Wie brisant die Entscheidung seiner Behörde war, wusste Felix Hufeld schon, bevor sie öffentlich bekannt wurde. Das Interesse der Medien werde „absehbar groß“ sein, schrieb der damalige Chef der Finanzaufsicht Bafin am 17. Februar 2019, einem Sonntag, am Nachmittag in einer Mail an einen kleinen Kreis von Kolleginnen und Kollegen. „Da müssen wir prozessual und inhaltlich gut vorbereitet sein.“
Bei der Entscheidung ging es um das zweimonatige Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien, das die Bafin am folgenden Montagmorgen um 6 Uhr in Kraft setzen wollte – ein Eingriff in den Kapitalmarkt, den es bei einem einzelnen Unternehmen in Deutschland noch nie gegeben hatte. Doch die Begründung für den höchst umstrittenen Schritt, die seine Kommunikationsabteilung als Sprachregelung vorbereitet hatte, reichte Hufeld nicht aus. Der Hinweis, dass durch die Entwicklungen bei Wirecard die „bestehende Verunsicherung im Markt“ zunehmen könnte, erscheine ihm „sehr knapp und unzureichend“, mahnte er in seiner Mail. Hier solle seines Erachtens „etwas mehr geboten werden“.
Dass selbst der Bafin-Chef intern noch Nachbesserungsbedarf bei der zentralen Begründung für die Intervention anmeldete, passt zu der Geschichte des Leerverkaufsverbots, das von vielen Anlegern als Parteinahme des Staates für Wirecard aufgenommen wurde – und dem Zahlungskonzern vorerst das Überleben sicherte, während der milliardenschwere Bilanzbetrug weiterlief. Denn nicht nur Hufeld stolperte über den Punkt, wonach die heftigen Turbulenzen bei der Wirecard-Aktie nach Betrugsvorwürfen der „Financial Times“ gegen das Aschheimer Unternehmen auf den Gesamtmarkt ausstrahlen könnten. Auch andere Stellen, die die Finanzaufsicht vorab über ihre Pläne informiert hatte, waren skeptisch – vor allem die Bundesbank, deren Experten in einer Analyse zu dem Ergebnis kamen, dass es solche Ausstrahlungseffekte gar nicht gebe.
Wie in den Tagen ab Freitag, dem 15. Februar 2019, um das Leerverkaufsverbot gerungen wurde, zeigen jetzt neue Unterlagen, die Capital vorliegen. Die internen Dokumente und Mails legen auch nahe, dass die zuständige Bafin-Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele zusammen mit zwei Referentinnen aus dem Referat für Leerverkäufe das Verbot unbedingt durchsetzen wollte – ungeachtet fachlicher Zweifel. Ihre wichtigste Verbündete dabei: die Staatsanwaltschaft München I, die die Aufseher am Freitagmorgen über eine angebliche Erpressung gegen Wirecard durch renommierte Finanzmedien informiert hatte. Zwar basierten die Informationen auf den Angaben eines Konzernanwalts, die weder die Ermittler noch die Aufseher überprüften. Dennoch stellten die Staatsanwälte die Angaben gegenüber der Bafin als glaubhaft dar, was dort die höchste Alarmstufe auslöste.
Zustimmung der EU-Aufsicht unsicher
Man arbeite ja gerade „in Abstimmung mit der StA München“ an einem Leerverkaufsverbot für Wirecard, schrieb Roegele an jenem Wochenende in einer Mail an Bafin-Chef Hufeld und den obersten Bankenaufseher Raimund Röseler. Eine bemerkenswerte Formulierung, schließlich hat eine Strafverfolgungsbehörde keinerlei Kompetenzen, über Eingriffe in die Finanzmärkte zu entscheiden. In der gleichen Mail, die sie am späten Samstagabend verschickte, erwähnte Roegele allerdings auch, dass eine Zustimmung der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA zu der geplanten Intervention der Bafin noch nicht sicher sei. Man könne „derzeit noch nicht abschätzen“, ob sich die ESMA „auf der Basis der aktuellen Informationen zu einer positiven Opinion durchringt“, berichtete sie.
Die Zustimmung der ESMA war für die Bafin ein entscheidender Faktor. Hufeld hatte ein positives Votum der EU-Kollegen als Bedingung genannt, als Roegele ihn am Freitagabend erstmals telefonisch über das geplante Leerverkaufsverbot informierte. So berichtete er es Ende März bei seiner ersten Aussage vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags, wenige Tage vor seinem Ausscheiden als Bafin-Chef.
Grundsätzlich habe er Roegeles Pläne für ein Leerverkaufsverbot jedoch unterstützt, sagte Hufeld – als „Ausweis vorausschauenden couragierten Handels“ der Aufsicht. Zwar hätten die Angaben über die angebliche Erpressung gegen Wirecard „einigermaßen ungeheuerlich“ geklungen. Aber sie seien nun einmal von einer „sehr respektierten Staatsanwaltschaft“ vorgelegt worden, sagte Hufeld. Daher sei es ihm „vollkommen indiskutabel“ erschienen, nicht zu handeln – zumal ein Eingriff der Bafin die seltene Chance geboten habe, bei Finanzkriminalität einmal „vor die Welle zu kommen“. Roegele selbst wies bei ihrer Zeugenaussage den Vorwurf zurück, dass die Aufsicht mit ihrer Intervention faktisch ein „Gütesiegel“ für Wirecard ausgestellt habe. Für diesen Dienstag sind Hufeld und Roegele erneut in den Untersuchungsausschuss geladen.
Doch tatsächlich war zunächst unsicher, ob das Leerverkaufsverbot überhaupt wie geplant durchgeht. Laut der EU-Leerverkaufsverordnung dürfen die nationalen Aufsichtsbehörden Wetten auf sinkende Kurse nur in zwei Fällen zeitweise beschränken: wenn eine Gefahr für die Finanzstabilität besteht oder das Marktvertrauen gefährdet ist. Wie aus Bafin-internen Mails hervorgeht, hielt die ESMA die rechtliche Begründung für den Markteingriff jedoch anfangs für unzureichend. Am späten Freitagabend schrieb Roegele an mehrere Kolleginnen und Kollegen, man müsse „nochmals Informationen nachliefern“.
Daraufhin bat Roegele die Referentinnen, die mit ihr an dem Shorsteller-Bann arbeiteten, die Ausführungen zu ergänzen. Die durch die Presseberichte ausgelösten auffälligen Preisbewegungen bei der Wirecard-Aktie führten zu der „Furcht“ bei Investoren, dass eine „zuverlässige Preisbildung nicht mehr als garantiert“ erscheine, hieß es nun in der neuen Fassung, die am Samstag an die ESMA ging. Diese Furcht scheine sich zu einem fundamentalen „Vertrauensproblem“ bei der Preisbildung im deutschen Finanzmarkt allgemein auszuweiten. Es bestehe das Risiko, dass diese Unsicherheit auch die Aktien von anderen Unternehmen erfasse, insbesondere „Dax-Werte und Finanzunternehmen“. Zudem verwies die Bafin gegenüber der EU-Behörde auch auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Wirecard-Kritiker wegen möglicher Marktmanipulation.
Das Szenario, dass ungewöhnliche Schwankungen bei einer Aktie auf global relevante Finanzinstitute ausstrahlen, wird in der EU-Leerverkaufsverordnung ausdrücklich als eine mögliche Grundlage für ein temporäres Shortselling-Verbot genannt. Wohl auch deshalb gab sich die ESMA mit den Ergänzungen der Bafin zufrieden. In der Nacht zum Sonntag signalisierte die EU-Behörde gegenüber Roegele ihre Zustimmung.
Bundesbank widerspricht Bafin-Analyse
Dabei gab es allerdings ein Problem: Zum damaligen Zeitpunkt war mehr als fraglich, ob die Kapriolen bei der Wirecard-Aktie tatsächlich den Gesamtmarkt und systemrelevante Finanzkonzerne in Mitleidenschaft ziehen können – und damit auch, ob die rechtliche Begründung der Bafin für das Leerverkaufsverbot überhaupt trägt.
So kamen etwa die ausgewiesenen Experten der Bundesbank zu einem völlig anderen Schluss als die Bafin. Die Aufsicht hatte die Kollegen der Bundesbank am 15. Februar am späten Vormittag über das geplante Verbot informiert – so wie es das Finanzministerium und ein Bafin-internes Ablaufschema von 2017 vorsehen. Nach diesen Vorgaben soll die Notenbank vor einer Entscheidung der Finanzaufsicht über die Beschränkung von Leerverkäufen die Möglichkeit erhalten, eine Stellungnahme abzugeben.
Zur internen Vorbereitung einer solchen Stellungnahme liefen an diesem Freitag in verschiedenen Bereichen der Bundesbank umfangreiche Analysen der Marktdaten und der Zusammenhänge zwischen dem Aktienkurs von Wirecard und anderen Unternehmen – mit einem klaren Ergebnis: Für eine Ansteckungsgefahr von Wirecard auf die deutsche Finanzindustrie gebe es auf Basis der Preisentwicklungen an den Märkten „derzeit keine Anzeichen“, schrieben die Experten aus dem Zentralbereich Märkte. Noch deutlicher wurden die für Finanzstabilität zuständigen Kollegen: „Exzessive Preisbewegungen und Spillover-Effekte auf andere Marktteilnehmer“ seien „unwahrscheinlich“. Auch sei die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von Wirecard gering. Ihr Fazit: „Die Ausführungen der Bafin zu möglichen Verwerfungen werden daher zumindest bezweifelt.“
Über ihre massiven Zweifel informierte die Bundesbank am Freitagabend auf Fachebene die Kollegen der Finanzaufsicht. Daraufhin kam es noch am späten Abend zu einem Telefonat der Behördenspitzen: zwischen Roegele und dem zuständigen Bundesbank-Vorstandsmitglied Claudia Buch. Darin verwies Roegele auch auf „staatsanwaltschaftliche Ermittlungen“ – eine Information, die der Bundesbank bis dahin nicht bekannt war, auch weil die Münchner Ermittler die Bafin gebeten hatten, die Information über eine vermeintliche Erpressung von Wirecard vertraulich zu behandeln.
Was genau in dem Telefonat besprochen wurde, ist bis heute nicht geklärt und Gegenstand teilweise widersprüchlicher Angaben der beteiligten Behörden. Eine SMS zwischen Bund und Roegele, die womöglich zur Aufklärung beitragen könnte, ist nicht mehr auffindbar. Im Ergebnis führte das Gespräch jedenfalls dazu, dass die Bundesbank doch keine offizielle Stellungnahme zu dem historischen Markteingriff der Bafin abgab und ihre Kritik nicht zu Protokoll gab – während die Bafin der ESMA von Gefahren für systemrelevante Finanzkonzerne berichtete, die angeblich von Wirecard ausgingen.
Aber auch das Bundesfinanzministerium, das die Rechts- und Fachaufsicht über die Bafin führt, sah keine Veranlassung einzugreifen. Im Ministerium war die zuständige Fachabteilung seit Freitagmittag über die Pläne für ein Leerverkaufsverbot informiert – am Nachmittag auch der für die Finanzmärkte zuständige Staatssekretär Jörg Kukies. Über das Wochenende tauschte sich Roegele auch mit einer leitenden Beamtin aus. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) erfuhr dagegen nach Angaben seines Ressorts erst im Nachhinein von der spektakulären Entscheidung der ihm unterstellten Aufsicht.
Bayaz: Verfügung war „rechtswidrig“
„Die Bafin wollte das Leerverkaufsverbot um jeden Preis. Bedenken von Bundesbank und ESMA wurden ignoriert und beiseite gewischt“, sagte der Abgeordnete Danyal Bayaz, der für die Grünen im Wirecard-Ausschuss sitzt. „Das Ergebnis war eine rechtswidrige Leerverkaufsverfügung auf Basis einer frei konstruierten Begründung.“ Kritisch sieht Bayaz auch die Rolle des Finanzministeriums. Dieses habe „die Bafin gewähren lassen und die eigenen Pflichten als Rechts- und Fachaufsicht nicht wahrgenommen“, sagte er. Anleger hätten das Leerverkaufsverbot als Gütesiegel für Wirecard interpretiert. Durch das Agieren der Bafin sei vielen von ihnen ein finanzieller Schaden entstanden.
Dagegen verteidigt die Aufsicht das Verbot bis heute. Maßgeblich für die Entscheidung seien die gemeldeten Netto-Leerverkaufspositionen, die Volatilität, die Kursentwicklung und die Hinweise der Staatsanwaltschaft München gewesen, betonte eine Bafin-Sprecherin auf Anfrage. „Auf dieser Grundlage sah die Bafin zum damaligen Zeitpunkt die Gefahr, dass sich die Wirecard-Situation zu einem grundsätzlichen Vertrauensproblem hinsichtlich der Preisbildung auf deutschen Märkten ausweiten könnte“.
Auf die Frage, warum die Bafin ihre Intervention gegenüber der ESMA entgegen der Einschätzung der Bundesbank mit drohenden Spillover-Effekten auf den Gesamtmarkt und wichtige Finanzunternehmen begründete, verwies die Sprecherin auf die angebliche Erpressung. „Der Bundesbank lagen bei ihrer Einschätzung die Informationen der Staatsanwaltschaft nicht vor, sie konnten entsprechend auch nicht berücksichtigt werden“, erklärte sie – wobei allerdings offen bleibt, wie von vermeintlichen kriminell motivierten Drohungen gegen ein gesamtwirtschaftlich eher wenig bedeutendes Unternehmen Gefahren für andere Dax-Konzerne und das Finanzsystem ausgehen können.
Doch auch innerhalb der Aufsicht selbst schien man von den behaupteten Ansteckungseffekten der Wirecard-Turbulenzen nicht restlos überzeugt zu sein. Auf die eingangs erwähnte Mahnung von Bafin-Chef Hufeld, Journalisten mehr Informationen zu der vermeintlich drohenden zunehmenden „Verunsicherung im Markt“ durch die Entwicklungen bei Wirecard zu geben, reagierte eine Sprecherin am Sonntagabend wenige Stunden vor Inkrafttreten des Verbots. Man habe nun in der vorbereiteten Sprachregelung „noch stärker/konkreter auf die sich erhöhenden Netto-Leerverkaufspositionen in Wirecard abgestellt“, schrieb sie an Hufeld. Auf das Argument einer „sich ausweitenden generellen Marktverunsicherung“ würde man in der Kommunikation aber „unbedingt verzichten wollen“. Diese Formulierung finde sich zwar in der Allgemeinverfügung, die das Verbot in Kraft setzt, schrieb sie. „Wir sollten aber die Presse auf keinen Fall mit der Nase darauf stoßen“ – obwohl dies das zentrale Argument für den Markteingriff gegenüber der ESMA war. Auf Anfrage wollte sich die Bafin nicht zu diesem Vorgang äußern.
Von Hufeld kam dazu keine Reaktion mehr. Doch tatsächlich täuschte seine Vorahnung nicht, was das Medienecho angeht. „Wir geraten leider mehr und mehr unter Beschuss – was können wir hierzu sagen?“, schrieb eine Sprecherin wenige Stunden nach Inkrafttreten des Leerverkaufsverbots ein wenig ratlos an die beiden Referentinnen, die den Vorgang federführend bearbeitet hatten. Dazu die Anfrage eines Journalisten der Agentur Reuters, der schrieb, er finde den Gedanken „nicht sehr überzeugend“, dass die Wirecard-Aktien bedeutend für die deutsche Wirtschaft seien. Zudem sehe er keinen Fall besonderer Marktunsicherheit, zumal die großen Aktienverkäufe bei Wirecard nach den „FT“-Berichten über Betrug bei der Konzerntochter in Singapur schon beendet seien.
Eine andere Zuschrift, die an diesem Tag bei der Bafin hereintrudelte: Ein australischer Hedgefondsmanager und Finanzblogger fragte, wer in der Aufsicht die Verantwortung übernehme, falls sich Wirecard im Nachhinein als betrügerisches Unternehmen herausstelle, das von der russischen Mafia kontrolliert werde. Für diesen Fall wolle er das erste Interview mit Hufeld vormerken. Die Empfehlung der Kommunikationsabteilung an die Fachkolleginnen: „Mit der Antwort etwas Zeit lassen…“ Hufeld werde man über die Mail informieren. Offensichtlich hielt man den Absender nicht für irrelevant.
„Hoffentlich machen wir das nicht wieder“
Angesichts des schlechten Presseechos bemühte sich die Bafin in den folgenden Tagen, aus der Defensive zu kommen. Die Hoffnung dabei: die Staatsanwaltschaft München, die die Informationen über die angebliche Erpressung nach Bafin-Angaben anfangs als „streng vertraulich“ eingestuft hatte – zum Leidwesen der Aufseher, wie Hufeld in Gesprächen mit Journalisten zu erkennen gab. Am 20. Februar berieten Bafin-Mitarbeiter mit einem Staatsanwalt, ob die Ermittler nicht „die Ermittlungen wegen der Erpressung der Wirecard offen legen“ könnten, wie es in einem Telefonvermerk heißt – was dieser jedoch aus ermittlungstaktischen Gründen skeptisch sah. Zudem wurde die „potenzielle Kommunikation“ der Staatsanwaltschaft für den Fall besprochen, dass die Aufsicht Strafanzeige gegen Journalisten und Leerverkäufer stellen würde.
Ergiebiger aus Sicht der Bafin verlief ein weiteres Telefonat einen Tag später, an dem auch die für Wirecard verantwortliche Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl teilnahm. Wie eine Bafin-Mitarbeiterin im Anschluss an Roegele berichtete, erklärten die Staatsanwälte zum Thema „Pressestrategie“, sie könnten „allenfalls vertrauenswürdige Journalisten“ darauf hinweisen, sich direkt an Wirecard zu wenden, um eine Stellungnahme zu den „Hintergründen“ des Leerverkaufsverbots einzuholen. Dazu wolle die Staatsanwaltschaft noch am selben Tag dem Konzern mitteilen, dass Wirecard „die Bedrohung/Erpressung der Presse gegenüber offenlegen“ könne. Eine durchaus seltsam anmutende Absprache zwischen zwei Behörden, die sich Gedanken über die Pressearbeit unter Beteiligung eines Konzerns machen, gegen den schwere Vorwürfe im Raum stehen.
Ebenfalls am 21. Februar erschien Wirecard-Vorstand Jan Marsalek bei den Münchner Staatsanwälten, um eine Zeugenaussage zu der angeblichen Erpressung zu machen, von der der Konzernanwalt Bäumler-Hösl sechs Tage zuvor berichtet hatte. Das Protokoll der Vernehmung liest sich wie ein schlechter Fantasyroman: Korrupte Journalisten von namhaften angelsächsischen Finanzmedien hätten sich gegen Wirecard verschworen, ein Rennfahrer namens „Ali“ könne mithilfe eines „entsprechenden Geldbetrags“ das Problem lösen. Die Schutzgeldzahlung in Millionenhöhe solle als verdecktes Sponsoring für einen Rennstall fließen. Und das alles, wohlgemerkt, bei einem Dax-Unternehmen.
Als Bäumler-Hösl im Januar 2020 im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagte, nannte sie Marsaleks Erzählungen „Quatsch“. Dennoch hatte sie sich im Jahr zuvor nicht davon abhalten lassen, nach seiner Zeugenaussage die Angaben über eine vermeintliche Verschwörung gegen Wirecard selbst öffentlich zu thematisieren und ihnen damit Glaubwürdigkeit zu verleihen: In einem am 23. Februar veröffentlichten Bericht im „Handelsblatt“ sagte die Oberstaatsanwältin, man habe „ernstzunehmende Informationen von Wirecard erhalten, dass eine neue Shortattacke geplant ist und dass mit viel Geld versucht wird, Medienberichterstattung zu beeinflussen“.
Die öffentlichen Aussagen der Chefermittlerin, die einen kriminellen Hintergrund des Leerverkaufsverbots nahelegten, trugen jedenfalls dazu bei, die Aufregung über die ungewöhnliche Entscheidung der Bafin zu entschärfen. Auch in der Finanzaufsicht kehrte nach den Turbulenzen etwas Ruhe ein. Einige Tage, nachdem das Leerverkaufsverbot in Kraft war, verschickten die beiden federführenden Mitarbeiterinnen von Roegele eine Mail an einige Kolleginnen und Kollegen mit einem Dank für deren Unterstützung „rund um dieses ungewöhnliche Wochenende“. Sie endeten mit einer persönlichen Aussage, die vermutlich vielen aus der Seele sprach, die an dem Leerverkaufsverbot beteiligt waren: „Hoffentlich machen wir das nicht wieder“ – gefolgt von einem Zwinkersmiley.

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