Anzeige

Bernd Ziesemer Wie sich Siemens von China abkoppelt

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Die Volksrepublik verliert für den Münchner Konzern an Bedeutung. Die Investitionen von Siemens gehen in andere Regionen der Welt

Wenn es um China geht, dann passen bei der Siemens AG Worte und Zahlen nicht ganz zusammen. Vorstandschef Roland Busch betonte vergangene Woche bei der Vorstellung seines vorläufigen Berichts für das abgelaufene Geschäftsjahr erneut, die Volksrepublik spiele weiterhin eine wichtige Rolle für seinen Konzern. Zuvor hatte sich Busch in verschiedenen Reden bereits mehrfach gegen die Forderung nach einer „Entkopplung“ vom Reich der Mitte gewandt. Selbst den abgemilderten Begriff „De-Risking“ nimmt der Siemens-Chef im Zweifel lieber nicht in den Mund.

Seine Zahlen aber sprechen eine andere Sprache: Im Geschäftsjahr 2022/23, das bei Siemens traditionell am 30. September endet, fiel der Umsatz in China um 17 Prozent. Und ein Ende des Rückgangs ist nicht in Sicht: Der Auftragseingang lag im Vergleich zum vorigen Geschäftsjahr sogar 29 Prozent niedriger. Egal wie man es nennt: Die Bedeutung des chinesischen Markts für Siemens sinkt. Schließlich verzeichnete der Konzern in allen anderen Regionen der Welt ein Umsatzplus.

Siemens wird amerikanischer

Busch und sein Finanzchef Ralf Thomas erwarten frühestens Ende 2024 eine „Normalisierung“ im China-Geschäft. Doch bis dahin liegt noch eine weite Wegstrecke vor dem Konzern. Und was bedeutet schon ein vielfältig interpretierbares Wort wie „Normalisierung“? Dass Siemens seine Wachstumsfelder eher außerhalb Chinas sucht, zeigen die Investitionen des Konzerns. Insgesamt 2 Mrd. Euro flossen 2023 in neue Projekte. Davon blieb die Hälfte in Deutschland – und ein Viertel ging in die USA. Im texanischen Großraum Dallas-Forth Worth baut Siemens gerade eine vollautomatisierte Vorzeigefabrik. Ein ähnlich spektakuläres Projekt sucht man in China gegenwärtig vergeblich.

Siemens-CEO Roland Busch auf der Jahrespressekonferenz am Donnerstag

Siemens-CEO: „Siemens Energy muss seine Hausaufgaben machen“

08:07 min

Wenn alles gut läuft für Siemens in den USA, dürfte sich die Bedeutung des amerikanischen Markts für den Konzern in den nächsten Jahren erheblich erhöhen. Die Reindustrialisierung, die Präsident Joe Biden angestoßen hat, erhöht die Nachfrage nach Siemens-Produkten auf mittlere Sicht massiv. Zwar kämpft die amerikanische Wirtschaft in diesen Monaten noch um die Rückkehr auf einen nachhaltigen Wachstumspfad. Aber die Risiken für Siemens sind dort trotzdem überschaubar – ganz im Gegensatz zur Volksrepublik China, wo geopolitische Verwerfungen jederzeit einen Strich durch die Rechnung aller Neuprojekte machen können.

Das Gewicht der USA im Konzernverbund dürfte noch wachsen, wenn Busch eine seiner Lieblingsideen verwirklichen kann: die Übernahme eines weiteren größeren Software-Unternehmens in den USA. Seit seinem Amtsantritt im Februar 2021 bemüht sich der Siemens-Chef darum, den Konzern immer mehr zu einem Softwareanbieter umzubauen und die Industriekunden für Cloud-Lösungen zu gewinnen. Zuletzt hatte Siemens den amerikanischen Hersteller Brightly, einen Spezialisten für die Immobilienbranche, für anderthalb Milliarden Euro übernommen. Viele kleinere Akquisitionen von Software-Herstellern für die Sparte Digital Industries begleiten den Siemens-Chef seit Jahren – und machen die Unternehmenskultur immer amerikanischer.     

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel