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Online-Sportwetten Geld zurück von Tipico? „Die Chancen stehen enorm gut für den Kläger“

Tipico-Wettbüro
Wettanbieter Tipico: Ein BGH-Urteil hätte Folgen für die gesamte Branche. Viele Spieler könnten Einsätze zurückfordern
© CHROMORANGE | Weingartner-Foto / Picture Alliance
Tipico soll jahrelang illegal Online-Sportwetten angeboten haben. Ein BGH-Urteil soll jetzt Klarheit schaffen. Es rolle längst eine Klagewelle und die Spieler dürften Erfolg haben, sagen Rechtsanwälte
Alexander Voigt ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer von Goldenstein Rechtsanwälte. Die Kanzlei unterstützt aktuell unter anderem mehr als 4500 Mandanten bei der Rückforderung von Online-Spielverlusten.
Alexander Voigt ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer von Goldenstein Rechtsanwälte. Die Kanzlei unterstützt aktuell unter anderem mehr als 4500 Mandanten bei der Rückforderung von Online-Spielverlusten.
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Capital: Herr Voigt, in den letzten Jahren wurden Sportwettenanbieter vielfach von glücklosen Spielern verklagt, die ihre Wetteinsätze zurückfordern. Nun hat es ein Fall sogar bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) geschafft. Worum geht es?
ALEXANDER VOIGT: Ein Spieler hatte zwischen 2013 und 2018 beim Anbieter Tipico viel Geld verspielt. Die BGH-Klage stützt sich auf die Tatsache, dass Tipico Sportwetten ohne Konzession in dem Bereich angeboten hat und deswegen jeder einzelne der damals geschlossenen Wettverträge nichtig ist und rückabgewickelt gehört. Zwischen 2012 und 2021 gab es in Deutschland nach dem damals wirkenden Glücksspielstaatsvertrag ein Totalverbot für Online-Glücksspiele. Zwar galt dieses Vollverbot nicht direkt für Wettanbieter. Doch ein zunächst geplantes Konzessionsverfahren für Online-Sportwetten wurde aufgrund von unionsrechtlichen Bedenken gestoppt, sodass die ersten bundesweit gültigen Lizenzen für Online-Sportwetten trotzdem erst im Oktober 2020 erteilt wurden. Deshalb waren alle Online-Wettanbieter vor Oktober 2020 illegal in Deutschland.

Wie kann Tipico dann behaupten, die Verträge seien gültig?
CLAUS GOLDENSTEIN: Tipico und andere Anbieter haben in den Jahren Konzessionen genutzt, die sie in ihrem eigenen Land erworben haben. Es gibt Glücksspielunternehmen, die von Gibraltar aus agieren. Die meisten sitzen allerdings auf Malta und nutzen ihre maltesische Konzession – damit besitzen sie eine Lizenz von einem der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Ihrer Auffassung nach soll es ihnen aufgrund der Dienstleistungsfreiheit dann auch erlaubt sein, in jedem anderen EU-Land Glücksspielwetten anzubieten.

Und ist dem denn so?
Voigt: Der Europäische Gerichtshof sagt, dass es jedem Mitgliedsstaat selbst überlassen ist, die Regularien vorzugeben, unter denen Glücksspiele im eigenen Land zulässig oder eben verboten sind. Denn jedes Land hat seinen eigenen sozialen und kulturellen Kreis. Jedes einzelne Land muss selbst gucken, wie Glücksspiel in die sozialen Gefüge und die Werteordnung passt. Das kann nicht von Seiten der EU für alle entschieden werden.

Was erwarten Sie beim Verkündungstermin des BGH?
Voigt: Wir gehen davon aus, dass der BGH dort umfassend sagen wird, dass diese Sportwetten unzulässig waren, da es jedem einzelnen EU-Mitgliedsstaat selbst überlassen sein muss, Glücksspielregeln aufzustellen. Im aktuellen Fall argumentiert der Anbieter Tipico auch damit, dass er in den strittigen Jahren immerhin versucht hat, eine deutsche Lizenz zu erhalten. Auch hierzu wird sich das Gericht bestimmt äußern. Ein verbotenes Geschäft wird nicht dadurch legal, indem man versucht etwas zu beantragen. Das ist genau das gleiche wie bei der Fahrerlaubnis: Es ist ja schön und gut, wenn jemand fahren kann. Aber solange die Person keinen Führerschein besitzt, darf sie trotzdem nicht fahren.

Claus Goldenstein ist Rechtsanwalt und Inhaber von Goldenstein Rechtsanwälte. Seine Kanzlei ist auf zivilrechtliche Massenverfahren spezialisiert, ist diesbezüglich für mehrere Grundsatzurteile verantwortlich und unterstützt aktuell unter anderem mehr als 4.500 Mandanten bei der Rückforderung von Online-Spielverlusten.
Claus Goldenstein ist Rechtsanwalt und Inhaber von Goldenstein Rechtsanwälte. Seine Kanzlei ist auf zivilrechtliche Massenverfahren spezialisiert, ist diesbezüglich für mehrere Grundsatzurteile verantwortlich und unterstützt aktuell unter anderem mehr als 4.500 Mandanten bei der Rückforderung von Online-Spielverlusten.
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Sie wirken überzeugt, dass der BGH für den glücklosen Spieler entscheidet.
Goldenstein: Die Chancen stehen enorm gut für den Kläger. Schon im Frühjahr hat sich der Bundesgerichtshof mit einem ähnlich gelagerten Fall beschäftigt, bei dem sich ein Spieler und der Sportwettenanbieter Betano stritten. Damals hatte das Gericht einen Hinweisbeschluss erlassen und aufgezeigt, wohin die Reise geht und wie es wohl entscheiden wird. Dieses Instrument nutzen die Richterinnen und Richter, wenn sie zu einer Rechtsfrage ein paar generelle Klarstellungen treffen wollen – auch außerhalb eines Urteils. So kam es dann ja auch: Weil es für Betano schlecht aussah, zog dieser die Revision aus taktischen Gründen zurück. Aber der Hinweisbeschluss ist trotzdem in der Welt und daran können sich jetzt alle orientieren. Es wäre sehr überraschend, wenn der BGH im Fall um Tipico plötzlich eine Kehrtwende hinlegt.

Könnte der Bundesgerichtshof das Verfahren auch an den Europäischen Gerichthof (EuGH) abgeben?
Voigt: Das ist möglich, aber unwahrscheinlich. Zwar laufen noch ein paar Verfahren beim EuGH zur Frage, ob der deutsche Glücksspielstaatsvertrag möglicherweise europarechtswidrig ist. Aber dagegen hat sich der EuGH in der Vergangenheit ja klar positioniert: Jedes Land soll selbst handhaben, wie es mit Glücksspiel umgeht. Solche Verfahren sind also Verzögerungstaktiken, um Rückforderungen auszubremsen.

Goldenstein: Wir sind guter Hoffnung, dass der Bundesgerichtshof sich nicht darauf einlässt, sondern selbst entscheidet. Würde der BGH den Fall europarechtlich klären lassen wollen, hätte er sich im Vorhinein kaum so klar zum Thema geäußert. Dann hätte man auch nicht mündlich verhandelt, sondern die Sache direkt dem EuGH vorgelegt.

Wenn es zum Urteil kommt, erhalten Spieler dann automatisch Geld zurück?
Goldenstein: Nein, das muss jeder für sich einklagen. Aber da rollt längst eine Klagewelle, auch weil sich viele Prozessfinanzierer dieser Thematik angenommen haben. Es ist halt eine relativ leichte Rechtsmaterie: Hat ein Spieler bei einem Anbieter gewettet, der keine Konzession besaß, ist kein Geschäft zustande gekommen. Also wird die ganze Nummer nach dem Gesetz abgewickelt und der Spieler bekommt sein Geld zurück. Unsere Erfolgsquote liegt bei fast 100 Prozent. Wenn jetzt noch der Bundesgerichtshof positiv für Wettspieler entscheidet, ist das ein Grundsatzurteil, was Rechtssicherheit schafft für die unteren Instanzen. Andere Fälle, die bei anderen Gerichten liegen, werden auf der Basis dieses Urteils entscheiden.

Bis wann lassen sich Wetteinsätze denn rückwirkend zurückfordern? 
Goldenstein: Üblicherweise ist nach ungefähr drei Jahren Schluss, danach verfallen Forderungen. Aber in bestimmten Fällen verlängert sich die dreijährige Verjährungsfrist auf zehn Jahre, zum Beispiel wenn gegen ein Schutzgesetz verstoßen wird und sich daraus eine Schadensersatzpflicht ergibt. So ist es auch bei Online-Glücksspiel und wir gehen davon aus, dass der BGH dies am Donnerstag bestätigt. Dann steht endgültig fest, dass deutsche Glücksspieler ihre Online-Wettverluste bis zu zehn Jahre rückwirkend zurückfordern können.

Der Deutsche Sportwettenverband schätzt, dass ein Drittel der Wetteinsätze in Deutschland an illegale Anbieter gehe. Könnte ein Urteil das Wetten bei illegalen Anbietern sogar noch verstärken, wenn die Aussicht besteht, Verluste zurückholen zu können?
Voigt: Unwahrscheinlich. Erfolg vor Gericht haben nur Spieler, die nachweisen können, dass sie nicht wussten, dass das Wetten bei diesem Marktteilnehmer illegal ist. Das ist oftmals Dreh- und Angelpunkt solcher Verfahren. Mittlerweile hat es sich schon ziemlich rumgesprochen, dass es diese Illegalität dort gibt. Wer illegalen Anbietern in Zukunft auf den Leim geht, wird seine Verluste nur schwer zurückfordern können.

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