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Am Dienstag entschied der Bundesgerichtshof (BGH) erneut über Prämiensparverträge, bei denen Sparerinnen und Sparer jahrelang zu geringe Zinszahlungen bekommen haben. Mit seinem Urteil hat das Gericht nun den Maßstab festgelegt, wie Banken und Sparkassen die Zinsen für solche Produkte neu berechnen müssen: Für jeden Monat der Vertragslaufzeit müssen die Institute prüfen, welche Zinsen sie gewährt haben und wie hoch die Zinsen laut Referenzzins eigentlich hätten ausfallen müssen. Die Differenz müssen sie nachzahlen – Kundinnen und Kunden können mitunter vierstellige Beträge erwarten.
Warum sind Prämiensparverträge umstritten?
In den 1990er- und 2000er-Jahren gehörten langlaufende Prämiensparverträge zu den beliebten Geldanlageprodukten. Sie wurden viel von Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken sowie privaten Banken verkauft. Sparerinnen und Sparer zahlten dabei einen festen Geldbetrag monatlich ein, und die Kreditinstitute belohnten das mit einer attraktiven Prämie, die meist nach Vertragslaufzeit gestaffelt war. Außerdem wurde das angesparte Vermögen verzinst – und hier lag in der Vergangenheit die Krux: Die Verträge enthielten undurchsichtige Klauseln, die es den Banken und Sparkassen erlaubte, den Zinssatz je nach Marktlage anzupassen. „Der jeweils gültige Zinssatz wird durch Aushang bekanntgegeben“, hieß es lediglich in den Bestimmungen.
Prämiensparverträge beschäftigen Gerichte deshalb schon seit Jahren. 2021 bestätigte der BGH frühere Urteile, die Klauseln zur freien Zinsanpassung für unzulässig und unwirksam erklärt hatten. Die Verbraucherzentralen haben in den vergangenen Jahren Tausende Prämiensparverträgen geprüft und kamen dabei zum Ergebnis, dass Sparerinnen und Sparern im Durchschnitt 1000 bis 2000 Euro Zinsen zu wenig erhalten haben.
Worüber hat der BGH diesmal entschieden?
Nach seinem verbraucherfreundlichen Urteil im Jahr 2021 überließ der BGH dem Oberlandesgericht Dresden, die Details zur Höhe der Verzinsung festzulegen. Im vergangenen Jahr präsentierte das Gericht eine Methode für die genauen Zinsberechnung: der Referenzzins für das Prämiensparen soll demnach die Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere mit über 8 bis 15 Jahren Restlaufzeit nach Monaten sein. Aus Sicht der Verbraucherschützer war das für die Sparerinnen und Sparer zu wenig, sie klagten erneut vor dem Bundesgerichtshof.
Das oberste deutsche Zivilgericht entschied jetzt, dass die Berechnungsmethode des OLG Dresden in Ordnung ist (Az. XI ZR 44/23 und XI ZR 40/23). Die Begründung: Der vom OLG präferierte Referenzzins spiegelt die jeweils aktuellen risikolosen Zinsen am Kapitalmarkt wider. Das entspreche dem Wesen der betroffenen Sparerinnen und Sparer, so das Gericht: „Der typische Sparer, der Sparverträge der vorliegenden Art abschließt, zeigt allerdings keinerlei Risikobereitschaft.“ Deshalb dürfe auch der maßgebliche Referenzzins keinen Risikoaufschlag enthalten.
Damit ist klar, dass Prämiensparkunden Zinsnachzahlungen zustehen und wie sie berechnet werden: Maßgeblich ist die Zeitreihe „Umlaufsrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen/Börsennotierte Bundeswertpapiere/ RLZ von über 8 bis 15 Jahren/Monatswerte“, die die Bundesbank auf ihrer Webseite veröffentlicht. Ausgehend von diesem Referenzzinssatz erfolgt eine „relative Zinsanpassung“, woraus sich der eigentliche Vertragszins ergibt, den das Finanzinstitut im jeweiligen Monat hätte gewähren müssen. Um aufs richtige Ergebnis zu kommen, müssen Finanzinstitute für jeden Monat der Vertragslaufzeit die von ihnen gezahlten Zinsen denen gegenüberstellen, die sich nach der Maßgabe des nun gültigen Referenzzinses ergeben.
„Jetzt muss für jeden Monat geprüft werden, was nach dieser Vorgabe der richtige Wert gewesen wäre und wie viel Zinsen das Finanzinstitut tatsächlich gezahlt hat. Die Differenz ist das Guthaben, das Kundinnen und Kunden noch zusteht“, erklärt Henning Fischer, Referent der Verbraucherzentrale Bundesverband, auf Nachfrage von Capital. „Diese Berechnung ist kleinteilig, das kann man kaum selbst ermitteln.“ Hier müssen die Banken und Sparkassen ran.
Welche Zinsnachschläge können Sparer nun erwarten?
Wie kleinteilig sich die Berechnung einer Zinsnachzahlung gestaltet, zeigt ein Musterfall: Angenommen jemand hatte im Oktober 1994 einen Prämiensparvertrag abgeschlossen und die Sparkasse legte den anfänglichen Zins beispielsweise bei vier Prozent pro Jahr fest. Bei entsprechenden Vertragsklauseln hätte die Sparkasse die Verzinsung des Guthabens jeden Monat der Laufzeit ändern können – auch ohne Kundin oder Kunden direkt darüber zu informieren.
Im Dezember 2000 lag der maßgebliche Referenzzins zum Beispiel bei 4,9 Prozent. Nach relativer Anpassung hätte die Sparkasse 2,72 Prozent gewähren müssen. Im Juni 2010 stand der Referenzzins bei 2,53 Prozent, relativ angepasst wären immerhin 1,43 Prozent fällig gewesen. Und selbst im Sommer 2016, als der Referenzzins im Negativbereich lag, hätte die Sparkassen noch 0,01 Prozent Sparzinsen geben müssen, denn ein Nullzins ist ausgeschlossen.
Doch die Finanzinstitute haben ihren Kunden meist weit weniger Zinsen gezahlt als der relativ angepasste Wert vorgibt. Welche monatlichen Zinssätze sie überhaupt angewendet haben, lässt sich wegen der mangelhaften Informationen kaum nachvollziehen. In der Regel kennen Kunden nur das Guthaben ihres Sparvertrags, und das muss mit dem neu errechneten Guthaben inklusivealler korrekten Zinsen verglichen werden: Dem Musterkunden hätte so unterm Strich nach mehr als 20 Jahren Laufzeit und weit über 240 monatlichen Zinsberechnungen eine Nachzahlung von fast 1000 Euro zugestanden.
Für jeden Prämiensparer und jede Prämiensparerin fällt die Vergleichsberechnung anders aus, schließlich hat jede Sparkasse und Bank den Zinssatz unzulässigerweise nach eigenem Gutdünken festgelegt. Wollen Verbraucher es genau wissen, um ihrem Institut auf die Finger schauen zu können, sind Verbraucherschützer die richtige Adresse: Die Verbraucherzentralen prüfen kostenpflichtig Verträge und stellen Vergleichsrechnungen an. Die Stiftung Warentest bietet einen Rechner für den häufigsten Vertragstyp an, mit dem Betroffene ihren voraussichtlichen Zinsnachschlag ermitteln können.
Für welchen Zeitraum können Sparer Zinsen zurückbekommen?
Alle, die noch laufende Prämiensparverträge besitzen, können von ihrer Bank oder Sparkasse einfordern, dass diese die Zinsen des kompletten Vertrags neu berechnet – dabei sollte das Finanzinstitut erläutern, welchen Referenzzins es ursprünglich herangezogen hat.
Diese Neuberechnung können mitunter auch Kundinnen und Kunden einfordern, die ihren Vertrag bereits gekündigt haben. Mit dem aktuellen BGH-Urteil steht nun nämlich fest, wie weit zurück Prämiensparer Ansprüche geltend machen können. Verbraucherschützer hatten auf eine zehnjährige Verjährungsfrist gehofft. Der BGH hat sich jedoch für eine dreijährige Zeitspanne entschieden, beginnend mit dem Jahr, in dem Kundinnen und Kunden ihren Sparvertrag gekündigt haben.
Eine Rückzahlung kann also noch bekommen, wer seinen Vertrag erst im Jahr 2021 oder später beendet hat. Damals gab es noch etwa 1,1 Millionen solcher Verträge. Seitdem dürfte die Anzahl der Verträge allerdings gesunken sein, denn zwischenzeitlich haben auch viele Institute versucht, von ihrer Seite aus Altverträge zu kündigen.
Müssen Sparer aktiv werden, oder die Banken?
Noch ist unklar, ob Finanzinstitute mit Nachzahlungsangeboten auf ihre Kunden zugehen. Wahrscheinlicher ist, dass die Banken jetzt abwarten, bis Betroffene ihre Ansprüche individuell bei ihnen anmelden und gegebenenfalls Klagen einreichen.
Bisher haben sich die Kreditinstitute sogar gegen eine Informationspflicht gesträubt: Bereits 2021 hatte die Bankenaufsicht Bafin die Kreditinstitute verdonnert, über unwirksame Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen zu unterrichten. Sie sollten den betroffenen Kundinnen und Kunden entweder unwiderruflich eine Zinsnachberechnung zusichern oder einen Änderungsvertrag mit einer nach BGH-Maßstäben wirksamen Zinsanpassungsklausel anbieten. Gegen die Anweisung legten mehr als 1100 Kreditinstitute Widerspruch ein, bis zu einer endgültigen gerichtlichen Klärung passierte deshalb erst mal nichts.
Mit dem Urteil, das die Richterinnen und Richter des BGH am Dienstag gesprochen haben, liegen nun alle notwendigen Informationen vor, um die Zinsen bei betroffenen Prämiensparverträgen nachzuberechnen. „Wir werden jetzt die Urteilsgründe auswerten und prüfen, ob wir als Aufsicht weitere Maßnahmen ergreifen“, sagte Bafin-Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch.