Farm. Seit Mexiko und China als Vergeltung für Trumps Stahlzölle Abgaben von bis zu 25 Prozent auf Milchprodukte erheben, bringt die Milch seiner Kühe entsprechend weniger.

„Um profitabel zu arbeiten, brauchen die meisten Farmer einen Preis von 16 Dollar pro 44 Liter“, sagt Kappelman. „Inzwischen werden am Terminmarkt nur noch 15 Dollar gezahlt.“ Die USA sind der drittgrößte Exporteur von Milchprodukten, Mexiko ist der wichtigste Markt. Bis zu 1,5 Mrd. Dollar dürfte der Preisverfall die Branche 2018 kosten, schätzt Kappelman – und ihn persönlich 120.000 Dollar. „Wir Landwirte werden als Waffe missbraucht“, klagt er.

Die Subventionen, die der Kongress beschlossen hat, decken gerade zehn Prozent seines Verlustes. Manchmal hat er Angst, dass der Handelskrieg für ihn „zum letzten Sargnagel“ werden könnte. „In diesem Jahr haben in Wisconsin 600 Milchbauern dichtgemacht.“ Manche seiner Freunde haben begonnen, ihre Landmaschinen zu verkaufen.

Kappelman hat sich nicht nur den Humor bewahrt, sondern auch den Pioniergeist: „Vergeude nie eine gute Krise“, sagt er. Der Handelskrieg hat ihn innovativer gemacht: Auf der Farm hat er die Fütterung umgestellt, überflüssige Ausgaben gestrichen, vieles effizienter geregelt.

Bis in die letzten Verästelungen der Wirtschaft, bis zu einer Farm am Lake Michigan ist vorgedrungen, dass im Welthandel alles mit allem zusammenhängt. Dass eine Handelsschranke in der einen Ecke des Systems riesige Verwerfungen in einer anderen auslöst. Oder, wie es Kappelman ausdrückt: „Die Stahl­zölle müssen weg, damit wir unseren Käse wieder verkaufen können.“

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